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Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ Dieser Satz schießt mir unwillkürlich durch den Kopf, wenn ich mir die Flut an vermeintlichem Wissen vergegenwärtige, die uns ständig in allen Medien überschwemmt. Aber was bedeutet denn der Begriff Wissen eigentlich? Wir denken, Wissen als eine Form der Durchdringung der Welt hieße Welt erkennen, verstehen, begreifen und wäre somit eindeutig zweckorientiert. Wissen entstünde dort, wo man etwas erklärt oder versteht. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann sagt dagegen, Wissen sei eine mit Bedeutung versehene Information. Mit anderen Worten: Wissen ist nicht gleich Information, sondern entsteht nur dann, wenn sich die mit der Information verbundene Bedeutung von etwas erschließt. Nehmen wir eine aktuelle Situation: Die Information über den Klimawandel in seinen vielfältigen Erscheinungen wird erst zu Wissen, wenn wir Ursachen, Wirkung und die Gründe
menschlichen Verhaltens in diesem Kontext verstehen und damit erklären können. Mit seinen Aussagen ist Liessmann beim Philosophen Hegel, der 1807 formulierte: „Das Bekannte ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.“ Demzufolge hätten Informationen, die im Alltag häufig mit Wissen und Erkenntnissen gleichgesetzt werden, mit Wissen nichts zu tun. Informationen sind in diesem Sinne das Bekannte. Angeblich leben wir in einer Wissensgesellschaft. Aber geht es wirklich um Erkenntnis und Verstehen oder eher um die Simulationen permanenter Lernbereitschaft? Liessmann behauptet: „In unserer Gesellschaft lernt niemand mehr, um etwas zu wissen, sondern um des Lernens selbst willen.“
Wissen genügt meist nicht, um etwas zu verstehen. Das erleben wir im Umgang mit Kindern aller Altersstufen, aber auch bei uns selbst. Das Vermitteln des Wissens als isolierter Vorgang hilft kaum, die Welt zu verstehen. Kinder verarbeiten und lernen etwas, indem sie sich Bilder von der Welt denken und gestalten. „Wenn ich etwas verstehen will, muss ich mir ein Bild davon machen können“, schreibt der italienische Philosoph und Schriftsteller Primo Levi in seinen Lebenserinnerungen. Wissen ist nicht gleich Wissen. Die Spezialisierung von Wissen führt zu Fachwissen und damit zur Dominanz von Fachlichkeit und Expertisierung, einer Form von übersteigerter Fachlichkeit mit einem hohen Grad an Unangreifbarkeit. Dabei handelt es sich um den Wissenstyp Verfügungswissen. Es bezieht sich auf instrumentelles Wissen, fachliches Können. Im Begriff steckt Verfügbarkeit im doppelten Sinne: Zum einen der Werkzeugcharakter des Wissens, zum anderen macht es auch seinen Träger verfügbar im Sinne von brauchbar für Aufgaben. Die Alternative ist das Orientierungswissen, das man braucht, um das Verhältnis von Mensch und Natur existenziell zu klären. Dieses Wissen können Kinder durch das Philosophieren erlangen. Voraussetzung hierfür ist die Fähigkeit zu denken, speziell zum Selberdenken. Nicht nur beim Philosophieren unterscheiden wir drei Formen des Denkens:
Diese Kompetenz kann auch als Tugend der Nachdenklichkeit beschrieben werden. Besonnenheit im Urteilen und Handeln erreichen wir nicht durch vereinzelte Denkanstrengungen, sondern durch die Gewohnheit des steten Reflektierens. Wir wollen kein bestimmtes Problem lösen, denken nicht ziel- und ergebnisorientiert. Reflektieren heißt vielmehr, eine Sache in Muße und mit Interesse von allen Seiten zu betrachten und unterschiedliche Aspekte denkend zu verbinden.
