27.09.2022
Klaus Kokemoor

Das Gewicht der Worte – Wenn wir durch Sprache andere verletzen

Sprache ist Macht. Und deshalb sollten wir genau prüfen, wie wir miteinander sprechen. Auf Augenhöhe, sarkastisch oder vielleicht sogar abwertend? Wie wir die richtigen Worte wählen, um uns mit anderen zu verbinden, anstatt sie zu verletzen, hat unser Autor für Sie notiert.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Seminar. Schon eine ganze Weile brennt Ihnen eine Frage auf der Seele. Endlich trauen Sie sich, sie zu stellen. Anstatt Ihnen zu antworten, fahre ich, Ihr Seminarleiter, Sie jedoch lautstark an: „Ist das denn so schwer zu verstehen?“ Na, wie fühlen Sie sich? Ich vermute: nicht so gut. Und das hat seinen Grund.

Wenn ich Seminare oder eine kollegiale Beratung gebe, ist mir eines besonders wichtig: der wertschätzende Umgang miteinander. Ein großer Punkt ist das positive Feedback. Wir versuchen, unsere Kritik so zu formulieren, dass unser Gegenuber sie gut annehmen kann. Doch auch wenn ich mich bemühe: Am Tonus und an der Mimik meiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann ich erkennen, wie schnell sich – selbst wenn es nur ein Hauch von Kritik ist – einzelne verletzt, gekränkt oder nicht richtig gesehen fühlen. In diesen Momenten tauchen bei mir sofort Bilder aus einzelnen Kitas, Schulen und Familien auf. Fachkräfte, Lehrkräfte und Eltern weisen Kinder dort nicht selten auf wenig feinfühlige und zum Teil schonungslose Weise auf ihr Fehlverhalten hin.

Du spinnst wohl!

Denken wir nochmal an das Seminar und stellen uns vor, wie bereits eine vorsichtig vorgetragene Kritik einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer kränkt oder sich nach diesem Ereignis als Gedankenschleife im Kopf festsetzt. Jetzt sollte klar sein, was bestimmte Worte in Kinderseelen bewirken. Es sind Sätze wie: „Wie oft soll ich es dir noch sagen?“ – „Ist das so schwer zu verstehen?“ – „Sei jetzt verdammt nochmal still!“ – „Du spinnst wohl!“, die einzelne pädagogische Fachkräfte durchaus noch schonungsloser, mit Sarkasmus oder Ironie den Kindern unreflektiert an den Kopf werfen. Sie beschämen die Kinder, berauben sie ihrer Würde und beeinträchtigen noch dazu die Selbstachtung sowie das Selbstvertrauen. Die Szene, die ich eingangs beschrieben habe, gibt uns in Windeseile ein Gefühl dafür, wie kränkend unsere Worte und wie verletzend unsere Mimik oder Gestik sein können – und was wir den Kindern damit zumuten.

Wir sollten uns unsere Worte öfters auf der Zunge zergehen lassen und dabei überprüfen, ob wir mit Erwachsenen auch so reden würden. Selbst wenn den meisten Pädagoginnen und Pädagogen die Bedeutung der Menschenrechte für Kinder bewusst ist, fällt es einer Vielzahl von ihnen schwer, die Rechte der Kinder mit der Qualität ihrer Beziehung zum Kind zu verbinden.

Wenn etwa die Politikerin Aminata Toure die Ausländerbehörde betritt, wird sie meistens in einem rauen Tonfall gefragt, was sie denn hier wolle. Wenn sie dann ihre Position als migrationspolitische Sprecherin und Landtagsabgeordnete für Schleswig-Holstein nennt und sagt, dass sie einen Termin mit dem Behördenchef hat, ändert sich der Tonfall sofort. Es scheint ein gewisses Machtgefälle zu sein, dass Menschen sich im Ton vergreifen.

