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Frau Facius, Sie sind vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Nigeria ausgewandert. Wie können wir uns Ihr Leben dort vorstellen?
Melanie Facius: Im Moment sehr trocken, denn es hat seit März erst zweimal kurz geregnet, obwohl wir uns eigentlich mitten in der Regenzeit befinden. Der Grundwasserspiegel ist deshalb auch sehr niedrig und seit Wochen bekommen wir kein Wasser mehr über unsere Pumpe ins Haus. Wir müssen es in Eimern aus dem Brunnen im Ort holen und dann nach Hause tragen, damit wir Wäsche waschen oder duschen können. Den Klimawandel und die Erderwärmung spüren wir hier sehr deutlich, das ist ein ernstes Problem für unseren Alltag. Wir leben in Abakaliki, das ist eine Stadt im Süden von Nigeria. Mein Mann ist in der Politik tätig, ich arbeite in einer NGO. Unsere zwei ältesten Söhne Maliq und Darren besuchen die zweite und achte Klasse einer privaten, bilingualen Schule, unser Jüngster, Moses (3) geht in den Kindergarten, der an die Schule angeschlossen ist. Dort sind die drei im Moment auch.
Schule und Kindergarten haben trotz Corona geöffnet?
Tatsächlich war es bis gestern Abend nicht sicher, ob die Kinder heute in den Unterricht und in die Kita gehen können. Aber nicht wegen Corona, es gibt hier zurzeit ganz andere Probleme. Es kommt immer wieder zu Entführungen – und damit zusammenhängend leider auch zu Schießereien. Im Land herrschen politische Unruhen, es gibt gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der Jugendbewegung, dem Militär und der Polizei. Zwar sind davon Zivilisten im Moment nicht betroffen, aber wir sind alle in Alarmbereitschaft. Deshalb schließen aktuell manche Bildungseinrichtungen – aus Sicherheitsgründen.
Die Pandemie ist also bei Weitem nicht das größte Problem, um das Sie sich sorgen müssen.
Das stimmt. Dennoch spüren wir die Pandemie hier natürlich auch. Im April 2020 wurden Schulen und Kitas für drei Monate komplett geschlossen, von Anfang Dezember bis Ende Januar noch einmal. Das hieß für meine drei Jungs Homeschooling, allerdings ohne jeglichen Distanzunterricht über Zoom oder andere Plattformen. Die Kinder mussten sich ihre täglichen Hausaufgaben von einem Schulserver herunterladen und dann alleine auf dem Handy oder dem Tablet abarbeiten. Da wurde nichts erklärt oder gemeinsam angesehen. Dafür hat die Schule das Ganze am Ende benotet. Wo da der Sinn war, frage ich mich bis heute. Vieles blieb in dieser Zeit natürlich an den Eltern oder – wer sich das leisten konnte – an den Nachhilfelehrer:innen hängen. Einige mussten sich erst einmal ein digitales Gerät zulegen, auf dem die Kinder arbeiten konnten. Der Kindergarten war in dieser Zeit ebenfalls geschlossen, so etwas wie Notbetreuung gab es nicht. Moses hat vierzehn Arbeitsbücher mit nach Hause bekommen, die er innerhalb der drei Monate ausfüllen sollte. Er ist aber erst drei Jahre alt. In Nigeria ist die Kita sehr verschult und Kinder müssen schon früh Schreiben und Rechnen lernen. Aber motivieren Sie einen Dreijährigen mal dazu, jeden Vormittag allein und ohne die Hilfe eines Erwachsenen Scheib- und Rechenaufgaben in einem Heft zu lösen …
Wie ist die Situation aktuell in Schule und Kita? Gibt es dort durch die Pandemie Maßnahmen wie Masken, Selbsttests oder kleinere Gruppengrößen?
Seit Februar haben alle Einrichtungen wieder geöffnet, allerdings kommt es immer wieder zu Schließungen, die dann als Ferien deklariert werden. Ob wegen Corona oder wegen der allgemeinen Sicherheit, ist manchmal nicht so klar. Bis vor einem Monat mussten die Kinder, Lehrer:innen und die Erzieher:innen in der Schule und im Kindergarten OP-Masken tragen – FFP2-Masken kann man bei uns gar nicht kaufen. Es wurde auch überprüft, dass auch wirklich jedes Kind jeden Tag eine neue Maske mitbringt. Das kann dann schon ins Geld gehen, vor allem, wenn man bedenkt, dass manche Familien hier fünf bis sechs Kinder haben, eine Maske circa 40 bis 50 Cent kostet und der durchschnittliche Monatslohn bei 50 Euro liegt. Selbsttests für das Fachpersonal oder für die Kinder gibt es nicht und mittlerweile sind auch die Masken keine Pflicht mehr. Das liegt vielleicht daran, dass wir in unserer Region wirklich sehr wenige nachgewiesene Infektionen hatten und auch die Sterberate nicht gestiegen ist. Wir haben zum Glück eine ganz andere Situation, als die Menschen in Brasilien oder Indien, wo das Virus wirklich wütet. Ein Versuch, in Pandemiezeiten mit kleineren Gruppen im Kindergarten meines Sohnes zu arbeiten, wäre übrigens unmöglich. Die Kapazitäten fehlen schlichtweg. Im Normalfall sind es bereits 25 bis 30 Kinder pro Gruppe – bei zwei Erzieher:innen und einem 15 Quadratmeter großem Raum. Die Kinder sitzen die meiste Zeit auf Plastikstühlen an kleinen Tischen und arbeiten in ihren Heften. Das alles ist überhaupt nicht vergleichbar mit einer deutschen Einrichtung. Und wie gesagt, das ist immer noch ein privater Kindergarten, für den wir viel Geld zahlen.
Gibt es in der Pandemie in irgendeiner Form finanzielle Unterstützung vom Staat – für Eltern oder für Arbeitnehmer:innen?
Nein. Es gibt keine Unterstützung für Eltern, und auch nichts Vergleichbares wie das Kurzarbeitergeld, das wir aus Deutschland kennen.
In Deutschland wurden Erzieher:innen bei der Impfpriorisierung in die Gruppe 2 hochgestuft. Wie sieht es in Nigeria beim Thema Impfen aus?
Es gibt hier nur Astrazeneca und viele in unserem Freundeskreis sind bereits geimpft. Das läuft hier so ab, dass man auf sein persönliches Handy eine SMS zugeschickt bekommt, mit der man sich für die Impfung registrieren kann. Danach kann man einen Termin ausmachen und sich impfen lassen. Eine Impfpriorisierung, die die Älteren und besonders gefährdete Menschen berücksichtigt, gibt es nicht. Erzieher:innen oder Lehrer:innen werden auch nicht priorisiert, sie sind an der Reihe, wenn sie die SMS bekommen und sich anmelden, wie alle anderen auch. Der ärmere Teil der Bevölkerung hat noch gar keinen Zugang zur Impfung, denn wir zahlen sie aus eigener Tasche. Deshalb denke ich mir oft bei all den Nachrichten, die ich aus Deutschland höre: Wir müssen echt wieder lernen, dankbar zu sein für das, was wir haben. Und uns daran erinnern, wie gut es uns eigentlich in Deutschland geht.
Melanie Facius, die ursprünglich aus München kommt, ist vor zwei Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach Abakaliki, Nigeria ausgewandert. Ihre Kinder Maliq (13) und Darren (7) besuchen dort eine private bilinguale Schule, Moses (3) den Kindergarten. Im Rahmen der Human Stiftung unterstützt die Familie Bildungsprojekte in Nigeria.
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