28.07.2021
Hanna Heinrich

Heterogenität in Teams — Vielfalt in Kitas positiv etablieren

Das Arbeiten in heterogenen Teams erfordert von pädagogischen Fachkräften in Kitas zunehmende Flexibilität, Einfallsreichtum und Anpassungsbereitschaft. Doch wie kann es gelingen, die Vielfalt in einem Team zu nutzen, um ein positives und erfolgreiches Miteinander zu gestalten? Lesen Sie hier wissenswerte psychologische Ansätze und Erkennt­nisse sowie praktische Handlungsempfehlungen rund um das Thema Diversität.

Die Welt im Wandel

Globalisierung, Digitalisierung und der demografischen Wandel verändern spürbar unsere Gesellschaft. Während die Anzahl internationaler Organisationen stetig steigt, immer neue Märkte er­schlossen werden und innovative Wege der Kommunikation und Vernetzung zu­nehmend das Gefühl von Grenzenlosig­keit vermitteln, führen veränderte Per­sonalstrukturen innerhalb von Organisationen zu zahlreichen neuen Anforderungen.

Eine solche Herausforderung, mit der sich derzeit auch Kitas konfrontiert se­hen, ist die zunehmende Diversität und die damit verbundene steigende Anzahl heterogener Teams.

Praktiker:innen im Feld des Diversität­managements stellen sich die Frage, auf welche Weise es gelingen kann, in einer Organisation Vielfalt als Wert zu etablie­ren. Schlüsselthemen dabei sind, wie et­wa die Zusammenarbeit in diversen Teams erfolgreich gestaltet werden kann oder welche psychologischen Pro­zesse und Faktoren entscheidend sind, um einen positiven Umgang mit der er­lebten Vielfalt zu ermöglichen.

Die zunehmende Präsenz der Thematik in der Praxis gab überdies den Anstoß für zahlreiche empirische Arbeiten. Auch wenn zu manchen Diversitätsdi­mensionen noch vergleichsweise weni­ge wissenschaftliche Forschungsbefunde vorliegen, gibt es doch interessante Hinweise auf bedeutsame Zusammenhänge zwischen der Teamzusammen­setzung und verschiedenen praxisrele­vanten Variablen, wie etwa dem gesammelten Wissensschatz oder der Fähigkeit, Probleme zu lösen.

„Ist bunt besser?“ – Was sagt die Forschung?

Viele wissenschaftliche Studien aus dem Bereich der Diversitätsforschung nutzen Gruppenvergleiche, um heterogene und homogene Arbeitsteams in verschiede­nen Variablen gegenüberzustellen. Da­bei zeigt sich beispielsweise, dass Diver­sität in einem Team die Entscheidungsqualität bedeutsam steigern kann, denn Vielfalt hilft, bekannte Entscheidungs­fehler zu vermindern.

Entscheidungsfehler sind in der Sozial­psychologie gut erforscht. Häufig ur­sächlich sind dabei sogenannte Heuris­tiken, d. h. kognitive Daumenregeln, denen wir unbewusst folgen. Auch wenn uns diese Regeln helfen, in unse­rem Alltag schnell und effizient Ent­scheidungen zu treffen, können sie den­noch dazu führen, dass wir die Auftretenswahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse in Entscheidungssituationen falsch einschätzen, uns von eigentlich unwichtigen Ankern beeinflussen lassen oder aber Informationen nur selektiv wahrnehmen und bewerten.

Die Forschung zeigt, insbesondere bei Nicht-Routine-Aufgaben kann der brei­tere Pool an Informationen und Erfah­rungen in heterogenen Teams helfen, derartige psychologische Fallstricke zu vermeiden und so die Entscheidungsfin­dungs- und Problemlösefähigkeit ver­bessern (u. a. van Knippenberg/Schippers 2007).

