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Wer die Türen verschiedener Waldorfkindergärten öffnet, erlebt eine breite Vielfalt: Rahmenbedingungen, Öffnungszeiten, räumliche Gegebenheiten, soziokulturelle Umgebungsbedingungen unterscheiden sich von Standort zu Standort. Und dennoch: Es gibt gemeinsame Kriterien, nach denen der Tagesablauf in einem Waldorfkindergarten gestaltet wird. Ich skizziere im Folgenden einen typischen Tag im Waldorfkindergarten.
Der Tag im Waldorfkindergarten beginnt mit einer längeren Freispielzeit. In dieser Zeit können die Kinder ihren Impulsen und Intentionen nachgehen, Erlebtes spielend verarbeiten, mit anderen Kindern in Rollenspiele eintauchen oder den Fachkäften bei den täglichen Arbeiten zur Hand gehen. Je nach Jahreszeit und Interesse werden den Kindern in dieser Zeit verschiedene Tätigkeiten angeboten. Beispielsweise kann genäht, gewebt, gemalt oder an der Werkbank gearbeitet werden.
Nach der Spielphase wird die Ordnung im Raum gemeinsam wiederhergestellt. Jedes Spielzeug kommt an seinen festen Platz, die Spieltücher werden gefaltet, die Puppen- und die Bauecke werden aufgeräumt. So wird innerlich und äußerlich Raum für Neues geschaffen. Morgenkreis mit Reigen In den meisten Waldorfkindergärten schließt sich nun ein rhythmischer Teil an. Orientiert an den Jahreszeiten und Festen gestalten die pädagogischen Fachkräfte eine Bewegungseinheit mit Sprüchen, Liedern und Reimen. Hier wird nicht nur die körperliche Geschicklichkeit gefördert, wenn wir zum Beispiel als Häschen durch den Raum hüpfen oder über eine schmale (imaginäre) Brücke balancieren. Der Reigen wirkt sich auch positiv auf die sprachliche und musikalische Entwicklung der Kinder aus.
Nun gibt es einen kleinen Imbiss, ein zweites Frühstück. Hier sitzen alle gemeinsam am Tisch, den wir während der Freispielzeit mit den Kindern vorbereitet haben. Ein kleiner Spruch oder ein kurzes Gebet stimmen auf die Mahlzeit ein.
Nun geht es hinaus in den Garten. Hier schließt sich jetzt eine weitere bewegungsintensive Freispielzeit mit ganz neuen Möglichkeiten an Sinneseindrücken und Sinnesbetätigungen an: Sand, Wasser, Wiese, Erde, Schaukel, Balancierbalken, Klettergelegenheiten usw. stehen jetzt dem Kind zur Verfügung. Der Wechsel der Jahreszeiten, Sonne, Regen, Wind, Schneefall werden in der täglichen Gartenzeit besonders intensiv erlebt.
Im anschließenden Märchenkreis können die Kinder dann wieder gemeinsam in eine Geschichte eintauchen.
Bleiben die Kinder länger in der Einrichtung, werden sich nun ein gemeinsames Mittagessen, Ruhephasen und ein ebenso rhythmisch angelegter Nachmittag anschließen. Dementsprechend verlagern sich dann auch die geführten Angebote teilweise auf den Nachmittag. Die Schilderungen legen nahe, dass diese rhythmische Gestaltung des Tagesablaufes eine verbindliche Gruppenstruktur erfordert – wobei es durchaus Gelegenheiten gibt, bei denen sich alle Kinder der Einrichtung begegnen können, beispielsweise die täglichen Gartenzeiten, gemeinsamen Feste, Feiern und Wandertage.
