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Ein Interview mit Ulrich F. Schübel
klein&groß: Sie leiten ein Institut, das sich vor allem mit Diversität beschäftigt. Was beinhaltet Diversity Management? Und warum finden Sie dieses Thema wichtig?
Ulrich F. Schübel: Bei Diversity Management geht es darum, die Diversität (= Vielfalt) von Menschen insgesamt und gleichermaßen Menschen individuell in ihrer Vielfalt wertzuschätzen und es zu ermöglichen, dass alle die gleichen Chancen bekommen, ihre Talente zu entfalten. Wichtig ist dies insbesondere, weil zahlreiche Studien belegen konnten, dass Chancen in der Gesellschaft und in den Organisationen, in denen wir im Rahmen unserer Arbeit einen guten Teil unseres Lebens verbringen, höchst unterschiedlich und eben nicht gerecht verteilt sind. Das zeigt sich in an vielen Stellen gut belegter Benachteiligung, z. B. wenn Menschen mit nicht deutsch klingenden Namen oder nicht akzentfrei deutsch sprechende auf Job- oder Wohnungssuche weniger und schlechtere Angebote bekommen, wenn Männern Führungspositionen eher zugetraut werden als Frauen, wenn die Kompetenz für technische Berufe bei Männern und für Sorge- und Betreuungsberufe eher bei Frauen gesehen wird.
Gelingt es einer Organisation und einer Gesellschaft, Chancen für alle und die Entfaltung von Talenten zu ermöglichen, so resultiert daraus nicht nur mehr individuelles Wohlbefinden, sondern eine höhere Leistungsfähigkeit und organisationaler Erfolg: Durch ein gutes Diversity Management gelingt es, vielfältige Kompetenzen, Erfahrungen und Sichtweisen in Lösungen zu vereinen, die dadurch besser sind, als wenn diese Vielfalt fehlt.
k&g: Warum ist es für uns manchmal schwierig, Vielfalt wertschätzend zu leben?
Schübel: Die Realität in Beruf und Gesellschaft zeigt uns – und das ist auch wissenschaftlich erwiesen und statistisch belegbar – dass alle Menschen Vorurteile und sog. „unconscious biases“ haben, also unbewusste Wahrnehmungs-, Urteils- und Erinnerungsverzerrungen, die aus der Art und Weise entstehen, wie menschliche Informationsverarbeitung abläuft. Dadurch machen wir „Fehler“ in unserem Denken und unserem Verhalten, die wir in der Regel nicht bemerken. Diese führen dazu, dass wir Menschen unbewusst diskriminieren und so eben keine gleichen Chancen für alle ermöglichen.
k&g: Auf welche Ziele setzen Sie im Umgang mit Diversität?
Schübel: Vor dem Hintergrund der Wertschätzung aller Menschen und der ethischen Verpflichtung, für alle Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen, leiten mich folgende Ziele:
Vorurteile sind stabile negative Einstellungen gegenüber Gruppen bzw. Personen, die dieser Gruppe angehören. Vorurteile beruhen oftmals nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern werden von Eltern, Bezugspersonen, innerhalb der Peergroup oder aus den Medien übernommen. Sie beinhalten beispielsweise Zuschreibungen von Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu Menschen mit bestimmten Diversitätsmerkmalen. Männer werden als zielstrebig und durchsetzungsstark beschrieben, Frauen als empathisch und sozial kompetent – das sind stereotype Zuschreibungen, die nicht zwangsläufig falsch sein müssen, aber sehr häufig nicht richtig sind. Auf Basis solcher Zuschreibungen kann dann allerdings Chancenungleichheit entstehen, wenn ich beispielsweise bei der Besetzung von Führungspositionen Männer bevorzuge, weil ich unbewusst denke, dass Führungskräfte durchsetzungsstark sein müssen.
Über diese Phänomene und ihre Wirkungen Bescheid zu wissen und sie in den Blick zu nehmen, führt allerdings nicht automatisch dazu, dass Menschen ihr Verhalten verändern. Dazu braucht es eine entsprechende Kompetenz und Motivation.
Wie muss ich handeln, um Diskriminierung und Chancenungleichheit zu verringern – allgemein und speziell in jeder hierfür relevanten Situation. Dazu brauchen Menschen die entsprechende Verhaltenskompetenz. Es reicht nicht zu wissen, wie man in einer Situation nicht handeln sollte, sondern man muss wissen, was gut ist im Sinne eines chancengerechten, nicht diskriminierenden, wertschätzenden Verhaltens. Diese Verhaltenskompetenz und -motivation aufzubauen ist – neben der Bewusstmachung, wie und wo z. B. Vorurteile wirken – Inhalt von Diversity-Trainings.