Manchmal begründen Erzieherinnen und Erzieher ihre verbalen Attacken damit, dass die Rahmenbedingungen in der Kita so schlecht seien oder dass das Kind nicht kooperieren würde. Natürlich führen schlechte Rahmenbedingungen zu Stress. Und Stress oder Krisen beeinflussen unser Verhalten. Trotzdem schafft es die Mehrheit der pädagogischen Fachkräfte unter den gleichen Rahmenbedingungen, die Kinder nicht zu kränken.

Es ist durchaus menschlich, dass wir in einer uns überfordernden Situation mal die Fassung oder unsere Grundhaltung verlieren. Wir sind Menschen, wir machen Fehler. Dieses unangenehme Gefühl, welches dann hoffentlich in uns hochkommt, sollte uns jedoch einladen, unser Handeln zu reflektieren – anstatt die Schuld bei anderen zu suchen. Der erste unmittelbare Schritt, den wir in dieser Selbstreflexion vornehmen können, ist, uns beim Kind für unser Verhalten zu entschuldigen. Wenn wir das im Morgenkreis oder in der Schulklasse vor der versammelten Gemeinschaft tun, schaffen wir eine wunderbare Vorbildfunktion für wertschätzendes Verhalten und zeigen, dass auch Erwachsene Fehler machen.

Der Sündenbock? Bin ich

Erwachsene, die denken, dass der Grund für ihre kränkenden Äußerungen und Handlungen die Kinder sind, brauchen hier eine deutliche Grenze und die Aufforderung, sich selbst zu reflektieren. Gleiches gilt, wenn sie durch ihre Worte Kindern Gehorsam und Disziplin beibringen wollen. Damit sich dieses Verhalten nicht wiederholt oder sich sogar als Einrichtungskultur festigt, braucht es eine umfassende Aufarbeitung. Wie diese aussieht, hängt von der Art und Intensität des Fehlverhaltens ab, aber auch von der pädagogischen Fachkraft, ob sie ihren Fehler einräumt. In manchen Fällen helfen Videos von positiven Handlungen der Fachkraft – welche ja durchaus vorhanden sind –, um bei ihr eine Veränderung zu bewirken. Wie lange diese Veränderung nach der Beratung noch anhält, kann ich allerdings nicht beurteilen.

Die Biografie der pädagogischen Fachkräfte verrät meist viel über die Gründe ihres Verhaltens. Deshalb ist es wichtig, dass sich Fachkräfte aktiv damit auseinandersetzen. Eine begleitete Biografiearbeit ist eine tiefe Reflexion, die eigene Verletzungen und Kränkungen aufdecken kann. Dadurch kann man dem eigenen, der Situation unangemessenen Verhalten auf den Grund gehen. Die Pädagogin Anke Elisabeth Ballmann sagt, durch den empathischen Perspektivwechsel, bei dem es zunächst darum geht, sich selbst besser zu verstehen, kann man später auch das Verhalten von anderen – etwa Eltern oder Kindern – verstehen und annehmen. In diesem Prozess wächst das tiefe Verständnis, dass die Würde des Menschen unantastbar ist – der Grundstein zur persönlichen Weiterentwicklung.

Kinder lernen am besten in einer Atmosphäre von Akzeptanz und feinfühliger Zuwendung. Wenn aber Stress und Feindseligkeiten vorherrschen, leidet das Selbstbewusstsein. Nach meiner Beobachtung unterstützen Worte, die eine wertschätzende Haltung und Anerkennung ausdrücken und positives Leiten in Bezug auf das Verhalten von Kindern beinhalten, bei der Entwicklung. Die Pädagoginnen Meike Sauerhering und Carolin Kiso stellen fest, dass ein pädagogisches Team, das die Selbstbildungsprozesse von Kindern wahrnimmt, wertschätzt und begleitet, eine regelmäßige, aktive Beschäftigung mit dem professionellen Selbstverständnis braucht. Hieraus entsteht eine pädagogische Grundhaltung. Sie dient als Fundament und verankert sich als Leitbild in der Einrichtungskonzeption. Das Team entwickelt sich während des Austauschs weiter.

