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Kinder sind soziale und fühlende Wesen. Vom ersten Lebenstag an nehmen sie ihre Umwelt wahr. Hierbei sind alle Sinnesorgane, Gefuhle, spater auch rationales Denken und Erinnerungen beteiligt. Kinder differenzieren in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Handeln dabei nicht nach Facherlogiken wie die Schule. Sie organisieren einen umfassenden Prozess der inneren Verarbeitung, in der die vielsinnlichen Erfahrungen, die jede fur sich betrachtet ungenau sein konnen, sich zu einem momentan stimmigen Bild erganzen, wie es der Erziehungswissenschaftler Gerd Schafer formuliert. Es gehort zu den stabilen Konstanten der fruhen Bildung und Erziehung, eine ganzheitliche Sicht auf das Feld zu haben. So heist es deshalb auch im gemeinsamen Rahmen der Lander fur die fruhe Bildung in Kin Kitas: „Das padagogische Programm in den Kindertageseinrichtungen ist durch das Prinzip der ganzheitlichen Forderung gepragt. Eine Facherorientierung oder Orientierung an Wissenschaftsdisziplinen ist dem Elementarbereich fremd.“
Die zentrale Bedeutung der emotionalen wie der sozialen Entwicklung liegt darin, dass beide zugleich wichtige Faktoren jeglichen Lernens sind. Forschungen weisen darauf hin, dass die Beziehungsqualität zwischen dem Kind und seinen ersten Bezugspersonen, also die emotionale Stimmung und soziale Verbundenheit, konstituierend für seine Selbstwahrnehmung und Weltsicht sind: „Liebevolle, unterstutzende emotionale Beziehungen bilden die ausschlaggebende und früheste Grundlage für die intellektuelle und soziale Entwicklung … Die emotionale Atmosphäre und die subtilen Interaktionen in Beziehungen prägen, wer wir sind und was wir lernen“, so formulieren die amerikanischen Kinderarzte und Kinderpsychologen T. Berry Brazelton und Stanley I. Greenspan. Wenn die Bezugspersonen eines Kindes einfühlsam und verlässlich auf die Impulse des Kindes reagieren, ohne dieses zu vereinnahmen, erlebt das Kind ein Angenommensein seiner Existenz. Die Erfahrung, sich auf die Zuwendungsbereitschaft anderer unbedingt verlassen zu können, fordert das Selbstvertrauen. Die Bindungsforschung zeigt, dass Bindungssicherheit, die daraus entsteht, sowohl Grundlage ist für das zeitweilige Alleinseinkonnen wie auch für Neugierde und Erkundungsverhalten. Die Qualität der frühen Beziehung ist mitentscheidend dafür, ob ein Kind aktiv seine Umwelt erkundet oder angstlich vermeidet.
Emotionale Kompetenz ist die Fähigkeit, mit den eigenen wie den Gefühlen anderer Menschen angemessen umzugehen. Soziale Kompetenz meint die Fähigkeit, sich einer Gemeinschaft anzuschließen und wirkungsvoll mit anderen zusammen arbeiten zu können. Der Umgang mit Emotionen beeinflusst sowohl die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten als auch die Wirksamkeit in sozialen Bezügen. Emotionale und soziale Kompetenz stehen immer in einem Wechselverhältnis zueinander: Emotional kompetente Menschen gelingt es leichter, in sozialen Interaktionen erfolgreich zu handeln. Umgekehrt wirkt sich sozialer Erfolg positiv auf die Aspekte des eigenen Wohlbefindens aus.
Nach Meinung der Soziologin Simone Pfeffer sind emotionale Kompetenzen erlernbar. Ihre Grundlage haben sie im Zutrauen der Bezugspersonen zu den Fähigkeiten des Kindes. Dieses Vertrauen wird verstärkt und ausgebaut durch Gelegenheiten zur selbstständigen Beherrschung von Lebenssituationen und der in ihnen auftretenden Herausforderungen. Die frühe Kindheit ist das entscheidende Stadium, in der die emotionalen Grundmuster geformt werden. Dazulernen und Modifikation sind aber auch in späteren Lebensabschnitten durchaus noch möglich.
