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Wertschätzung – fast hat man das Gefühl, das Wort dieser Tage in der Pädagogik ein bisschen zu oft zu hören. Und doch ist es auch Ausgangspunkt meiner Überlegungen zum Thema, wie es uns gelingen kann, Eltern zum Mitarbeiten zu motivieren – besonders, wenn es um die Integration von Kindern verschiedener Kulturen geht.
Sinngemäß bedeutet Wertschätzung, die eigenen und die Werte der anderen zu schätzen. Doch was ist Voraussetzung dafür? Ich muss mir meiner Werte bewusst und bereit sein, die der anderen kennenzulernen. Durch eine offene, reflexive Auseinandersetzung kann ich meine Motive und die anderer verstehen. Ich mache mir das eigene Wertesystem immer wieder aufs Neue bewusst und versuche, mich in das Wertesystem der Eltern hineinzudenken. Als Grundhaltung ist diese Wertschätzung für mich handlungsleitend – erst recht, wenn ich eine Kooperation mit Eltern anstrebe, die über die üblichen Beteiligungsformen von Eltern hinausgeht. Zusammenarbeit mit Familien ist der gesetzliche Auftrag von Kitas und auch eines der drei Handlungsfelder im Bundesprogramm Sprach-Kitas (siehe Kasten). Denn demokratisches Lernen beginnt in der Kita.
Wir sind seit 2016 eine Sprach-Kita. Durch Fortbildungen und regelmäßiges Monitoring wird geprüft, ob wir uns an den Bedürfnissen der Familien, viele davon mit Migrationshintergrund, orientieren und sie angemessen beteiligen. Vorausgesetzt wird, dass sich das gesamte Team vertieft und kontinuierlich mit dem Thema auseinandersetzt. Das allein reicht jedoch nicht für eine wertschätzende Kooperation mit den Eltern, um Kinder im pädagogischen Alltag zu fördern. Zu unterschiedlich sind oft Erziehungsziele und Haltung. Durch folgende Szene wird deutlich, wie Kooperation – auch unter Berücksichtigung kultureller Diversität oder möglicher Sprachbarrieren – gelingen kann.
Während der Hol-und-Bring-Situation halte ich mich gern im Flur auf, um Eltern zu begrüßen. Als zusätzliche Fachkraft muss ich nicht im Gruppendienst arbeiten, sondern habe dafür Zeit. Da ich als Ansprechpartnerin für Fragen zur Sprachentwicklung aller Kinder gesehen werde, gibt es viele Gesprächsanlässe. So kam ich vor neun Monaten mit einer Mutter aus Indien – nennen wir sie Esha – ins Gespräch. Sie erzählte mir auf Englisch von ihren Erfahrungen als Mutter und Lehrerin in Indien und bot an, diese in die Kita einzubringen. Dafür war das ganze Team offen. Als äußeren Rahmen und im Hinblick auf Folgeaktionen erfanden wir „Family@ Kita – monatliche Angebote von Familienangehörigen für Kitakinder“– das gerade natürlich wegen Corona nicht stattfinden kann. Wir stellten uns vor, dass sich dadurch möglichst viele Familienangehörige angesprochen fühlen würden, eigene Kompetenzen ohne Einbindung in unsere laufende Projektarbeit einzubringen.
Im Vorbereitungsgespräch mit Esha wurde deutlich, dass sie an lehrerzentrierte, produktorientierte Methoden gewöhnt ist. Wir hatten Bedenken, inwieweit sie die ihr fremden Kinder ohne deutsche Sprache würde anleiten können und ob sich unsere Kinder – wir arbeiten Reggio-inspiriert – darauf einlassen würden. Ich bestärkte Esha darin, etwas Einfaches mit den Techniken zu basteln, die viele unserer Kinder schon beherrschen. Sechs Kinder meldeten sich spontan zu der Aktion – eine heterogene Gruppe, was Entwicklungsstand, Fertigkeiten und Kompetenzen betraf. Im Wechsel von Vormachen und Nachmachen stellten die Kinder Kreisel aus Recyclingmaterial her. Die begleitenden Erklärungen konnten sie nicht verstehen. Stattdessen mussten sie aufmerksam zu Esha hinsehen und Schritt für Schritt ihre Bastelanleitung nachmachen. In dieser Situation waren die deutschsprachigen Kinder genauso gefordert wie die Kinder mit anderen Familiensprachen. Mithilfe von Gesten und gegenseitiger tatkräftiger Unterstützung wurden die Kreisel fertig und mittags stolz den Eltern präsentiert. Danach wollten auch andere Mütter etwas mit den Kindern machen, „um die Erzieherinnen zu unterstützen“, „weil ich gern etwas mit Frau B. zusammen mache“, „weil ich Kinder mag“, „weil ich Zeit habe“, „weil es meinem Sohn gefällt“, „weil ich in meiner Sprache vorlesen möchte“. Die Motivation, sich an einer Family@Kita-Aktion zu beteiligen, beruht ganz auf den Interessen der Familienangehörigen; das ist eine sehr gute Voraussetzung für kontinuierliches Engagement. So sagte eine Mutter: „Das macht Spaß. Das ist doch keine Arbeit.“
Besonders in den verschiedenen Sprachen wird die soziokulturelle Vielfalt unserer Elternschaft offensichtlich. Es hilft den Eltern und uns, wenn wir eine gemeinsame Sprache finden, mithilfe derer wir uns verständigen können. Wie gut, dass in unserem Team viele Muttersprachen vorkommen, sodass wir leichter den ersten Schritt machen und die Eltern einladen können, mit uns über ihre vielfältgen Interessen zu reden. Denn die Verantwortung für die Zusammenarbeit liegt laut Paragraf 22 Sozialgesetzbuch Achtes Buch bei den Fachkräften.
