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Wenn Sie die Wörter Trauma oder traumatisierend hören – woran denken Sie dann? Welche Assoziationen, Bilder oder Gedanken kommen Ihnen hier als Erstes in den Sinn? Stellen Sie sich nun bitte die folgenden Szenarien vor:
Was denken Sie? Welche Erfahrungen können für die Kinder traumatisierend sein? Um diese Frage beantworten zu können, zunächst einige grundsätzliche Fakten: Der Begriff Trauma, der sich aus dem Altgriechischen ableitet, bedeutet Wunde oder Verletzung und wird sowohl im medizinischen als auch im psychologischen Bereich verwendet. Seelische Wunden werden als psychische Traumata bezeichnet. Typischerweise assoziieren wir mit dem Begriff das plötzliche, unerwartete Erleben von extremen, psychisch belastenden Ereignissen, die lebensbedrohlich sind oder die körperliche Unversehrtheit infrage stellen, wie es bei Raubüberfallen, sexuellen Übergriffen, Kriegserfahrungen, Unfällen und Naturkatastrophen der Fall ist.
Nach dem Erleben derartiger Ereignisse kann als Reaktion ein Trauma – genauer: eine Traumafolgestörung wie eine Posttraumatische Belastungsstörung – entstehen, die von einer Fachärztin oder einem Psychotherapeuten anhand bestimmter Kriterien festgestellt werden muss. Erforderlich ist die Identifikation der vorausgegangenen extrem belastenden, externen Ereignisse, ohne deren Auftreten die Traumafolgestörung nicht hatte entstehen können, sowie Symptome in unterschiedlichen Bereichen. Bereits unmittelbar nach dem Erleben solch einschneidender Ereignisse zeigen die meisten Menschen intensiv ausgeprägte Reaktionen wie Ängste, Verzweiflung oder Albträume, die nach Stunden bis Tagen wieder abklingen und als normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis einzuordnen sind. Erst wenn die Symptome über mehrere Monate bestehen bleiben, wird eine Traumafolgestörung diagnostiziert.
Objektiv vermeintlich weniger gravierende Ereignisse wie das vorübergehende Verlieren der Mutter im Kaufhaus bewerten wir hingegen häufig als harmlose Schrecksituation. Doch ist das gerechtfertigt? Wie ist im Kontrast dazu das Erleben derjenigen Kinder einzuordnen, die in schädigenden Lebensmilieus aufwachsen und in einer Umgebung emotionaler Kalte, Abwertung oder Demütigung zurechtkommen müssen? Hier lasst sich das konkret auslosende traumatische Ereignis nicht eindeutig identifizieren. Entsprechend ist in der Fachwelt die Diskussion, welche Art und Form von Ereignissen konkret als traumatische Ereignisse anerkannt werden sollen, bisher noch nicht abgeschlossen.
Auffallend ist auch: Der Begriff des Traumas wird in unserer Alltagssprache immer häufiger zur Beschreibung von Situationen benutzt, die uns belasten oder nicht gefallen: „Sie hat ein Trauma, weil sie missbraucht wurde“ oder „Der Urlaub war echt traumatisch“ sind Aussagen die so oder so ähnlich zu hören sind. Die Grenze zwischen einer fachlich fundierten Diagnose und unserer Bewertung von Ereignissen als traumatisch verschwimmt. Nicht jeder Mensch, der aus dem Krieg geflohen ist, einen sexuellen Übergriff erlitten hat oder Gewalterfahrungen in der Kindheit ausgesetzt war, entwickelt zwangsläufig eine Traumafolgestörung. Entsprechende Studienberichtsergebnisse der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2020 legen nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, mindestens einmal im Leben ein potenziell traumatisches Ereignis zu erleben, für Erwachsene mit siebzig Prozent relativ hoch ist. Von diesen siebzig Prozent entwickelt jedoch nur ein verhältnismäßig geringer Anteil von zwei Prozent eine diagnostizierte Traumafolgestörung.
Entsprechende Zahlen für Kinder und Jugendliche schwanken starker und liegen vermutlich zwischen ein und vier Prozent. Folgt man Gottfried Fischer und Peter Riedesser, beide Psychotherapeuten und Psychoanalytiker, werden Situationen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit immer dann traumatisch verarbeitet, wenn die betroffene Person in der Situation von massiven Gefühlen der Hilf- und Schutzlosigkeit, Furcht, Entsetzen und Scham überwältigt wird. Es ist somit kaum möglich, auf objektiver Basis zu entscheiden, welche Ereignisse traumatisierend sein werden. Erinnern wir uns an die Szenen vom Anfang zurück: Jedes der vier Kinder konnte somit in der Folge seiner Erlebnisse entweder gar keine, milde oder sehr deutliche Traumasymptome entwickeln. So objektiv unterschiedlich die jeweils erlebten Situationen erscheinen mögen und so subjektiv unterschiedlich die Kinder reagieren könnten – eine traumatische Verarbeitung der Erfahrungen wäre bei jedem einzelnen Kind möglich und denkbar, sie muss aber nicht eintreten.
Je häufiger eine Person potenziell traumatische Ereignisse erlebt hat und je absichtsvoller diese Ereignisse gegen die eigene Person gerichtet waren, desto grösser wird die Wahrscheinlichkeit einer traumatischen Verarbeitung (siehe Kasten Seite 9). Darüber hinaus konnte die Forschung weitere Schutzfaktoren, aber auch Risikofaktoren identifizieren, die die Wahrscheinlichkeit, eine Traumafolgestörung zu entwickeln, moderieren.