Der Ausdruck eigener und das Erkennen von Emotionen anderer ist ein Prozess, der sich sehr früh entwickelt. Ab dem dritten Lebensmonat etwa sind die sogenannten primären oder Basis-Emotionen erkennbar, wie Freude, Angst oder Trauer. Ab Ende des zweiten Lebensjahres dann werden die sekundären Emotionen entwickelt, die sich auf die eigene Person im sozialen Zusammenhang beziehen. Zu ihnen zählen Stolz, Scham, Schuld, Neid, Verlegenheit und Empathie. Die Kompetenz zum sprachlichen Emotionsausdruck folgt mit einiger zeitlicher Verzögerung, da sie an die Sprachentwicklung der Kinder gebunden ist.
Soziale Kompetenz ist die Fähigkeit, beiderseitig befriedigende Beziehungen zu gestalten und zu erhalten. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass emotionale und soziale Kompetenz in einem engen Zusammenhang stehen. Die meisten Modelle – wie das der Psychologin Carolyn Saarni – beschreiben emotionale Kompetenz als Entstehungsbedingung für soziale Kompetenz (lesen Sie dazu auch den Text „Die Mathematik der Gefühle“ von Petra Völkel auf Seite 20). Mit sozialer Kompetenz sind folgende Fähigkeiten verbunden:
Im Mitfühlen und Mitdenken sind die Dimensionen Emotion und Soziabilität verbunden. Als Theory of Mind bezeichnen Wissenschaftler die Fähigkeit, Gefühle, Bedürfnisse, Absichten Erwartungen oder Meinungen bei unserem Mitmenschen zu verstehen. Dafür wird auch häufig der Begriff Empathie verwendet. Für das menschliche Zusammenleben ist Empathie eine zentrale Fähigkeit. Warum Menschen zur Empathie überhaupt fähig sind, zeigen uns die Ergebnisse der Neurowissenschaften. Sie bezeichnen das Gehirn als ein soziales Organ, das immer lernt und die soziale Kooperation sucht. Die Fähigkeit zur Interaktion ist eine grundlegende Kompetenz aller Lebewesen. Aber nur der Mensch scheint über die Fähigkeit zu verfügen, sich selbst zu erkennen und damit zugleich die Perspektive anderer einnehmen zu können. Das sogenannte neuronale Netzwerk im Gehirn des Menschen verknüpft die unterschiedlichen Wahrnehmungen. Hier liegt neurologisch die Chance zum solidarischen Handeln begründet. Ob Empathie allerdings tatsachlich zu einem mitmenschlichen Handeln führt, liegt an vielen Einflussfaktoren der Sozialisation eines Individuums.
Emotion und Soziabilität eines Kindes verdanken sich einer Vielzahl von Faktoren und entziehen sich letztlich der Verfügbarkeit und Machbarkeit durch Außenstehende. Gleichzeitig jedoch scheinen sie nach dem Stand der Forschung in hohem Maße von sozialen Umwelteinflüssen bestimmt, die Erwachsene verantwortlich gestalten können. Grundlegend für die Entwicklungsbedingungen eines emotional und sozial kompetenten Kindes ist vor allen ausgewiesenen Bildungsangeboten ein guter Alltag der Bildungseinrichtungen, der die elementaren leiblichen, psychischen und sozialen Grundbedürfnisse der Kinder nach Zugehörigkeit, Schutz, Beteiligung und Autonomie befriedigt und fordert.
Das Erzieherin-Kind-Verhältnis sollte den Charakter einer wechselseitigen Anerkennung tragen. Beide Seiten sollten füreinander attraktive Interaktionspartner darstellen. Das bedeutet, für eine förderliche Beziehung sollte es auch dem Kind möglich sein, den Erwachsenen anzuerkennen. Auch hierin ist die Rede vom sozialen Kapital der Familien begründet, denn in aller Regel genießen Eltern genau diese Anerkennung durch ihre Kinder. Für professionelle Kräfte in der Bildung und Erziehung gilt dies nicht so selbstverständlich: Je alter die Kinder sind, desto wichtiger wird es, dass die Fachkrafte auch von den Kindern als attraktive Interaktionspartner empfunden werden zu können. Denn nur dann kann sich eine ko-konstruktive Interaktion entwickeln. Genau das aber kann nicht erzwungen werden. Hier liegt eine große Herausforderung an die Kompetenz der Fachkräfte zur Selbstreflexivität, Selbstvertretung und Beziehungsgestaltung.
