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Mathematik prägt unseren Alltag. Symmetrien, wohlgeformte Anordnungen und bestimmte Proportionen empfinden wir als ästhetisch und genießen deren Schönheit. Auch Kinder im Kindergartenalter setzen sich früh mit diesen mathematischen Inhalten auseinander. Sie legen geometrische Formen und Muster, bauen mit Legosteinen, strukturieren Mengen und Gegenstände nach einer spezifischen Ordnung. Sie beobachten ihre Umwelt, interpretieren Vorgänge und antizipieren mögliche Verhaltensweisen der Menschen um sie herum. Auf diese Weise können sie ihre Welt ordnen. Für einen der bedeutendsten Mathematiker der Neuzeit, David Hilbert, ist die Mathematik das Instrument, das die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis beziehungsweise zwischen Denken und Beobachten ermöglicht. Er schrieb bereits 1935: „Daher kommt es, dass unsere ganze gegenwärtige Kultur, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung der Natur beruht, ihre Grundlage in der Mathematik findet.“ Die kreative Auseinandersetzung eines Kindes mit seiner Umwelt ist in diesem Zusammenhang der Schlüssel zu einem gelungenen Entwicklungsprozess. In diesem nimmt sich das Kind als aktives und selbstwirksames Individuum wahr. Doch welche Aktivitäten und Prozesse in der frühen Kindheit sind eigentlich mathematisch kreativ? Und wie können wir die mathematisch kreativen Prozesse fordern und fördern?
Der deutsche Wissenschaftler und Künstler Klaus Urban hat auf die erste Frage folgende Antwort: Die Mitglieder der mathematischen Community müssen den mathematisch kreativen Prozess als adaptiv (anpassungsfähig) sowie originell
zur Lösung eines Problems ansehen und er muss für diese ein Novum darstellen. Doch wie sollen Kindergartenkinder für die mathematische Community neue Einsichten generieren können? Neuere Überlegungen zeigen, dass diese Prozesse im Kontext der Altersgruppe interpretiert werden müssen. Aus diesem Grund müssen kreative Produkte oder Prozesse einzig von dem entsprechenden Kind oder anderen Kindern im gleichen Alter als neu beziehungsweise originell angesehen werden. Dabei ist es schwierig zu identifizieren, inwiefern ein mögliches kreatives Produkt für das einzelne Kind „als neu“ interpretiert werden kann. Auch ist es problematisch zu entscheiden, wann eine bestimmte Antwort oder Lösung als angemessen oder adaptiv gilt. Aus soziokultureller Perspektive liegt der Ursprung mathematischer Kreativität in sozialen Interaktionen mit anderen, wie zum Beispiel im kindlichen Spiel. In unserem Forschungsprojekt Mathematische Kreativität bei Kindern (MaKreKi) konnten wir über einen Zeitraum von vier Jahren Kindergartenkinder in der Entwicklung ihrer mathematischen Fähigkeiten begleiten. Mit mathematischen Spiel- und Erkundungssituationen schufen wir zunächst Gelegenheiten, in denen Kinder ihr mathematisch kreatives
Potenzial zum Ausdruck bringen konnten. Dabei beobachteten wir, wie kreativ Kinder in mathematisch reichhaltigen Interaktionen mit anderen Kindern und einer erwachsenen Begleitperson mit verschiedenen mathematischen Konzepten gleichsam spielen und diese in einer angemessenen Art kombinieren konnten, um mathematische Probleme zu lösen. Das zeigen die drei Beispiele des Kinderpaares Marie und René.
Wie Marie und René zeigen, können auch Kindergartenkinder mathematisch kreativ agieren. Dabei spielen sie mit verschiedenen Konzepten und kombinieren sie in einer der Situation angemessenen und adaptiven Art und Weise. Deshalb können wir diese Form des kindlichen Mathematiktreibens als eine frühe Form mathematisch kreativer Prozesse deuten. Eine Unterscheidung findet sich im originären Ursprung der kombinierten Konzepte. So kann man mathematische Konzepte wie das der Länge und der Kardinalität aus den verschiedenen mathematischen Inhaltsfeldern Raum und Form sowie Zahlen und Operationen miteinander verknüpfen. Eine andere Möglichkeit besteht in der Kombination von mathematischen Konzepten aus dem gleichen Inhaltsfeld, jedoch unterschiedlichen Subdomänen, etwa das Konzept der Länge und das des Flächeninhalts aus dem
Inhaltsfeld Raum und Form. Außerdem kann man im frühkindlichen Mathematisieren auch ein mathematisches Konzept mit einem außermathematischen, alltäglichen Bereich kombinieren. Während Marie und René die Marienkäferkarten sortieren, sind sie darauf bedacht, die Karten wohlgeordnet zu arrangieren. Die Käfer werden stets in der gleichen Richtung und entlang einer imaginären Symmetrieachse ausgerichtet. Diese wohlgeordnete und symmetrische Anordnung, der eine besondere Form der Ästhetik innewohnt, bezeichnen die Kinder als „schön“. Bereits seit der Antike gelten symmetrische Proportionen und bestimmte Teilungsverhältnisse wie der Goldene Schnitt als schön und ästhetisch. Genauso eine Ästhetik kann auch im kreativen Mathematiktreiben der Kinder rekonstruiert werden. Um diese mathematisch kreativen Prozesse zu fördern, benötigen die Kinder mathematisch reichhaltige Situationen, in denen sie interagieren und so ihr kreatives Potenzial entfalten können. Als Materialien eignen sich nahezu alle Spielsachen, die im Kindergartenalltag zur Verfügung stehen (Kartenspiele, Seile, Bausteine, Kastanien...). Die Pädagoginnen und Pädagogen können im Alltag Spielsituationen anbieten, in welchen die Kinder gemeinsam und ko-konstruktiv mathematische Probleme und Lösungen entdecken. Dabei greifen sie originelle Ideen der Kinder auf und setzen diese um, wie im dritten Beispiel die erwachsene Begleitperson, die gemeinsam mit den Kindern Schnecken aus den Seilen formt. Wichtig ist hier vor allem, dass sich die Fachkraft flexibel auf die Interpretationen und Deutungen der Kinder einlassen und mit diesen weiterarbeiten kann.
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