Lernen durch Beteiligung
Emotion und Soziabilität eines Kindes verdanken sich einer Vielzahl von Faktoren und entziehen sich letztlich der Verfügbarkeit und Machbarkeit durch Außenstehende. Gleichzeitig jedoch scheinen sie nach dem Stand der Forschung in hohem Maße von sozialen Umwelteinflüssen bestimmt, die Erwachsene verantwortlich gestalten können. Grundlegend für die Entwicklungsbedingungen eines emotional und sozial kompetenten Kindes ist vor allen ausgewiesenen Bildungsangeboten ein guter Alltag der Bildungseinrichtungen, der die elementaren leiblichen, psychischen und sozialen Grundbedürfnisse der Kinder nach Zugehörigkeit, Schutz, Beteiligung und Autonomie befriedigt und fordert.
Das Erzieherin-Kind-Verhältnis sollte den Charakter einer wechselseitigen Anerkennung tragen. Beide Seiten sollten füreinander attraktive Interaktionspartner darstellen. Das bedeutet, für eine förderliche Beziehung sollte es auch dem Kind möglich sein, den Erwachsenen anzuerkennen. Auch hierin ist die Rede vom sozialen Kapital der Familien begründet, denn in aller Regel genießen Eltern genau diese Anerkennung durch ihre Kinder. Für professionelle Kräfte in der Bildung und Erziehung gilt dies nicht so selbstverständlich: Je alter die Kinder sind, desto wichtiger wird es, dass die Fachkrafte auch von den Kindern als attraktive Interaktionspartner empfunden werden zu können. Denn nur dann kann sich eine ko-konstruktive Interaktion entwickeln. Genau das aber kann nicht erzwungen werden. Hier liegt eine große Herausforderung an die Kompetenz der Fachkräfte zur Selbstreflexivität, Selbstvertretung und Beziehungsgestaltung.
Pädagoginnen und Eltern können die emotional-soziale Kompetenz des Kindes fördern. Die Psychologen Petermann und Wiedebusch benennen auf der Grundlage bisheriger Forschungen folgende Faktoren:
- eine positive Bindung zum Kind
- ein positives emotionales Klima in der Familie
- den offenen Ausdruck eigener Emotionen
- häufige Gespräche über Gefühle
- einen angemessenen Umgang mit den Gefühlen des Kindes und
- Hilfen bei der Emotionsregulation
Insgesamt können diese Faktoren dazu beitragen, eine Atmosphäre der Aufmerksamkeit und (Be-)Achtung zu schaffen, in der die emotionalen und sozialen Bedürfnisse aller Beteiligten zu ihrem Recht kommen können. Psychologische Studien legen nahe, dass das Erleben von Liebe und Angenommensein es Menschen erleichtert, sich selbst und anderen Individuen gegenüber ebenso mit Achtung und Freundlichkeit zu begegnen. Eine der schönsten ethnologischen Studien dazu ist Jean Liedloffs Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Gluck“. Die Autorin entdeckt darin die Wurzel des harmonischen, glücklichen Zusammenlebens eines indigenen Volkes im Umgang dieser Menschen mit ihren Kindern. Umgekehrt seziert Alice Miller in ihrem berühmten „Drama des begabten Kindes“, wie aus der Abspaltung der Gefühle in der frühen Kindheit spätere emotionale Verarmung und gleichzeitig ein falsches Gefühl von Grandiosität entstehen können.
Ein wichtiger Faktor für die Forderung emotionaler und sozialer Kompetenz ist die Modellfunktion der Erwachsenen. An ihnen lesen Kinder intuitiv ab, welche Regeln wirklich gelten. Die Forderung einer selbstreflexiven Haltung der Fachkräfte ist deshalb elementar für die Einlösung des Anspruchs, Kindern einen stimmigen Rahmen für ihre Entwicklung zu bieten.
Das präventive Training emotionaler Kompetenzen steht in einer gewissen Spannung zur Forderung nach einem guten Alltag, muss aber keinen Widerspruch darstellen, solange das Training immer so gestaltet wird, dass es einer kindorientierten Konzeption nicht zuwiderlauft. Dazu sollten die Fachkräfte die vorhandenen Programme kritisch prüfen und auf der Grundlage ihrer Konzeption anpassen.
Zuletzt sollen noch einmal die Beteiligungsrechte der Kinder in Erinnerung gerufen werden. In der UN-Kinderrechtskonvention sichern alle Vertragsstaaten jedem Kind zu, „die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen“. Nun kann man den Hinweis auf die Alters- und Reifeangemessenheit defensiv lesen als Warnung vor zu viel Mitwirkung, als Hinweis auf die Schutzbedürfnisse des Kindes. Sicherlich brauchen Kinder Schutz und Fürsorge. Aber Schutz und Fürsorge stellen lediglich eine sichernde Voraussetzung fur Wachstum und Entwicklung bereit. Erziehung und Bildung von Kindern stellen die Akteure aber vor die Aufgabe, Kinder herauszufordern und dabei zu begleiten, die jeweils „nächste Zone der Entwicklung“, wie der Psychologe Lew Wygotski es formuliert, anzugehen. Kinder werden damit nicht nur als Schutzbedürftige, sondern als aktive junge Menschen gesehen, die von Lebensbeginn an damit beschäftigt sind, die Umwelt zu entdecken, sie zu verstehen und alles dafür zu tun, sie zu gestalten und dazuzugehören. Und die Lernforschung hat inzwischen vielfach bewiesen, dass genau dies das Lernen am meisten fordert: Menschen lernen am besten, wenn sie aktiv beteiligt werden und sich aktiv beteiligen. Wenn wir dieses Verständnis zugrunde legen und vor diesem Hintergrund noch einmal den Text der Kinderrechtskonvention lesen, dann können wir den Hinweis auf die Altersangemessenheit so verstehen, dass es um ein angemessen herausforderndes Element geht und nicht um eine Grenzziehung. Eine demokratische Gesellschaft verträgt keine starren Grenzen der Entwicklung, sondern ist angewiesen auf die individuelle wie gesellschaftliche Dynamik der Weiterentwicklung.
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