Was wirklich dahintersteckt

Damit sich Kinder in der Kita gut entwickeln können, braucht es die Qualitätssicherung. In meinem Buch „Von der Ohnmacht zur Handlungskompetenz“ suche ich nach neuen Formen, wie Qualität gewährleistet werden kann. Ein wichtiges pädagogisches Instrument ist die Dienstbesprechung, in der wir uns Szenen, wie ich sie gleich am Beispiel mit der Sanduhr beschreibe, vor Augen führen und uns über die Qualität des pädagogischen Handelns austauschen. Es ist ein Lernen und Bewusstmachen am eigenen Modell, in denen es auch darum geht, die Botschaften, die hinter dem Verhalten der Kinder stehen, besser zu erkennen. Gerade bei Kindern, die durch herausforderndes Verhalten auffallen, brauchen wir besonders eine intensive Reflexion in Bezug auf unsere Sprache und unser pädagogisches Handeln.

Die folgende Szene soll uns die Qualität pädagogischen Handelns und deren Wirkung vor Augen führen: Seit einigen Wochen beschäftigt Robin die pädagogischen Fachkräfte durch sein fremdaggressives Verhalten. In einer Situation versucht er, Paul vom Fahrzeug zu entfernen, weil er dieses gerade selbst haben möchte. Paul sagt daraufhin: „Das darf man nicht!“ Als Robin weiterhin nicht ablässt, schlägt Paul Robin mit der Hand auf den Rücken. Der wehrt sich prompt und schlägt zurück. Nun ruft Paul: „Auah!“, und eine Erzieherin bemerkt den Konflikt. Als sie sich nähert, läuft Robin weg, lässt sich anschließend auf den Boden fallen und sagt: „Paul hat mich auf den Rücken geschlagen! Ich möchte mit dem Fahrzeug fahren! Aber alle sind besetzt!“ Daraufhin fragt ihn die pädagogische Fachkraft: „Was musst du dann machen?“, während sie in die Hocke, auf seine körperliche Ebene, geht. Dort wartet sie Robins Antwort ab.

  • Was sehen wir? Die Erzieherin nimmt eine wertschätzende Haltung ein und stellt nicht das Fehlverhalten in den Vordergrund. Stattdessen fragt sie Robin, wie er sich seinen Wunsch erfüllen kann. Sie stellt über ihren Körper Nähe, Aufmerksamkeit sowie Präsenz her und leitet mit ihrer Frage eine Lösungsmöglichkeit ein.

„Ganz lange warten!“, antwortet Robin und die Erzieherin wiederholt seine Worte: „Ganz lange!“ Dann fügt sie hinzu „Wir haben fürs Warten eine Sanduhr! Dann fährt jeder fünf oder zehn Minuten! Die Sanduhr muss ich erst suchen. Wartest du so lange?“ Robin schaut die Erzieherin an und nickt zustimmend.

  • Die Erzieherin drückt ihre Anerkennung aus, indem sie mit ihren Worten den Worten von Robin folgt. Nun leitet sie positiv und schlägt eine Struktur vor, die sie selbst auch in die Position der Handelnden bringt. Sie übernimmt hier Leitung und gibt Robin eine Handlungsmöglichkeit, der er dann ebenfalls folgt.  

Dann mischt sich Henry ein, der ebenfalls ein Fahrzeug fährt. Er betont, dass Robin sein Fahrzeug verlassen hat und nun Paul damit fährt. Henry wirkt dabei in seinen Worten nicht wertend oder anklagend, sondern erklärend, als sei bei ihm schon der Funke der wertschätzenden und anerkennenden Haltung der Fachkraft übergesprungen. Die Erzieherin bleibt neben Robin in der Hocke sitzen, wendet sich dabei aber sehr aufmerksam Henry zu, indem sie ihren Körper in seine Richtung dreht und seinen Ausführungen zuhört. Nun fragt sie Robin: „Hast du verstanden, was Henry gesagt hat?“ Robin reagiert darauf mit einem Nicken.