Pädagoginnen und Eltern können die emotional-soziale Kompetenz des Kindes fördern. Die Psychologen Petermann und Wiedebusch benennen auf der Grundlage bisheriger Forschungen folgende Faktoren:
Insgesamt können diese Faktoren dazu beitragen, eine Atmosphäre der Aufmerksamkeit und (Be-)Achtung zu schaffen, in der die emotionalen und sozialen Bedürfnisse aller Beteiligten zu ihrem Recht kommen können. Psychologische Studien legen nahe, dass das Erleben von Liebe und Angenommensein es Menschen erleichtert, sich selbst und anderen Individuen gegenüber ebenso mit Achtung und Freundlichkeit zu begegnen. Eine der schönsten ethnologischen Studien dazu ist Jean Liedloffs Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Gluck“. Die Autorin entdeckt darin die Wurzel des harmonischen, glücklichen Zusammenlebens eines indigenen Volkes im Umgang dieser Menschen mit ihren Kindern. Umgekehrt seziert Alice Miller in ihrem berühmten „Drama des begabten Kindes“, wie aus der Abspaltung der Gefühle in der frühen Kindheit spätere emotionale Verarmung und gleichzeitig ein falsches Gefühl von Grandiosität entstehen können.
Ein wichtiger Faktor für die Forderung emotionaler und sozialer Kompetenz ist die Modellfunktion der Erwachsenen. An ihnen lesen Kinder intuitiv ab, welche Regeln wirklich gelten. Die Forderung einer selbstreflexiven Haltung der Fachkräfte ist deshalb elementar für die Einlösung des Anspruchs, Kindern einen stimmigen Rahmen für ihre Entwicklung zu bieten.
Das präventive Training emotionaler Kompetenzen steht in einer gewissen Spannung zur Forderung nach einem guten Alltag, muss aber keinen Widerspruch darstellen, solange das Training immer so gestaltet wird, dass es einer kindorientierten Konzeption nicht zuwiderlauft. Dazu sollten die Fachkräfte die vorhandenen Programme kritisch prüfen und auf der Grundlage ihrer Konzeption anpassen.
Zuletzt sollen noch einmal die Beteiligungsrechte der Kinder in Erinnerung gerufen werden. In der UN-Kinderrechtskonvention sichern alle Vertragsstaaten jedem Kind zu, „die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen“. Nun kann man den Hinweis auf die Alters- und Reifeangemessenheit defensiv lesen als Warnung vor zu viel Mitwirkung, als Hinweis auf die Schutzbedürfnisse des Kindes. Sicherlich brauchen Kinder Schutz und Fürsorge. Aber Schutz und Fürsorge stellen lediglich eine sichernde Voraussetzung fur Wachstum und Entwicklung bereit. Erziehung und Bildung von Kindern stellen die Akteure aber vor die Aufgabe, Kinder herauszufordern und dabei zu begleiten, die jeweils „nächste Zone der Entwicklung“, wie der Psychologe Lew Wygotski es formuliert, anzugehen. Kinder werden damit nicht nur als Schutzbedürftige, sondern als aktive junge Menschen gesehen, die von Lebensbeginn an damit beschäftigt sind, die Umwelt zu entdecken, sie zu verstehen und alles dafür zu tun, sie zu gestalten und dazuzugehören. Und die Lernforschung hat inzwischen vielfach bewiesen, dass genau dies das Lernen am meisten fordert: Menschen lernen am besten, wenn sie aktiv beteiligt werden und sich aktiv beteiligen. Wenn wir dieses Verständnis zugrunde legen und vor diesem Hintergrund noch einmal den Text der Kinderrechtskonvention lesen, dann können wir den Hinweis auf die Altersangemessenheit so verstehen, dass es um ein angemessen herausforderndes Element geht und nicht um eine Grenzziehung. Eine demokratische Gesellschaft verträgt keine starren Grenzen der Entwicklung, sondern ist angewiesen auf die individuelle wie gesellschaftliche Dynamik der Weiterentwicklung.
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