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Laura, knapp drei Jahre alt, hat auf ihrem Teller eine Traube und winziges Stück Brot mit Butter – während die anderen Kinder zu Mittag essen. Zurzeit isst Laura ausschließlich diese Sorte Trauben (grün, ohne Kerne, in der Hälfte durchgeschnitten) und Brot. Aber heute isst sie auch ihre Traube nicht. „Hat sie was gegessen?“, fragt Lauras Mutter besorgt, als sie sie am Nachmittag abholt. Laura könnte ein sogenannter „Picky Eater“ (deutsch: heikler/wählerischer Esser) sein. Das Phänomen des "Picky Eating" ist in Deutschland noch relativ wenig erforscht, es gibt bei uns noch keine allgemein akzeptierte Definition und Diagnose. Hier wird „Picky Eating“ bisher meistens so verstanden, dass es noch keine behandlungsbedürftige Störung im medizinischen Sinn ist. Es beschreibt nur ganz allgemein Kinder, die wenig oder sehr wählerisch essen möchten, früher hätte man sie „Suppenkasper“ genannt. In den USA, woher der Begriff kommt, existiert dagegen eine genaue Diagnose namens SED (selective eating disorder, deutsch etwa: Selektive Ess-Störung) oder ARFID (avoidant/restictive food intake disorder, deutsch etwa: vermeidende/restringierende Essensaufnahmestörung). Wenn ein Diagnosekriterium für diese Erkrankung zutrifft, muss sofort der Gang zum Kinderarzt stattfinden.
Oft erkennt man einen „Picky Eater“ zuerst am Leidensdruck der Eltern, nicht am Kind selbst. Denn das "Picky Eating", etwa ein sehr wählerisches Essverhalten, ist allein zunächst noch kein bedrohlicher Zustand für das Kind. Aber Eltern und auch pädagogische Fachkräfte stehen hier oft vor einer Herausforderung. Ansprechen müssen Sie von Ihrer Seite aus die Eltern etwa, wenn das Kind an Gewicht verliert oder wenn es sich aus Ihrer Sicht nicht altersgerecht entwickelt. Das würde im Normalfall aber als Erstes der Kinderärztin oder dem Kinderarzt auffallen. Das Kind kann aber durch das "Picky Eating" einen psychischen Leidensdruck in seinem Alltag haben, der das problematische Essverhalten weiter verstärkt – etwa wenn das Leben der Familie bestimmt ist vom "Picky Eating" und dies sich massiv auf die Beziehungen innerhalb der Familie auswirkt. Wenn zum Beispiel Restaurantbesuche oder Urlaube mit dem Kind nicht möglich sind, weil das Kind zurzeit nur Brot einer einzigen Sorte mit einer speziellen Sorte Butter isst, ist dies eine Auffälligkeit, die in den USA auch als Kriterium für eine ernst zu nehmende Essstörung gilt.
Das typische "Picky Eating" fängt an, wenn Kinder sich vom Essverhalten der Familie zu lösen beginnen, etwa zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr. In den ersten beiden Lebensjahren ist "Picky Eating" seltener, aber es kommt durchaus vor. Wenn Kinder unter zwei Jahren Nahrung verweigern, liegen oft andere Gründe vor als die Entwicklung eines eigenen Essverhaltens, etwa eine frühe negative Sondenerfahrung. Aber es gibt auch Kinder, die sehr sensitiv essen und hochsensibel auf leichte Störungen beim Essen reagieren, auch deutlich vor dem Ablösungsprozess. Die Beikosteinführung ist hier ein „neuralgischer Punkt“. Oft fällt es in dieser Phase beispielsweise auf, dass Kinder in der Kindertagespflegestelle viel „besser“ essen als in der Familie, vielleicht weil hier die Atmosphäre bei den Mahlzeiten entspannter ist.
Für alle Kinder, aber ganz besonders für Kinder in den ersten Lebensjahren gilt: Das Wichtigste ist, den Druck rauszunehmen, bei gleichzeitigen klaren Strukturen beim Essen. Die Mahlzeiten sollten schöne Situationen sein, bei denen das Kind nicht dazu gedrängt, überredet, bestochen oder gar gezwungen wird, etwas zu essen, was es nicht essen möchte – auch nicht nur zu probieren, was es nicht probieren möchte. So etwas ist absolut kontraproduktiv und kann die Problematik extrem verschärfen. Auch mit den Eltern kann unter Umständen darüber gesprochen werden, dass es wichtig ist, dass auch zu Hause das Kind nicht unter Druck gesetzt wird. Oft ist Eltern gar nicht klar, dass sie Druck oder Zwang ausüben, etwa wenn sie mit Spielzeug oder Süßigkeiten zu bestechen versuchen oder mit dem berühmten „Löffelchen für Opa“ das Kind zum Essen animieren wollen. In der Regel ändert sich bei einem entspannten Umgang mit dem "Picky Eating" das Essverhalten nach einer Weile von allein wieder; wenn das Thema aber sehr im Zentrum steht, kann dies die Problematik eher verschärfen.
Eltern sind sich oft über die tatsächliche Kalorienzufuhr ihres Kindes gar nicht im Klaren. Auch Getränke, beispielsweise schon ein Glas Apfelsaft, oder Snacks wie Dinkelstangen enthalten Nährstoffe, die die Eltern vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben, die aber bei einer empfohlenen Kalorienzufuhr von etwa 900 Kkal für ein einjähriges Kind schon ordentlich zu Buche schlagen. Dann kann es sinnvoll sein, dass Eltern ein Ernährungstagebuch führen – ergänzt durch Aufzeichnungen der Kindertagespflegeperson –, damit auffällt, was das Kind tatsächlich alles zu sich nimmt. Wenn Eltern sehr besorgt sind, sollten sie einen Kinderarzt oder eine Kinderärztin aufsuchen. Ein stark verweigerndes Essverhalten würde durch den daraus resultierenden Gewichtsverlust dort sofort auffallen – und viele überbesorgte Eltern können hier auch beruhigt werden. Bei stärker ausgeprägtem verweigernden Essverhalten muss überprüft werden, ob medizinische Ursachen (etwa Erkrankungen im autistischen Bereich, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Schluckstörungen, orale Restriktionen, die beispielsweise in der Logopädie auffallen, und anderes) vorliegen oder ob psychische oder seelische Ursachen bestehen. Unter Umständen verweist die Kinderärztin/der Kinderarzt dann weiter an Fachärztinnen und -ärzte und andere Fachleute.
Literatur
Bartig-Prang, T. (2020): Picky Eaters. Was Sie tun können, wenn Ihr Kind nicht essen will. München: Gräfe und Unzer.
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