Auch in puncto Kreativität und Innovati­onsfähigkeit schneiden heterogene Teams besser ab als homogene Teams. Angesicht der anfangs beschriebenen Veränderungen ist dies natürlich von hoher praktischer Relevanz. So können diese Team-Merkmale beispielsweise dabei helfen, pädagogische Fachkräfte zu finden, für das eigene Team zu be­geistern und so auch langfristig zu bin­den (u. a. Bruch et al. 2010).

Weitere Befunde zeigen: Heterogene Teams lernen und wissen mehr. In einer Studie, die altersdiverse Teams unter­suchte, zeigte sich, dass Beschäftigte unterschiedlicher Generationen durch den Austausch von Erfahrungs- und Pro­zesswissen sowie technologischem Know-How enorm voneinander profitieren können (Bruch et al. 2010).

Entscheidend für den Erfolg des Wissensaustauschs in der Praxis war in die­ser Studie ein von Wertschätzung und Vertrauen geprägtes Teamklima. Dies wirft unmittelbar die Frage auf, wie es denn nun gelingen kann, all diese posi­tiven Befunde in die Praxis zu transferie­ren. Leider zeigt sich immer wieder, dass potenzielle positive Effekte von Proble­men und Konflikten überschattet wer­den, vor allem dann, wenn verschiedene Meinungen, Einstellungen und Werte­vorstellungen aufeinanderprallen und verhindern, dass Teams aus ihrer Diver­sität Nutzen ziehen können.

Vielfalt als positiven Wert etablieren

Empfehlungen für die Kita-Praxis sind hier folgende Kriterien zu beachten.

Strukturen im Team kennen und nutzen

Bei der Frage, wo man am besten ansetzt, um derartige Barrieren zu überwinden, können Strukturanalysen helfen, denn Diversität kann organisations- bzw. teamweise stark variieren. Folglich ist ein zentraler Schritt zu er­folgreichem Diversitätsmanagement, die Strukturen im eigenen Arbeitsumfeld zu betrachten. Basierend auf wis­senschaftlichen Erkenntnissen lassen sich so wichtige Handlungsfelder identifizieren und gezielt Maßnahmen für die Praxis ableiten.

Nehmen wir als Beispiel die Altersdiversität eines Kita-Teams. Je nachdem, ob sich das Team eher aus pädagogischen Fachkräften jungen, mittleren oder höheren Alters zusam­mensetzt, besteht unterschiedlicher Handlungsbedarf, der sich mit Hilfe einer Altersstrukturanalyse identifizieren lässt. Setzt sich ein Team vorrangig aus älteren Beschäftigten zusammen, ist es wichtig, vermehrt Nachwuchs zu suchen und innerhalb des Teams Tandems zu bilden, um potenzielle Wissensverluste durch das Ausscheiden älterer Mitglieder zu vermeiden. Ein Team aus Be­schäftigten vorwiegend jüngeren und mittleren Alters hingegen erfordert verstärkte Unterstützung in der Entwick­lung der Teamstruktur und der Gestaltung der künftigen Zusammenarbeit. Je nach Teamzusammensetzung ergeben sich also unterschiedliche Herausforderungen für Kita-Leitungen.

Diese zu erkennen ist bedeutsam, etwa um generationale Konflikte, aber auch Leistungs- und Motivationseinbußen zu vermeiden (Heinrich/Fischer/Rieke-Baulecke 2018).

