Heide Grehl: Was steckt hinter der Aktion mit dem Hashtag #WirSindDa?
Carsten Höhn: Dahinter steckt ein Projekt von Kitas aus unserem Verband, die sich in der Corona-Zeit nicht genug gesehen gefühlt haben. Sie fordern Respekt ein, sagen aber auch klar: Wir waren und sind weiterhin da für Kinder und Eltern und wir erfüllen aus einem Selbstverständnis heraus unsere gesellschaftliche Aufgabe.
Warum haben Sie diesen Hashtag gewählt?
Den Hashtag haben wir gewählt, weil wir das Gemeinschaftsgefühl ansprechen, aber auch eine positive Botschaft senden wollen. Viele Leitungskräfte und Mitarbeitende in den Kitas haben sich sehr belastet gefühlt durch die Pandemie und tun das auch immer noch, sie haben großen Organisationsaufwand, aber: Sie geben nicht auf. Das hat uns sehr beeindruckt. Denn die Leute wollen weiterhin wertvolle pädagogische Arbeit leisten. Das drückt dieser Hashtag #WirSindDa ganz gut aus. Er lässt aber auch Interpretationsspielraum offen. Wir wollten keine Perspektive vorgeben, sondern den Raum öffnen für mehrere Ansichten. So sagen die einen: Uns geht’s gut in der Kita, wir fühlen uns sicher und geschützt. Andere wiederum sagen: Wir fordern mehr ein. Wir wollen frühere Impfungen und bessere Testkonzepte. Das sind politische Forderungen, die in den Videos auch ihren Platz haben.
Wie waren die Reaktionen auf die Videos?
Das erste Video, das wir online gestellt haben, hatte nach kurzer Zeit 8.000 Aufrufe. Mittlerweile sind es weit über 9.000. Die Reaktionen von Fachkräften waren sehr positiv, wir haben viele Likes und tolle Kommentare bekommen. Die Kitas, die mitmachten, haben mir gesagt, dass sie das Gefühl hatten, als Team etwas gemeinsam machen zu können und mutig zu sein – trotz Pandemie, trotz oftmals dünner Personaldecke. Auch die mediale Aufmerksamkeit ist total gestiegen. Die Online-Ausgabe des „Spiegel“ etwa ist auf uns zugekommen und hat dann ein Dossier zusammengestellt, in dem verschiedene Kita-Leitungen zu Wort kamen. Das zeigte uns: Das Thema Kita ist auch hier angekommen. Plötzlich ging es nicht mehr nur um den Schulbereich. Uns hat das alles bestärkt: Man kann auch im Kita-Bereich solche Social-Media-Aktionen machen und Unterstützungspotenziale entwickeln. Das war für uns ein neuer Weg. Da ist es natürlich völlig verständlich, dass viele Fachkräfte Hemmungen haben, vor die Kamera zu treten. Es gab aber auch Kitas, bei denen fast jede Fachkraft gesagt hat: Ich trau mir das zu, ich mache mit. Und es muss ja auch kein perfekter Text aufgesagt werden. Uns war wichtig, dass die Filme authentisch wirken und direkt aus der Praxis kommen.
Die Kitas haben Ihnen also Videos geschickt, die Sie dann zusammengeschnitten haben?
Ja, genau. Wir haben einen Aufruf gestartet bei unseren Kitas im Verband und sie gebeten, uns etwas zuzusenden. 25 Kitas haben mitgemacht und uns zum Teil mehrere Filme geschickt, die Beiträge haben wir dann zusammengeschnitten und in insgesamt drei Teilen auf unserem Youtube-Kanal und bei Instagram veröffentlicht. Sofern es in den Kirchengemeinden oder -kreisen eigene Kanäle gibt, konnten die Videos natürlich auch dort veröffentlicht werden.
Gab es eine Szene in den Videos, die Sie besonders stark finden?
Eine einzige kann ich hier gar nicht nennen. Ich war beeindruckt, was die Kitas sich alles ausgedacht haben. Von einem Herz aus Alltagsmasken, über Erzieherinnen im Handstand bis zu einem Drohnenflug über die Einrichtung. Wir hatten ja keine Vorstellung, was alles kommen kann und wollten bewusst auch nichts vorgeben. Wir haben eben nur gesagt: #WirSindDa ist unser Aufhänger, ihr seid aber ganz frei in der Umsetzung.
