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Frau Kohnert, was macht für Sie die Qualität einer Kita aus?
Marie Kohnert: Um Qualität leisten zu können, müssen ein paar banale, aber unabdingbare Bausteine passen: der Personalschlüssel, die Räumlichkeiten, die finanziellen Mittel. Ein starker Träger, der die Partnerschaft zur Kita pflegt und sich mit pädagogischer Arbeit auseinandersetzt, ist außerdem enorm wichtig. Dann braucht Qualität definitiv eine Konzeption. In unserer steht, dass das Kind der Akteur seiner eigenen Entwicklung ist und im Alltag partizipieren soll. Wir haben zudem festgehalten, dass wir mit den Kindern auf Augenhöhe arbeiten, verschiedene Bildungsbereiche beachten, den Sozialraum einbeziehen und ein Ausbildungsort sind. Unverzichtbar ist zudem ein kollegiales Team, in dem jeder dieselbe Arbeitshaltung hat und dazu bereit ist, sich zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Ein letzter wichtiger Aspekt ist die Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Im Alltag muss man das authentisch leben, was man konzeptionell niedergeschrieben hat.
Und was macht für Sie die Qualität in Zeiten von Corona aus?
Im Grunde genau dieselben Punkte. Wir gewinnen momentan aber auch viel dazu. Dadurch, dass gerade etwas weniger Kinder da sind, können wir qualitativ mehr am Kind arbeiten. Die Aufmerksamkeit liegt nicht mehr auf 15 Kindern, sondern man kann sich ein Kind gezielt herausnehmen und mit diesem zum Beispiel intensiv Zeit im Werkraum verbringen. Ansonsten haben wir dafür oft nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung. Und was Qualität für uns im Moment ebenfalls ausmacht, ist, dass wir für die Familien eine Konstante darstellen. Es kristallisiert sich einmal mehr die Bedeutung von außerhäuslicher Betreuung heraus.
Können Sie das konkretisieren?
In Rheinland-Pfalz haben wir schon seit Längerem im Regelbetrieb mit dringendem Bedarf geöffnet. Die Eltern können ihre Kinder bei Bedarf also einfach bringen und ich versuche passende Betreuungslösungen zu finden. Man merkt, wie dankbar die Eltern dafür sind – auch wenn sie das Kind nur an einem Tag für zwei Stunden bringen können. Zudem hat der Austausch zwischen den Familien und Fachkräften zugenommen. Wir rufen an oder verschicken Postkarten, damit die Familien merken: Wir sind da und haben ein offenes Ohr.
Wo sehen Sie momentan die größte Herausforderung bei der Wahrung und Entwicklung der Qualität?
Was gerade am meisten Raum einnimmt, sind die Richtlinien, Vorgaben und Hygienepläne. Ich bekomme ständig neue Informationen und muss diese für Eltern, Fachkräfte und den Träger herunterbrechen. Zudem möchte ich alles transparent machen und Neuerungen schnell im Kita-Alltag umsetzen. Bei all diesen Änderungen finde ich es anspruchsvoll, immer auf dem neuesten Stand zu sein und allen gerecht zu werden. Gleichzeitig muss ich aufpassen, dass wir das Wesentliche, unsere pädagogische Arbeit, nicht aus dem Blick verlieren. Was auch noch dazukommt: Wir müssen für die Familien da sein, deren Kinder schon seit Monaten nicht in die Kita kommen. Die wichtigste Frage lautet dabei: Wie erreiche ich diese Familien? Eine weitere Herausforderung ist die Arbeitsmotivation des Teams. Unter meinen Mitarbeitenden wachsen Frust, Unverständnis und Ängste. Von der Politik fühlen wir uns in vielen Punkten alleingelassen. In den Nachrichten wird oft gesagt, dass die Kitas geschlossen sind und sie wieder öffnen sollen – dabei sind wir schon die ganze Zeit offen!