Kinder müssen erleben, dass Denken spannend sein kann. Im Denken bis an die eigenen intellektuellen Grenzen vorzustoßen, ist ein Erlebnis, das die intellektuelle Neugier weckt. So ist es spannend, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob der Mensch eine Maschine sei. Der französische Philosoph Julien Offray de La Mettrie hat sich diese Frage gestellt, aber auch Kinder treibt diese Frage zum lustvollen Nachdenken. Das Ziel dieses Denkens ist der Erwerb und die Beherrschung der eigenen Denkwerkzeuge.
Es gibt zumindest drei gute Gründe, um das gemeinsame Nachdenken zu üben. Erstens: Zwei kluge Köpfe sind manchmal besser als einer. Häufig kommt man zu zweit oder zu dritt auf Lösungen, die einem allein im einsamen Kämmerchen nie eingefallen wären. Glücklich, wer bereits als Kind das gemeisame Nachdenken als möglichen Lösungsweg erlernen kann. Zweitens: Der Mensch ist nicht allein auf der Welt und die meisten Probleme harren nicht einer genialen, sondern einer gemeinsam getragenen Lösung. Die objektiv beste Lösung ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Betroffenen sie subjektiv nicht als ihre Lösung akzeptieren. Und drittens: Denken ist ein innerer Dialog. Nach Ansicht des Psychologen Lew Wygotski taucht jede Funktion in der kulturellen Entwicklung des Kindes zweimal auf: zunächst auf sozialer, dann auf individueller Ebene; zunächst zwischen den Menschen und dann im Inneren des Kindes. Das bedeutet, dass Kinder die einzelnen Schritte, aus denen das Nachdenken entsteht, zuerst im Dialog erwerben und üben.
Nach einer gewissen Zeit können sie auch ein Gespräch mit sich selbst führen – das heißt: sie denken. Der Aufbau einer Gesprächskultur in der Gruppe und das Einüben sozialer Arbeitsformen, aber auch Methoden aus dem Repertoire des szenischen Spiels – sich von etwas ein Bild machen können – fördern das kooperative Denken in diesem Sinn.
Wissen drückt sich im Umgang mit Begriffen aus. Nehmen wir ein praktisches Beispiel aus einer Kita in Friesland. Natürlich weiß jedes Kind, was ein Stein ist. So betrachten die Kinder Vertrautes, wenn ich einen Beutel Steine auf den Fußboden schütte. Die Kinder betrachten die Steine, fühlen sie, geben sie an andere weiter, legen sie wieder hin und denken über die Frage nach, die ich beiläufig eingestreut habe: Welcher Stein gefällt euch am meisten?
Die Antworten kommen schnell und lauten fast immer: „Ich habe mir den Stein genommen, weil ich ihn schön finde.“ Mit dieser Begründung gebe ich mich aber nicht zufrieden und rege die Kinder durch Hinterfragen zum Nachdenken an: „Warum findest du deinen Stein denn schön?“ Schon zeigen die Kinder ihre Fähigkeiten, Mengen differenziert wahrzunehmen – eine der handwerklichen Voraussetzungen für das Entstehen philosophischer Denkbewegungen: Farben, Formen, Muster, Analogien („sieht aus wie ein Ei“), Funktionen („kann man gut mit werfen“) und anderes kommen zur Sprache und begründen, warum sie den Stein schön finden. So ganz nebenbei bewegen sich an dieser Stelle Vorschulkinder auf dem philosophischen Pfad der Begriffsklärung, indem sie den Begriff „schön“ mit Inhalt zu füllen versuchen. Wo doch – so könnte man meinen – alle wissen, was schön ist.
"Alle Steine haben
gemeinsam, dass sie
verschieden sind."