Wo Sprachbarrieren vorliegen, ist es besonders wichtig, den Eltern mit einer offenen, respektvollen Haltung zu begegnen und sich verständlich auszudrücken. Einige der pädagogischen Fachkräfte teilen die Erfahrung von Migration mit den Eltern. Auch das macht es leichter, die Wertesysteme der anderen zu verstehen. Das Bild vom Kind sowie das eigene Rollenverständnis sind kulturell geprägt. Dabei ist es keinesfalls so, dass Eltern mit Migrationshintergrund vollkommen andere Vorstellungen hätten als deutsche Eltern. Ein Migrationshintergrund ist letztlich nur eine Typisierung von vielen und erlaubt auf keinen Fall eine Prognose für Wertekonflikte.
Gemeinsames Handeln muss in dialogischen Aushandlungsprozessen entstehen. Der Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha entwickelte dafür das Konstrukt des dritten Raums: ein Ort, an dem sich Differenzen ohne Hierarchisierung treffen, wo man das Eigene im Fremden anerkennen kann und sich mit Bewertungen zurückhält. Wir haben damit sowohl innerhalb des Teams als auch mit den Eltern gute Erfahrungen gemacht. Im offenen Konzept der Reggiopädagogik sind Respekt für das Kind und Wertschätzung seiner Familie handlungsleitend. Die Family@Kita-Angebote bieten den Kindern zusätzliche Erfahrungen und neue Begegnungen. Dabei ist es verhältnismäßig einfach, einen Minimalkonsens über Basteln, Backen, Sportspiele oder Musizieren zu finden. Fachkräfte und Eltern haben ein überschaubares gemeinsames Ziel vor Augen, von geringer KomBild: © gettyimages/Ariel Skelley plexität und geringen Risiken. Es geht weder darum, durch die Eltern Entlastung auf organisatorischer Ebene zu erfahren, noch, sie von unseren Vorstellungen zu überzeugen. Es geht darum, offen für die Perspektive der anderen zu sein. Es geht um Kooperation und Wertschätzung für die pädagogische Arbeit des Gegenübers. So ist – anders bei Elterninformation, Elternberatung und Elternbildung – im Kontext der von den Eltern initiierten Aktionen eine Begegnung auf Augenhöhe möglich, wenn die Fachkräfte es zulassen.
Selbstverständlich ist die Zusammenarbeit mit den Familien bei uns konzeptionell verankert und erwünscht. Dass Familien mit Migrationshintergrund ihre kulturellen Ressourcen mit uns teilen wollen, ist neu. Vielleicht sind diese Aktionen möglich geworden, seit wir bewusst eine wertschätzende Haltung, eine Willkommenskultur auf kommunikativer und emotionaler Ebene leben. So haben wir die Flaggen und Sprachen der Herkunftsländer unserer Familien im Eingangs- sowie im Elternbereich präsentiert. Tür-und-Angel-Gespräche werden achtsam und feinfühlig geführt – oder ein geeigneter Raum dafür gesucht. Statt abwertend über Kinder und Familien zu reden, haben wir die kollegiale Fallberatung als Methode etabliert. Das ist ein zeitlicher und personeller Aufwand, den nicht jede Kita leisten kann. Leider. Dabei ist es einfach, Eltern auf ihre offensichtlichen Kompetenzen hin anzusprechen, sie einzuladen, mit den fremden Kindern das zu machen, was ihrem eigenen Kind daheim gefällt. Eltern wirken mit, wenn sie es können und es sich für sie lohnt. Wenn es ihrem Kind in der Kita gut geht, beteiligen sie sich eher. Wenn sie eine Form der Mitarbeit sehen, die ihnen entspricht und die auch von den pädagogischen Fachkräften geschätzt wird, engagieren sie sich.
Als Fachkraft begleite ich die Aktionen vom Anfang bis zum Ende und erfülle dabei unterschiedliche Aufgaben. Ich bin verantwortlich für die Rahmenbedingungen, halte mich bei der Durchführung zurück und sehe mich vor allem in der Rolle der Gastgeberin. Ich trage Sorge, dass das Elternteil sich während der Aktion wohlfühlt. Die Aufsichtspflicht über die Kinder bleibt immer bei mir. Im Vorfeld habe ich die Interessen und Möglichkeiten des Elternteils erfragt, berate bei Bedarf auch während der Vorbereitung. Ich kann über mögliche pädagogische Methoden und Ziele informieren und – wenn erwünscht – ein Feedback geben und annehmen. Ich dokumentiere die Aktion für die Wände und Portfolios. Diese öffentliche Anerkennung ist wichtig für Eltern und Kinder. Es motiviert andere zum Nachmachen. Aufgrund der wechselnden Aufgaben habe ich daher wechselnde Rollen. Klarheit darüber ist für mich selbst und gegenüber den Eltern wichtig. Hilfreich sind sprachliche Signale wie: „Wollen Sie jetzt loslegen? Dann setze ich mich an die Seite und mache die Fotos.“ – „Ich begleite die Kinder auf die Toilette, damit Sie in Ruhe basteln können.“ – „Möchten Sie erfahren, wie wir mit der Situation umgehen?“
Eine gelungene Aktion kann die Zusammenarbeit mit den Eltern verbessern, weil sie sich beteiligen können und akzeptiert fühlen. Der Pädagoge Martin R. Textor schreibt 1997 zum Thema Erziehungspartnerschaft: „Im besten Fall realisiert sich die Zusammenarbeit in einem dynamischen Kommunikationsprozess, in der wechselseitigen Öffnung von Familie und Kindertagesstätte. Dies setzt gegenseitiges Vertrauen und Respekt voraus – Haltungen, die sich auch auf das Kind positiv auswirken.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert.
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