09.04.2021
Petra Engelsmann

"Dich mag ich aber nicht!"

Die Signale von Aurelia sind unübersehbar: Aufgeschlossen und fröhlich spielt sie mit Fachkraft Sonja, während sie von ihrer Bezugserzieherin Ute kaum Notiz nimmt. Was kann man tun, wenn Kind und Kita-Mitarbeiterin so gar nicht harmonieren?

Der Fall

Eine Kita, irgendwo in Süddeutschland. In der zur Einrichtung gehörenden Krippe wird die kleine Aurelia, die 18 Monate alt ist, gerade eingewöhnt. Zu diesem Zweck kommt sie täglich für einige Stunden mit ihrer Mutter in die Kita. Die Mama plant, in wenigen Tagen wieder arbeiten zu gehen. In der zweiten Woche der Eingewöhnung fällt Aurelias Bezugserzieherin Ute auf, dass das Mädchen lieber mit Sonja, einer Kollegin von Ute, spielt. Aurelia ist Erzieherin Sonja gegenüber viel aufgeschlossener und fröhlicher als im Umgang mit Ute. So sehr diese sich auch bemüht, Aurelia gerecht zu werden und auf sie einzugehen – die Kleine krabbelt immer wieder zu Sonja und spielt mit ihr anstatt mit Ute. Aurelias Mutter bemerkt das und ist verunsichert. Sie fragt sich insgeheim, ob ihre Tochter in der Einrichtung gut versorgt ist und was in Zukunft passieren wird, wenn Aurelia weiterhin nicht an Bezugserzieherin Ute interessiert ist, ihr gegenüber sogar eine Abneigung zeigt. Während sie die Situation mit gemischten Gefühlen beobachtet, bemerken auch die anderen pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung, was zwischen Aurelia, Ute und Sonja passiert, und sprechen miteinander darüber.

Wer spielt mit?

Aurelia: Aurelia ist ein junges Kind von 18 Monaten. Sie ist noch ganz neu in der Einrichtung und sucht sich ganz autonom ihren eigenen Spielpartner aus.

Erzieherin Ute: Sie ist eine erfahrene pädagogische Fachkraft. Seit über zehn Jahren arbeitet sie nun schon in der Krippe. Sie verfügt über ein gutes Einfühlungsvermögen und auch ein fundiertes Fachwissen. In ihrem Wesen ist sie eher ruhig und besonnen.

Erzieherin Sonja: Sie ist seit gerade mal drei Jahren in der Kindertagesstätte angestellt und verfügt ebenso wie Ute über ein fundiertes Fachwissen und Empathie. Sonjas Naturell ist quirlig und fröhlich. Sonja spricht viel und laut und lacht sehr häufig.

Aurelias Mutter: Die Mama des kleinen Mädchens ist eine ruhige junge Frau. Aurelia ist ihr erstes Kind und dementsprechend hat sie auch das erste Mal in ihrem Erwachsenenleben einen Einblick in eine Krippe. Da der Arbeitsbeginn in ihrer Firma bald bevorsteht, ist sie unruhig und unsicher. Sie wünscht sich, dass ihr Kind gut in der Krippe aufgehoben ist, während sie selbst nach der Elternzeit wieder voll in ihrem Beruf durchstarten will.

Zum Reflektieren

Immer wieder gibt es in Kindertageseinrichtungen die Situation, dass zwischen Kindern und Erwachsenen wenig bis überhaupt kein Beziehungsaufbau gelingt. Auch wir Erwachsenen kennen das aus dem Privat- oder Arbeitsleben. Eine Kollegin oder einen Kollegen mag man auf Anhieb, kann sofort etwas mit ihm anfangen und liegt auf einer Wellenlänge. Bei anderen Kollegen oder Kolleginnen klappt das nicht, man ist sich nicht sympathisch. Für uns Erwachsene ist das normal, denn wir steuern unserer Empfindung nach die Kontaktaufnahme mit den Personen, die uns liegen. Doch wie gehen wir damit um, wenn es Kinder trifft? Was tun wir, wenn sie uns signalisieren, dass sie sich bei einer bestimmten Person wohler fühlen als bei einer anderen? Wird dies ebenso einfach akzeptiert? Oder neigen wir dazu, dem Kind zuzumuten, sich auch mit Personen auseinanderzusetzen, die es nicht „riechen“ kann? Wie sieht unser Handeln konkret aus, wenn wir Fachkräfte bemerken, dass sich Kinder bei uns nicht so gut oder sogar besser fühlen als bei der Kollegin? In diesen Situationen ist Einfühlungsvermögen, Wertschätzung und eine offene Haltung vonseiten der Fachkräfte gefordert. Auch über den eigenen Schatten springen und differenzieren können, gehört dann zu den Aufgaben im Kita-Alltag. Es zeugt von Größe und Stärke, wenn ich als Fachkraft auch akzeptieren kann, dass mich ein Kind weniger mag als die Kollegin. In so einer Situation 45 zuzulassen, dass Kinder ihre Bezugspersonen selbst auswählen, frei nach ihrem persönlichen Wesen, zeugt von Professionalität und großem Verständnis für die Kinder. Denn die Schlüsselfrage ist nicht: Was mache ich falsch und warum mag mich das Kind nicht? Sondern die Schlüsselfrage sollte hier lauten: Welches Naturell, welche Persönlichkeit passt zu dem jeweiligen Kind? Bin ich eher ruhig und beobachtend? Oder lauter und quirliger? Fachkräfte sollten sich hier von der Frage nach den Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit leiten lassen. Zu beobachten, welches Naturell das Kind hat, wie die Persönlichkeit der Fachkraft sein sollte, um mit dem Kind zu harmonieren, wird hier zu einer Kernaufgabe.

Auf Lösungssuche

Immer da, wo es „menschelt“, wo es um Gefühle und feine sensible Empfindungen geht, lohnt es sich, innezuhalten und genauer zu schauen: Was braucht das Kind? Vielleicht lohnt sich auch der Blick auf die Fachkraft: Was braucht diese, um eine Familie gut beim Kita-Start begleiten zu können? Für unseren Fall empfiehlt es sich, wie so oft in der Praxis, das offene Gespräch zu suchen. Ein Gespräch, das frei ist von etwaigen Schuldzuweisungen und Fragen nach der Qualität. Hier entwickeln Mutter, Kind und Fachkraft eine sichere Basis für Vertrauen, wenn die Situation offen angesprochen wird. Mit der Frage nach einem Bezugserzieherinnen-Wechsel wird signalisiert, dass die Fachkraft das Kind mit seinen Bedürfnissen wahrnimmt. Sie zeigt eine wachsame Beobachtung und sucht im gemeinsamen Gespräch mit der Mutter und der Kollegin optimale Lösungswege. In der täglichen Arbeit gilt es, das Kind mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen. Dies gelingt in dem Moment, in dem die Fachkraft die Signale des Kindes hinterfragt und für diese Bedürfnisse Lösungen sucht, ohne ihre eigene Persönlichkeit infrage zu stellen oder die des Kindes zu bewerten. In Beziehung mit dem Kind und der Familie zu treten heißt auch, offen zu sein für individuelle Empfindungen. Wenn wir diese wertfrei akzeptieren und anerkennen, dass manche Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur besser miteinander klarkommen als andere, kann letztlich eine positive Basis für gegenseitiges Vertrauen und Akzeptanz in der Diversität gelingen.

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