Haben Sie durch die Pandemie und die damit einhergehenden Verordnungen das Gefühl, Abstriche bei der Qualität machen zu müssen?
Ja, denn eigentlich ist die Offene Arbeit ein großer Schwerpunkt bei uns. Aber seit wir Settings bilden müssen, können wir diese nicht mehr ausüben. Für die Kinder ist das eine Herausforderung. Sie sind es nämlich gewohnt, selber entscheiden zu können, wo sie hingehen. Auch beim Essen, das bei uns normalerweise als Büfett serviert wird, müssen wir uns umorganisieren und den Kindern alles vorsetzen. Das entspricht gar nicht unserer Haltung. Dasselbe gilt für den Bindungsaufbau mit den Familien bei der Eingewöhnung. Auch hier mussten wir Abstriche machen. Dazu kommt das Tragen der Masken, das für mich einen inneren Konflikt zwischen Selbstschutz und pädagogischer Haltung darstellt. Die Mimik und Gestik ist unabdingbar für einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe. Bei der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen mussten wir uns auch stark einschränken. Normalerweise pflegen wir einen engen Kontakt mit der anderen Kita im Ort, der Grundschule und dem sonstigen Sozialraum. Das liegt im Moment alles brach.
An Verordnungen ist nicht zu rütteln und Möglichkeiten zur eigenen Gestaltung sind kaum vorhanden. An welchen Stellen schaffen Sie es trotzdem, die Qualität zu wahren?
Ein wichtiger Aspekt sind Teamsitzungen. Ich habe bei Leitungskonferenzen von vielen Einrichtungen gehört, die seit Monaten keine mehr abhalten. Ich dagegen habe von vornherein entschieden, dass wir Teamsitzungen machen. Durch unser neues Gebäude haben wir genug Platz, um Abstand zu halten. Dann haben wir den regelmäßigen Austausch zwischen uns, den Kindern und ihren Familien intensiviert. Tür-und-Angel-Gespräche gibt es immer noch – natürlich mit Maske. Denn die Eltern haben gerade viel Redebedarf. Deswegen führen wir nach wie vor auch Elterngespräche. Die haben wir aber nach Dringlichkeit kategorisiert und bieten zusätzlich Telefonate an. Zudem versuchen wir auf unsere Weise an der Arbeit mit den Kindern, die in die Schule kommen, festzuhalten. Denn die ist bei den Eltern oft ein großer Sorgenfaktor. Wir haben den Vorschulkindern, je nach Interesse, individualisierte Projektkörbe gepackt. Außerdem haben wir Bucket-Listen mit Aufgaben geschrieben. Die Kinder erledigen sie daheim und schicken uns dann Fotos oder Briefe zurück in die Kita. Wir stellen die Arbeiten aus oder nehmen sie in die Portfolio-Ordner auf.
Gibt es Bereiche, in denen es trotz Pandemie gelingt, die Qualität weiterzuentwickeln?
Wir merken gerade, wie unglaublich flexibel wir sind. Als wir ständig neue Gruppen bilden mussten, habe ich mit meiner stellvertretenden Leitung jede Woche verschiedene Dienstpläne geschrieben. Damit das reibungslos klappt, müssen meine Mitarbeitenden das mittragen. Zum Beispiel haben wir ein Kind mal bis 18.30 Uhr betreut, obwohl wir regulär bis 16 Uhr geöffnet haben. Denn in dieser Zeit sollten wir uns nach den Bedarfen der Familien richten.
Sie haben bereits angedeutet, dass es mit der Motivation manchmal schwer ist. Wie schaffen Sie es, Ihr Team dennoch zu motivieren?