Ein wichtiges Gestaltungsmerkmal des Tagesablaufes ist die Umsetzung von Rhythmus und Wiederholung. Diese beiden Aspekte sind für eine gesunde Entwicklung der Kinder unabdingbar: „Das Kind erfährt aus der Durchschaubarkeit des Rhythmus und der Wiederholungen Sicherheit, Geborgenheit und Verlässlichkeit. Das stärkt die Wachstums- und Lebenskräfte des Kindes, die es innerhalb der ersten sieben Jahre in besonderem Maße für seine körperliche Entwicklung benötigt.“ 1 Der Kindergartentag gliedert sich rhythmisch in verschiedene Phasen, in denen sich selbstbestimmte Spielzeiten mit der Möglichkeit zur Exploration und geführte Angebote, die von den pädagogischen Fachkräften gestaltet werden, abwechseln. Rhythmisierung und Wiederholung erfordern Einfühlungsvermögen sowie aufmerksame Wahrnehmung einzelner Kinder und der Kindergruppe, um den Tagesablauf an den Bedürfnissen der Kinder zu orientieren. Das oberste Kriterium ist das kindliche Wohlbefinden und die Berücksichtigung der altersgemäßen Erfordernisse der Kinder. Je jünger Kinder sind, desto wichtiger ist es, auf ihre individuellen Bedürfnisse und Rhythmen einzugehen. Der Tagesablauf ist so gestaltet, dass sich Kinder als aktiv Mitgestaltende erfahren und erleben können, wenn sie beispielsweise beim Tischdecken, Zubereiten der Mahlzeiten, Herstellen von Spielsachen und bei der Gartenarbeit helfen. Der Gruppenalltag sollte nie Programm, sondern lebendiger Ablauf sein, der Kindern und Erwachsenen ausreichend Luft zum Atmen und Raum für Entwicklung lässt.
Das rhythmische Gestalten und Strukturieren des Tagesablaufs wirken sich positiv auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Kinder aus. Wenn sie am Morgen persönlich von der Kindergärtnerin begrüßt werden, erwartet die Kinder kein straffes Tagesprogramm, sondern ein atmender Wechsel von freier Exploration und Anregung, Freispiel und gemeinsamen Aktivitäten, Ruhe und Aktivität. Da sich der Tagesablauf in seiner Struktur täglich wiederholt, finden sich die Kinder rasch zurecht. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Übergänge für die Kinder von sich wiederholenden Elementen geprägt sind: Kleine Sprüche, Lieder und andere Rituale geben den Kindern Sicherheit und Orientierung.
Das Wiederkehren bestimmter Tätigkeiten und die Struktur des Tagesablaufes ermöglichen es Kindern, sich allmählich in die Zeitstruktur hineinzuleben und die Wochentage mit ihren speziellen Tätigkeiten kennenzulernen. So hat jeder Wochentag einen bestimmten Schwerpunkt. In vielen Einrichtungen gibt es zum Beispiel einen festen Backtag, an dem die Kinder Brötchen oder Brot für das gemeinsame Essen backen. Es gibt Wandertage und Wochentage mit speziellen künstlerisch-kreativen Angeboten wie Malen mit Aquarellfarben, Eurythmie oder Kneten mit Bienenwachs. Gleichbleibende Rituale und Gewohnheiten erleichtern die Gestaltung der Übergänge. Die Kinder wissen beispielsweise, wenn ein bestimmtes Lied erklingt oder die Fachkraft die Schürze umbindet, dass nun die Backzeit folgt. Auf diese Weise werden Abläufe für Kinder nachvollziehbar und vorhersehbar.
Der Tages- und Wochenrhythmus bekommt seine Färbung zudem durch das Miterleben und Berücksichtigen der Jahreszeiten. Die Auswahl der Lieder, Fingerspiele, Geschichten und künstlerisch-kreativen Angebote orientiert sich an den Vorgängen in der Natur und den Jahresfesten. Das Miterleben und aktive Aufgreifen der Naturvorgänge vermittelt Achtung vor der Natur und gibt Kindern zudem ein Kohärenzgefühl. Höhepunkte stellen dabei die Feste und Feiern dar. Sie werden mit den Kindern vorbereitet und manchmal unter Beteiligung der Eltern durchgeführt. Dabei steht das gemeinsame Tun im Vordergrund, damit die Kinder die Vorgänge sinnlich nachvollziehen können. Dieser Gang durch die Jahreszeiten, Feste und Feiern wiederholt sich mit kleinen Variationen jedes Jahr. Er ermöglicht es allen Kindern, sich zu orientieren, und den größeren Kindern, aktiv mitzugestalten. Vertrautes kehrt wieder und wird durch die persönliche Entwicklung, die das Kind während des Jahres durchgemacht hat, immer wieder neu erlebt und entdeckt.
1 MARIELUISE COMPANI: Aus dem Alltag des Waldorfkindergartens. In: In: Marie-Luise Compani und Peter Lang (Hrsg.): Waldorfkindergarten heute: Eine Einführung. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2015, S. 136.
Susanne Altenried arbeitet als Waldorferzieherin im Waldorfkindergarten Bad Endorf, als Fachberaterin sowie als Dozentin am Seminar für Waldorfpädagogik und Erwachsenenbildung in München.
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