Gemeinsame soziale Identität schaffen

 Was tun, wenn trotz alledem die wahr­genommenen Unterschiede überwie­gen und so kein positives Miteinander möglich ist? Hier bietet die sozialpsychologische Theorie der sozialen Identi­tät einen guten Ansatz. Gemäß dieser Theorie tendieren Menschen dazu, sich selbst und ihre soziale Umwelt in Grup­pen zu kategorisieren. Situationsabhän­gig können die salienten Gruppen wechseln, und genau diesen Aspekt kann man sich zunutze machen, um in­nerhalb eines Teams eine gemeinsame soziale Identität zu schaffen. Um dies zu ermöglichen, ist es wichtig, „Unterkate­gorien aufzubrechen“, d. h. Dimensio­nen, in denen sich Personen als unter­schiedlich wahrnehmen, aufzulösen und die Wahrnehmung auf übergeord­nete gemeinsame Eigenschaften zu len­ken und diese zu stärken. Konkret kann es helfen, gemeinsame übergeordnete Ziele zu stecken, gemeinsame Eigenschaften und den gegenseitigen Nutzen hervorzuheben. Ziel ist es, den Beteilig­ten positive Erfahrungen zu ermögli­chen, denn Personen, die gute Erfahrun­gen machen, geben diese weiter, und eine gemeinsame soziale Identität kann wachsen.

Kommunikation auf Augenhöhe

Kommunikation ist eine Fähigkeit, die wie keine andere sämtliche Bereiche un­seres Lebens tangiert. Auch in hetero­genen Teams nimmt Kommunikation ei­ne Schlüsselrolle ein. Ohne Kommunikation wäre es in vielen inter­aktiven Situationen nahezu undenkbar, Entscheidungen oder Abstimmungen zu treffen, Motivation zu schaffen oder kollektiv eine Aufgabe zu übernehmen.

Kommt es in einem Team zu Schwierig­keiten oder Fehlern, werden nicht selten Kommunikationsprobleme als Ursache identifiziert. Auch ein Blick in die For­schung verrät, schlechte Leistungen, Motivationsdefizite, fehlendes gegen­seitiges Verständnis und Stress sind nur allzu oft das Ergebnis gescheiterter In­formationsvermittlungsprozesse oder aber eines Mangels an Informationen (Haslam 2004).

Um ein Klima zu schaffen, das ein positi­ves Miteinander ermöglicht, sollte jegli­che Kommunikation den psychologi­schen Grundsätzen der Klarheit, Transparenz, Offenheit und Fairness fol­gen.

Wichtig ist, dass die angeführten Prinzi­pien dabei stets auf Gegenseitigkeit be­ruhen: Nehmen wir als Beispiel die Kom­munikation zwischen pädagogischer Fachkraft und den Eltern. Hier sind nicht nur seitens der pädagogischen Fach­kraft klare Worte notwendig, auch die Eltern sollten sich trauen, ohne Hemmungen das Gespräch zu suchen, Fra­gen zu stellen, Unklarheiten offen anzu­sprechen, über Erfolge und Misserfolge zu berichten.

Um dies in der Praxis umzusetzen, ist es wichtig, darauf zu achten, wertfrei und „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren. Gegenseitige Wertschätzung und ein hierarchiefreier Austausch sind mit ent­scheidend für das Empfinden interaktio­naler Fairness. Diese bildet zusammen mit (der gleichberechtigten Kommuni­kation positiver und negativer Nachrich­ten) zwei Grundpfeiler erfolgreicher Kommunikation.

Wie aus zahlreichen psychologischen Befunden hervorgeht, kann Fairness sich auf vielfältige Weise positiv auf Pro­zesse in einem heterogenen Team auswirken. So kann Fairness die intrinsische Motivation, Persistenz, Kreativität, Inno­vation sowie das Vertrauen erhöhen und zu einem stärkeren Zugehörigkeits­gefühl zum eigenen Team führen (Fischer/Niedernhuber/Frey 2012).

Wertschätzung als wichtigste Währung

Die Grundlage jeglicher Wertschöpfung – ob im wirtschaftlichen oder pädagogi­schen Kontext – bildet Wertschätzung. Keine Maßnahme kann fruchten, man­gelt es im zwischenmenschlichen Um­gang innerhalb eines Teams, im Kontakt mit der Kita-Leitung oder auch mit den Kindern und Eltern an gegenseitiger Wertschätzung.