Ich gehe gerade viel in den Kita-Alltag hinein, um Stimmungen abzufangen. Da ich eine chronische Erkrankung habe, halte ich mich momentan eigentlich eher zurück und arbeite im Büro. Aber ich möchte wissen, was die Kollegen beschäftigt. Zusätzlich habe ich gerade erst Mitarbeitergespräche geführt, obwohl wir die bereits im Oktober hatten. Aber so hatten alle in einem geschützten Raum die Chance, ihrem Ärger Luft zu machen und sich vieles von der Seele zu reden. Der Redebedarf im Team ist momentan groß. Deswegen achte ich darauf, jeden dort abzuholen, wo er gerade steht. Dann versuche ich ein positives Vorbild zu sein. Mich frustrieren die Dinge auch, aber das behalte ich für mich. Es gehört zur Professionalität dazu, dass ich meine Meinung mitunter mal kundtue, aber nie zu extrem oder subjektiv bin. Ich finde es auch wichtig, die Stimmungen der Teammitglieder zu sammeln. Wenn sich mehrere Punkte gleichen, gebe ich diese an den Träger weiter und schaue, dass die Anliegen nicht im Sande verlaufen. Ich möchte, dass die Mitarbeitenden sich wahrgenommen fühlen. Und darüber hinaus versuche ich, ihnen die Chance zu geben, für kurze Zeit aus dem Alltag auszusteigen. Es tut zum Beispiel gut, an einer Online-Fortbildung teilzunehmen. Das lenkt ab und man kommt auf andere Gedanken.
Wo lassen Sie als Leitung Ihren Stress ab?
Ich habe Online eine Supervisorin. Ansonsten kommuniziere ich meine Anliegen mit dem Träger. Meine Mitarbeiter kennen natürlich ein Stück weit meine Meinung. Trotzdem können sie sich generell anders über die momentane Situation auslassen als die Leitung. Ich muss objektiv bleiben. Andernfalls würde ich mich selbst verlieren. Denn ich muss die vielen subjektiven Meinungen bündeln und über den Geschehnissen stehen. Das Team kann seine Meinung meinetwegen auch mal etwas lauter kundtun. Ich dagegen ziehe mich aus gewissen Diskussionen persönlich heraus und nehme die professionelle Position der Leiterin ein.
Gibt es Veränderungen aus Ihrem Alltag mit Corona, die Sie nach der Pandemie gerne beibehalten möchten?
Ich habe in Leitungskonferenzen von einigen Einrichtungen gehört, die bislang offen gearbeitet haben und dennoch die derzeitigen Gruppen-Settings künftig zumindest teilweise beibehalten möchten. Das will ich für uns nicht. Im Gegensatz zur Flexibilität in der Elternarbeit. Gerade bei der Transparenz hatten wir durch die Pandemie große Zugewinne. Oft wollen die Eltern nämlich von den Kindern wissen, was den Tag über passiert ist, bekommen als Information aber nur: „Ich habe gespielt.“ Dafür haben wir jetzt einen Schaukasten vor dem Gebäude montiert. Einmal in der Woche schreibt ein Mitarbeiter dafür einen Brief und macht Bilder, damit die Eltern wissen, was bei uns passiert. Momentan ist zudem eine Homepage in Planung, auf der wir diese Arbeit fortführen können. Außerdem wollen wir zukünftig mehr über den Tellerrand hinausschauen. Zum Beispiel bei der Vorschul- oder Projektarbeit. Hier kann man den Kindern auch mal etwas mit nach Hause geben, das sie erledigen und wieder mit in die Kita bringen können. Denn wir wollen ihnen lebenspraktische Kompetenzen mit auf den Weg geben und darunter fällt unter anderem Selbstorganisation. Und ganz wichtig: das viele Händewaschen (lacht). Denn mit den ganzen Hygienemaßnahmen sind die Fachkräfte viel weniger krank.
Marie Kohnert hat Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Frühe Kindheit studiert. Seit Februar 2020 leitet sie die neu gegründete Kita „Schöne Aussicht“ in Straßenhaus, Rheinland-Pfalz, die nach dem Offenen Konzept arbeitet.
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