Marlene (6)
Hinzu kommt: Ohne Aufforderung meinerseits erproben die Kinder die Technik des nicht wertenden Vergleichens mittels des Attributs „schön“. Sie ordnen zahlreiche Steine in ihren Köpfen danach, ob sie ihrer subjektiven Vorstellung von schön entsprechen oder nicht. Sie wissen im Ergebnis: Steine unterscheiden sich auf vielfältige Weise voneinander, dennoch tragen sie zunächst alle den gleichen Namen. Die Kinder erwerben auf diese Art Wissen, benutzen dabei ihre Denkwerkzeuge und gelangen zu einer Erkenntnis. Dieser Teil des Gespräches war allerdings erst ein Aufwärmen für die gemeinsame Reflexion über die Frage: Warum heißt ein Stein Stein und nicht Blubb? So eine Frage stellen sich die meisten Kinder im Vorschulalter nicht, da Wort und Sache für sie in einer engen Verbindung stehen. Oder anders ausgedrückt: Ding und Name sind für das Kind lange Zeit identisch, es unterscheidet nicht zwischen Sein und dem Namen. Der Autor C.B. Matthews bringt es auf den Punkt: „Papa, gibt es Gott?“ Der Vater antwortet, dass er nicht ganz sicher sei. Das Kind entgegnet: „Es muss ihn doch geben, er hat doch einen Namen.“ In der Entwicklung unterscheiden Kinder dann zunehmend zwischen sprachlichen Zeichen und Gegenstand. Die Differenzierung zwischen Gegenstand und Zeichen ist eine Folge der Bewusstwerdung des eigenen Denkens, die wiederum entscheidend durch das Gespräch mit anderen gefördert wird. Nachdem die Kinder Unterschiede 0zwischen den Steinen ausgedrückt haben, erhalten sie eine weitere Hilfe, warum ein Stein Stein heißt und nicht anders: Könnten vielleicht die Merkmale, die allen Steinen dieser Welt gemeinsam sind, zur Namensfindung beitragen? Es folgt die Frage, was alle Steine dieser Welt gemeinsam haben, zur sprachlichen Vereinfachung so formuliert: Was haben alle Steine, was sind alle Steine? Aus der Hortgruppe einer weiteren Kita sprudeln die Antworten:
Das Highlight liefert ein gerade eingeschultes Mädchen: „Alle Steine haben gemeinsam, dass sie verschieden sind.“ Diese Aussage überrascht mich, denn die Entwicklungspsychologie verneint, dass Kinder in diesem Alter dialektisch denken können. Dialektisches Denken meint hier, in Gegensatzbegriffen (verschieden, gemeinsam) zu denken und gegensätzliche Positionen einander gegenüberzustellen und so zu verbinden, dass daraus Erkenntnisse gewonnen werden. Aber zurück zur Kita: Die Antworten auf meine zum Philosophieren einladende Frage „Warum heißt ein Stein Stein – und nicht zum Beispiel Blubb?“ kommen spontan:
Diese und andere Antworten bestätigen die vorgestellte Einheit von Ding und Namen im frühkindlichen Denken und zeigen, wie Kinder denken. Bei der Frage, wer denn eigentlich entscheidet, dass ein Stein Stein heißt und nicht anders, reicht die Antwortpalette von „der Stein selbst“ über den „lieben Gott“ bis zu „ein Erfinder“. Dieser Junge, der Sprache als Produkt von Erfindungen versteht, ist der Entwicklung seiner Altersgenossen um einige Schritte voraus. Wie zum Beweis serviert dieses Kind zum Abschluss der Gesprächsrunde noch ein philosophisches Sahnehäubchen: „Sprechen kann man ja auch nur, wenn man auch denken kann. Wer nicht denken kann, kann auch nicht sprechen!“ Das zeigt deutlich: Denkkompetenz ist nicht in jedem Falle an das Lebensalter gebunden. Nach der Gesprächsrunde stellen wir fest:
Bekanntlich macht jeder Begriff im Bewusstsein der Kinder einen langen Entwicklungsprozess von den einfachsten Verallgemeinerungen bis zum Bewusstwerden verborgener und komplizierter Zusammenhänge durch. Der Entwicklung und Bereicherung des Begriffes entspricht auch eine Bereicherung des Wortschatzes. Die Wörter hören auf, eine leere Form zu sein, die von ihrem Inhalt getrennt ist; sie werden zum Ausdruck echter und konkreter Kenntnisse und damit Bestandteil von Wissen und Verstehen. ◀
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