Es gab auch sehr deutliche Forderungen: So sagte eine Kollegin, dass die Landesregierung keine klaren Vorgaben macht …
Ja, es wurden verschiedene Adressaten angesprochen und die Fachkräfte sollten es genau so formulieren, wie sie es empfinden. Viele haben auch erwähnt, dass überall steht: Die Kitas sind zu – in Wahrheit aber galt flächendeckend in Schleswig-Holstein eine Notbetreuung. Wenn man dann in die Kitas reingehört hat, wurde auch schnell klar, dass sie gut ausgelastet sind. Natürlich hatten die Fachkräfte auch Sorgen und Ängste wegen erhöhter Ansteckungsgefahr. In der Zeit, als die Videos entstanden, verbreitete sich gerade die britische Mutante und keiner wusste, wie die Übertragung durch die Kinder ist. Der Gesundheitsschutz, so haben es viele empfunden, stand da nicht mehr an erster Stelle. Und nachdem die Notgruppen im ersten Lockdown stark begrenzt waren und klar formuliert wurde, wer Anspruch darauf hat und wer nicht, war es im zweiten Lockdown anders. Die Notgruppen wurden erweitert – das war dann schon oft mehr als reine Notbetreuung. Das ist etwas, was viele Leute, die keine Kinder haben und nicht in dem Bereich arbeiten, überhaupt nicht mitbekommen.
Ihre Aktion will Aufmerksamkeit schaffen. Was brauchen denn Fachkräfte noch, damit man sie sieht?
Aufmerksamkeit ist das eine. Anerkennung und Unterstützung von Eltern, Politik und Gesellschaft im Allgemeinen das andere. Dann können viele Forderungen besser und gemeinsam umgesetzt werden.
Warum werden die Fachkräfte denn oft nicht gesehen?
Das ist eine gute Frage! Das haben wir im Verband auch diskutiert. Liegt es an der medialen Darstellung? Sicher zum Teil, weil andere Themen vieles überlagern. Aber auch an anderen Aspekten. Es kann gut sein, dass auch vor Corona ein paar Sachen verschlafen wurden und es eben nicht geschafft wurde, diesen Bereich nach vorne zu stellen in der öffentlichen Wahrnehmung. In der Pandemie haben dann deutlich mehr Leute gemerkt: Kitas sind eine tragende Säule in der Gesellschaft, Kitas sind systemrelevant. Wenn ich mein Kind nicht dorthin bringen kann, sind wir am Rudern und wissen gar nicht, wie wir das stemmen können. Ich glaub nicht, dass wir Corona dafür dankbar sein sollten, ich denke aber auch, dass es nachhaltig Effekt haben wird. Und ich hoffe, dass der Kita-Bereich die Chance ergreift, langfristig Anerkennung zu erhalten. Daran muss man jetzt anknüpfen.
Wie wichtig ist bei all dem eine bessere Bezahlung im Kita-Bereich?
Sehr wichtig! Wir haben von vielen gehört: Warum kriegen Mitarbeitende in kommunalen Einrichtungen eine sogenannte Corona-Prämie – und wir in kirchlichen Einrichtungen nicht? Eine Frage, die wir nicht so leicht beantworten konnten und bei der man nicht vergessen darf: Im Öffentlichen Dienst gab es davor eine Nullrunde, im Kirchlichen Tarifvertrag aber eine Tariferhöhung – allerdings dann keine Prämie. Was jetzt besser ist, muss jeder für sich entscheiden, das will ich nicht bewerten. Uns ist wichtig, immer wieder bessere Rahmenbedingungen einzufordern – angefangen bei der Bezahlung und im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Hier brauchen wir eine echte Fachkräfteoffensive und eben auch eine Vergütung in der Ausbildung. Das ist ein großes Ziel. Denn als Verband sehen wir uns auch als Lobby für die Fachkräfte.
Carsten Höhn arbeitet als Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Verband Evangelischer Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein e.V. (VEK). Das Video-Projekt gehört zu einer Reihe weiterer Aktionen, in denen der VEK etwa vor zu frühen Öffnungen gewarnt und sich für bessere Schutzkonzepte für Fachkräfte eingesetzt hat.
Die Videos finden Sie hier:
https://www.youtube.com/channel/UCXKfeOLTksETlIohYYCl4vg
https://de-de.facebook.com/vekschleswigholstein
https://www.instagram.com/vek.sh/
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