  • Die Erzieherin stellt sich als Zuhörerin und Vermittlerin für beide Kinder zur Verfügung. Sie hört auch Henry zu und gibt Raum, die Situation auf rein sachlicher Ebenen zu besprechen.

Nun beschreibt sie kurz, mit wem die Fahrzeuge aktuell besetzt sind, bevor sie Robin entschlossen fragt: „Ich hole die Sanduhr?“, worauf Robin sofort mit einem erwartungsvollen: „Jaaa!“ antwortet. Hier fügt die Erzieherin nochmals die Frage an „Du wartest so lange?“, und erhält erneut ein zustimmendes Nicken von Robin. Nun steht die Erzieherin auf, während sie „Gut!“ sagt und Robin dabei nochmal rückversichernd anschaut.

  • Die Erzieherin bleibt mit ihren Beschreibungen auf einer rein sachlichen und lösungsorientierten Ebene. Durch ihre rückversichernden Fragen schließt sie Robin in den Lösungsprozess ein. Für ihn entwickelt sich so das Warten zu einer positiven, aktiven Handlung, die er nun gerne zu tun scheint.

Während ihrer Abwesenheit wartet Robin an Ort und Stelle. Als dann die anderen Kinder mit den Fahrzeugen vorbeifahren, geht Robin einen Schritt nach vorne und sagt: „Wir holen eine Sanduhr und dann darf jeder fünf oder zehn Minuten!“

  • Durch ihr ruhiges, sachliches, lösungsorientiertes und zugewandtes Verhalten beugt sie einer Ausgrenzung vor. Robin bringt durch das Wort „wir“ die Akzeptanz der Regel zum Ausdruck. Hier bleibt nicht der Regelverstoß, sondern das Erkennen von den Möglichkeiten, die die Prozesse regeln, als Lernerfolg in Erinnerung.

Die pädagogische Fachkraft ist in der Interaktion mit den Kindern auf Augenhöhe. Sie drückt damit Nähe aus und eine Körperhaltung, die vermittelt, dass sie nicht über dem Kind steht, sondern auf Verständigung aus ist und die Bereitschaft mitbringt, dem Kind zuzuhören. Statt aus einem ersten Impuls heraus streng oder autoritär handeln zu müssen, vollzieht sie einen Statuswechsel zu einer menschlichen Autorität. Durch die Positionierung neben dem Kind zeigt sie: „Ich bin an deiner Seite“, und verzichtet darauf, die Kinder mit einem anhaltenden Blick zu konfrontieren.

Ruhe wirkt Wunder

Wenn wir als Erwachsene in einer konflikthaften Interaktion Ruhe ausstrahlen, wirkt das deeskalierend. Die wichtigste Botschaft der Erzieherin ist hier ihre körperliche Anwesenheit. Die Botschaft: „Ich bin da und ich bleibe, komme, was da wolle, denn du bist mir wichtig“ vermittelt laut den Psychologen Haim Omer und Arist von Schlippe Stärke und gibt dem Kind Sicherheit.

In den meisten Fällen sind die Kinder, die immer wieder durch aggressives oder oppositionelles Verhalten auffallen, auf der Suche nach echter Aufmerksamkeit. Sie leiden unter ihrer Rolle, die sie zunehmend zum Außenseiter macht. Aus diesem Grund sind Körperkontakt sowie Äußerungen, wie die Worte „Wir zusammen“, die eine Verbundenheit herstellen, so wichtig: „Wir finden zusammen eine Lösung für das Problem, denn nicht du bist das Problem, sondern es geht lediglich um dein oder euer aktuelles Verhalten.“ Wir müssen verstehen, dass ein Kind dazugehören möchte, und Worte finden, welche Zugehörigkeit ausdrücken.

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