Um es Menschen leicht zu machen, diskriminierungsarm zu agieren, kann man beispielsweise „gewohnte“ Vorgehensweisen verändern. So zeigen viele Studien, welchen Einfluss bei Bewerbungen ein Foto und der Name der sich bewerbenden Person auf Auswahlentscheidungen haben. Um hier Chancengleichheit zu ermöglichen und zu verhindern, dass diesen Personen unbewusst weniger Kompetenz zugeschrieben wird und damit ihre Chancen auf ein Jobangebot sinken, wie zahlreiche Studien belegen konnten, kann man auf das Foto verzichten und die Namen für die auswählenden Personen schwärzen.
Ein weiteres Beispiel: Damit Menschen gleiche Chancen
erhalten, z. B. Frauen auf Karriere, braucht es kurzfristig Rahmenbedingungen für eine gelingende Vereinbarkeit von Beruf und privater Sorgearbeit, da gesellschaftlich bedingt Frauen nach wie vor stärker in ihrem Privatleben Sorgeaufgaben für Kinder und Angehörige tragen. Mittel- und langfristig jedoch muss es gelingen, dass Sorgeaufgaben gleichberechtigt von allen Geschlechtern übernommen werden.
Da wir als Beratungsorganisation in der Regel mit Organisationen zu tun haben, ist ein weiteres Ziel, Organisationen dabei zu unterstützen, allen Menschen strukturell und informell gleichberechtigte Teilhabe auf allen Ebenen und in allen Belangen zu ermöglichen. Dies gelingt umso besser und nachhaltiger, je stärker „Wertschätzung von Diversität“ als Wert in der Kultur einer Organisation verankert ist. Wichtig ist es daher, im Rahmen werteorientierter Organisationsführung das Wertesystem einer Organisation um diesen Aspekt „formal“ zu ergänzen, als „Haltungsziel“ einzufordern und diversitätsbewusstes Handeln als Aufgabe aller zu formulieren, insbesondere für die Gruppe der Führungs- und Leitungskräfte.
k&g: Unsere Leser:innen arbeiten in der Kita mit Kindern und deren Familien. Welchen Impuls würden Sie für dieses Arbeitsfeld bezüglich Diversität weitergeben?
Schübel: Da sich viele Stereotype und Vorurteile in der Vorschulzeit entwickeln und festigen, ist diese Zeit eine hierfür besonders prägende. So zeigen Studien, dass sich Gender-stereotype, beispielsweise welche Berufe „passen“ für Mädchen oder Jungen, am Ende der Vorschulzeit bereits weitgehend herausgebildet haben. Insofern ist es aus meiner Sicht – auch für unsere Gesellschaft der Zukunft – unglaublich wichtig, dass Kinder in der Kita mit hoher Kompetenz und Sensibilität für Diversity begleitet werden und eine entsprechende Elternarbeit gemacht wird. Somit können über Anregungen aus der Kita auch – soweit dies eben möglich ist – Kompetenzen in der elterlichen Erziehung hierfür wachsen. Für die einzelnen Mitarbeitenden sollten von Trägerseite Weiterbildungen zum Thema Diversität ermöglicht werden. In den Teams sollte dieses Thema kontinuierlich Gegenstand von Reflektion und Supervision sein. In der Gesamtorganisation geht es einerseits darum, den eigenen Wertekanon und seine Verwirklichung im Hinblick auf Diversität zu prüfen, und andererseits die etablierten Prozesse wie auch die genutzten Instrumente auf Diskriminierungsarmut weiterzuentwickeln und die Anwender:innen in diesen Prozessen und Instrumenten adäquat zu schulen, beispielsweise im Hinblick auf „unconscious biases" beim Einsatz von Beobachtungs- und Begutachtungsinstrumenten. Wissenschaftliche Studien zu Bildungsprozessen zeigen z. B. die Bedeutung von Geschlecht, Zuwanderungsgeschichte und Sprachkompetenz der Kinder, Bildungshintergrund und sozialer Schicht der Eltern etc. für Bildungsverläufe und beruflichen Erfolg. Ein gelingender Umgang mit Diversität in der Kita trägt dazu bei, dass Erfolg im weiteren Leben unabhängiger wird von solchen Faktoren, sondern vielmehr bestimmt wird durch Talente und Interessen der Kinder.
Dipl.-Psych. Ulrich F. Schübel studierte Psychologie und Jura an der Universität Würzburg. 2010 gründete er mit dem Institut für Diversity Management sein zweites Unternehmen und begleitet seit dieser Zeit zahlreiche Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Kompetenz und Wertschätzung von Vielfalt. Kontakt: www.diversity-institut.de
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