Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Seminar. Schon eine ganze Weile brennt Ihnen eine Frage auf der Seele. Endlich trauen Sie sich, sie zu stellen. Anstatt Ihnen zu antworten, fahre ich, Ihr Seminarleiter, Sie jedoch lautstark an: „Ist das denn so schwer zu verstehen?“ Na, wie fühlen Sie sich? Ich vermute: nicht so gut. Und das hat seinen Grund.
Wenn ich Seminare oder eine kollegiale Beratung gebe, ist mir eines besonders wichtig: der wertschätzende Umgang miteinander. Ein großer Punkt ist das positive Feedback. Wir versuchen, unsere Kritik so zu formulieren, dass unser Gegenuber sie gut annehmen kann. Doch auch wenn ich mich bemühe: Am Tonus und an der Mimik meiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann ich erkennen, wie schnell sich – selbst wenn es nur ein Hauch von Kritik ist – einzelne verletzt, gekränkt oder nicht richtig gesehen fühlen. In diesen Momenten tauchen bei mir sofort Bilder aus einzelnen Kitas, Schulen und Familien auf. Fachkräfte, Lehrkräfte und Eltern weisen Kinder dort nicht selten auf wenig feinfühlige und zum Teil schonungslose Weise auf ihr Fehlverhalten hin.
Du spinnst wohl!
Denken wir nochmal an das Seminar und stellen uns vor, wie bereits eine vorsichtig vorgetragene Kritik einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer kränkt oder sich nach diesem Ereignis als Gedankenschleife im Kopf festsetzt. Jetzt sollte klar sein, was bestimmte Worte in Kinderseelen bewirken. Es sind Sätze wie: „Wie oft soll ich es dir noch sagen?“ – „Ist das so schwer zu verstehen?“ – „Sei jetzt verdammt nochmal still!“ – „Du spinnst wohl!“, die einzelne pädagogische Fachkräfte durchaus noch schonungsloser, mit Sarkasmus oder Ironie den Kindern unreflektiert an den Kopf werfen. Sie beschämen die Kinder, berauben sie ihrer Würde und beeinträchtigen noch dazu die Selbstachtung sowie das Selbstvertrauen. Die Szene, die ich eingangs beschrieben habe, gibt uns in Windeseile ein Gefühl dafür, wie kränkend unsere Worte und wie verletzend unsere Mimik oder Gestik sein können – und was wir den Kindern damit zumuten.
Wir sollten uns unsere Worte öfters auf der Zunge zergehen lassen und dabei überprüfen, ob wir mit Erwachsenen auch so reden würden. Selbst wenn den meisten Pädagoginnen und Pädagogen die Bedeutung der Menschenrechte für Kinder bewusst ist, fällt es einer Vielzahl von ihnen schwer, die Rechte der Kinder mit der Qualität ihrer Beziehung zum Kind zu verbinden.
Wenn etwa die Politikerin Aminata Toure die Ausländerbehörde betritt, wird sie meistens in einem rauen Tonfall gefragt, was sie denn hier wolle. Wenn sie dann ihre Position als migrationspolitische Sprecherin und Landtagsabgeordnete für Schleswig-Holstein nennt und sagt, dass sie einen Termin mit dem Behördenchef hat, ändert sich der Tonfall sofort. Es scheint ein gewisses Machtgefälle zu sein, dass Menschen sich im Ton vergreifen.
Manchmal begründen Erzieherinnen und Erzieher ihre verbalen Attacken damit, dass die Rahmenbedingungen in der Kita so schlecht seien oder dass das Kind nicht kooperieren würde. Natürlich führen schlechte Rahmenbedingungen zu Stress. Und Stress oder Krisen beeinflussen unser Verhalten. Trotzdem schafft es die Mehrheit der pädagogischen Fachkräfte unter den gleichen Rahmenbedingungen, die Kinder nicht zu kränken.
Es ist durchaus menschlich, dass wir in einer uns überfordernden Situation mal die Fassung oder unsere Grundhaltung verlieren. Wir sind Menschen, wir machen Fehler. Dieses unangenehme Gefühl, welches dann hoffentlich in uns hochkommt, sollte uns jedoch einladen, unser Handeln zu reflektieren – anstatt die Schuld bei anderen zu suchen. Der erste unmittelbare Schritt, den wir in dieser Selbstreflexion vornehmen können, ist, uns beim Kind für unser Verhalten zu entschuldigen. Wenn wir das im Morgenkreis oder in der Schulklasse vor der versammelten Gemeinschaft tun, schaffen wir eine wunderbare Vorbildfunktion für wertschätzendes Verhalten und zeigen, dass auch Erwachsene Fehler machen.
Der Sündenbock? Bin ich
Erwachsene, die denken, dass der Grund für ihre kränkenden Äußerungen und Handlungen die Kinder sind, brauchen hier eine deutliche Grenze und die Aufforderung, sich selbst zu reflektieren. Gleiches gilt, wenn sie durch ihre Worte Kindern Gehorsam und Disziplin beibringen wollen. Damit sich dieses Verhalten nicht wiederholt oder sich sogar als Einrichtungskultur festigt, braucht es eine umfassende Aufarbeitung. Wie diese aussieht, hängt von der Art und Intensität des Fehlverhaltens ab, aber auch von der pädagogischen Fachkraft, ob sie ihren Fehler einräumt. In manchen Fällen helfen Videos von positiven Handlungen der Fachkraft – welche ja durchaus vorhanden sind –, um bei ihr eine Veränderung zu bewirken. Wie lange diese Veränderung nach der Beratung noch anhält, kann ich allerdings nicht beurteilen.
Die Biografie der pädagogischen Fachkräfte verrät meist viel über die Gründe ihres Verhaltens. Deshalb ist es wichtig, dass sich Fachkräfte aktiv damit auseinandersetzen. Eine begleitete Biografiearbeit ist eine tiefe Reflexion, die eigene Verletzungen und Kränkungen aufdecken kann. Dadurch kann man dem eigenen, der Situation unangemessenen Verhalten auf den Grund gehen. Die Pädagogin Anke Elisabeth Ballmann sagt, durch den empathischen Perspektivwechsel, bei dem es zunächst darum geht, sich selbst besser zu verstehen, kann man später auch das Verhalten von anderen – etwa Eltern oder Kindern – verstehen und annehmen. In diesem Prozess wächst das tiefe Verständnis, dass die Würde des Menschen unantastbar ist – der Grundstein zur persönlichen Weiterentwicklung.
Kinder lernen am besten in einer Atmosphäre von Akzeptanz und feinfühliger Zuwendung. Wenn aber Stress und Feindseligkeiten vorherrschen, leidet das Selbstbewusstsein. Nach meiner Beobachtung unterstützen Worte, die eine wertschätzende Haltung und Anerkennung ausdrücken und positives Leiten in Bezug auf das Verhalten von Kindern beinhalten, bei der Entwicklung. Die Pädagoginnen Meike Sauerhering und Carolin Kiso stellen fest, dass ein pädagogisches Team, das die Selbstbildungsprozesse von Kindern wahrnimmt, wertschätzt und begleitet, eine regelmäßige, aktive Beschäftigung mit dem professionellen Selbstverständnis braucht. Hieraus entsteht eine pädagogische Grundhaltung. Sie dient als Fundament und verankert sich als Leitbild in der Einrichtungskonzeption. Das Team entwickelt sich während des Austauschs weiter.