Je früher und je häufiger Kinder mit potenziell traumatisierenden Ereignissen konfrontiert werden, umso gefährdeter ist ihr gesamter Entwicklungsprozess – insbesondere dann, wenn enge Bindungs- und Bezugspersonen zu den Verursachern gehören. Altersentsprechende Entwicklungsschritte können dann oft nicht, verspätet oder nur unvollständig vollzogen werden.
Eine möglichst schnelle Beendigung der traumatisierenden Situation sowie eine frühzeitige psychotherapeutische Behandlung und Unterstützung sind essenziell. Wenn das Umfeld nicht weiß, dass ein Kind mit einem potenziell traumatischen Ereignis konfrontiert worden ist, können Erwachsene erst dann aufmerksam werden, wenn sich das Kind verändert: ein von heute auf morgen nicht mehr altersgerechtes Verhalten, schnell und abrupt wechselnde Stimmungslagen sowie ein objektiv nicht situationsangepasstes Verhalten. Hier gilt: Je abrupter Veränderungen zum Ausdruck kommen, desto zugiger sollte das Kind professionelle Hilfe bekommen.
Häufig gehören pädagogische Fachkräfte zu den Ersten, die auf Veränderungen aufmerksam werden. Blaue Flecke am Körper, wiederholtes Einnässen oder Einkoten, Unkonzentriertheit oder auch aggressives, sexualisiertes Spielverhalten konnten Hinweise auf eine Traumatisierung sein – konnten aber auch andere Ursachen haben. Fachkräfte sollten derartige Beobachtungen ernst nehmen und dokumentieren, sich innerhalb des Teams austauschen und beraten und gegebenenfalls weitere Fachberatungen wie das Jugendamt hinzuziehen – idealerweise verfugt die Einrichtung über ein eigenes Kinderschutzkonzept, das Orientierung bietet. Gleichzeitig sollten die Beobachtungen auf einer sachlich beschreibenden Ebene mit den sorgeberechtigten Bezugspersonen des Kindes geteilt werden. Auf eine Bewertung der Beobachtungen oder gar eine Diagnosestellung sollte dabei unbedingt verzichtet werden. Idealerweise kann mit den Sorgeberechtigten gemeinsam ein weiteres Vorgehen abgestimmt werden.
Kinder passen sich an – egal welche Erfahrungen sie machen. Ihr Verhalten dient immer dazu, das eigene Überleben zu sichern, mit teils sehr unterschiedlichen und objektiv nicht immer hilfreichen Strategien: So lernt ein Kind, das wiederholt unvorhersehbaren gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt war, vermutlich, dass es wichtig ist, niemandem zu vertrauen. Traumatisierte Kinder verhalten sich im Alltag oftmals nicht vorhersehbar. Eine zu laut ausgesprochene Ermahnung, eine zu ruckartige Bewegung, eine kurze Berührung am Arm können dazu fuhren, dass die Kinder den Eindruck haben, (erneut) die Kontrolle zu verlieren, wütend und aggressiv werden, sich weinend zurückziehen oder erstarren. Man spricht von sogenannten Triggern, die Aspekte der traumatischen Situation wieder aktivieren und das subjektive Gefühl entstehen lassen, wieder in Gefahr zu sein. Hier muss ein pädagogischer Rahmen geschaffen werden, der korrigierende Beziehungserfahrungen ermöglicht. Diese Herausforderungen können auf Seiten der Fachkräfte aber auch mit Gefühlen von Überforderung und Hilflosigkeit einhergehen. Zusätzlich kann auch das Wissen um die konkreten traumatischen Erfahrungen der Kinder eigene Erinnerungen wachrufen und die subjektiv erlebte Handlungsfähigkeit und Handlungskompetenz einschränken.
Um eine negative Spirale der Belastung erst gar nicht entstehen zu lassen, sind sowohl eine bewusste Selbstfürsorge als auch berufliche Unterstutzungsangebote unerlässlich. Die Psychoanalytikerin und Nervenärztin Luise Reddemann, die sich intensiv mit der integrativen Behandlung von Traumafolgestörungen befasst, betont in ihren Arbeiten nachdrücklich, dass die psychische Gesunderhaltung der Fachkräfte, die in diesem Kontext arbeiten, deutlich mehr Beachtung und Anerkennung finden muss. Unter dem Stichwort Psychohygiene beschreibt sie auf unterschiedlichen Ebenen Handlungsmöglichkeiten, die zur individuellen Entlastung und damit zur eigenen psychischen Stabilität beitragen können. Neben Faktoren wie ausreichendem Schlaf, bewusster Ernährung und körperlicher Betätigung sowie ausgleichenden Aktivitäten und Hobbys sind Angebote auf professioneller und sozialer Ebene wichtige Bausteine der Psychohygiene. Dies können spezifische Trauma-bezogene Weiterbildungen, Supervisions- und Selbsterfahrungsangebote sein, aber auch verbindliche und regelmäßige Erholungszeiten, kollegiale Unterstützung, Vernetzung in Fachgesellschaften und ein unterstutzendes Arbeitsklima. ◀
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