Neben dem Elternhaus ist es der frühpä­dagogische Kontext, der bei Kindern enorm zur Manifestation von Einstellun­gen und Werten beiträgt. Pädagogische Fachkräfte können ihre Schützlinge folglich bedeutsam in ihrer Persönlich­keitsentwicklung unterstützen, indem sie ihren Selbstwert stärken, ihnen vor Augen führen, dass Vielfalt etwas Wert­volles ist und ihnen beispielsweise hel­fen, motivierende und positive Denk­muster zu erlernen. Um zu verhindern, dass diese so einfach anmutende und doch so schwierige „Lektion“ im Trubel des Tagesgeschäfts untergeht, ist es wichtig, sich immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen: „Bringe ich meinem Gegenüber im Alltag ausreichend Wertschätzung entgegen?“ „Gehe ich den Kindern als ein gutes Vor­bild voran?“

Erfolgreiches Diversitätsmanagement

Zur positiven Verankerung von Altersdi­versität in einer Einrichtung können bei­spielsweise Mentoring-Programme oder Tandem-Modelle etabliert werden. Ebenso gute Ansatzpunkte bieten be­darfsgerechtes Gesundheitsmanage­ment, lebensphasenorientierte Perso­nalarbeit und -politik sowie Maßnahmen zur altersgerechten Arbeits­platzgestaltung.

Bekannte Beispiele für geschlechtsspe­zifische Diversitätsmaßnahmen sind ge­schlechtsneutrales Recruiting oder sog. „Boys-/Girls-Days“. Diese Schnupperta­ge, wie sie häufig bereits in Schulen oder Hochschulen veranstaltet werden, können helfen, geschlechtsspezifische Barrieren abzubauen und junge Men­schen zu einer klischeefreien Berufs­wahl zu ermutigen.

Auch kulturelle Diversität lässt sich in Ki­tas auf vielfältige Weise fördern, z. B. mit einem interkulturellen interaktiven Feiertagskalender, entsprechenden Spiel- und Tanzveranstaltungen und ge­zielten Netzwerk-Angeboten, wie einem Kultur-Cafe.

Fazit

Heterogene Teams und erfolgreiches Diversitätsmanagement zahlen sich für Kitas in vielerlei Hinsicht aus. Neben po­sitiven Gruppeneffekten können sich Einrichtungen beispielsweise Wettbe­werbsvorteile in puncto Personal- und Potenzialgewinnung verschaffen. Stets anpassungs- und lernfähig zu bleiben ist dabei ebenso wichtig, wie den positi­ven Umgang mit Vielfalt auf allen Ebe­nen zu fördern.

Hanna Heinrich, promovierte Psychologin mit Schwerpunkt Personal- und Organisationsent­wicklung, Kita-Fachberaterin, Dozentin an der Hochschule Döpfer, University of Applied Scien­ces, in Regensburg und Köln.
Kontakt: info@hanna-heinrich.de

Literatur

Bruch, Heike/Kunze, Florian/Böhm, Stephan: Ge­nerationen erfogreich führen. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Manage­ment des demographischen Wandels. Gabler 2010
Fischer, Peter/Niedernhuber, Julia/Frey, Dieter: Führung und Werte: Humanistische Führung in Theorie und Praxis. ESMT 2012 Haslam, Alexander: Psychology in Organizations. The Social Identity Approach. Sage 2004
Heinrich, Hanna/Fischer, Peter/Rieke-Baulecke, Thomas (Hrsg.): Generationengerechte Führung. Das große Handbuch Personal und Führung in der Kita. Grundlagen und Anregungen für die Praxis. Carl Link 2018
Heinrich, Hanna/Punk, Julia: Kita-Teams generati­onengerecht führen. Kita aktuell 2021 Van Knippenberg, Daan/Schippers, Michaéla: Work Group Diversity, 58(1), 515-541. Annual Re­view of Psychology 2007

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