Emotionen passgenau beantworten und regulieren
Erwachsene haben vielfältige Aufgaben der Unterstützung. Sie helfen dem Kind nicht nur, ein großes, breites und kulturspezifisches Emotionsrepertoire aufzubauen, sondern auch, die aufkommenden Emotionen zu regulieren. Kleine Kinder fühlen sich noch oft überschwemmt von Emotionen. Sie sind auf Ko-Regulation der Bezugspersonen angewiesen. Erst im Laufe des Vorschulalters beginnen Kinder, sich nicht immer an ihre Bezugspersonen zu wenden, sondern Emotionen selbst zu regulieren.
Die zentralen Aufgaben der Bezugspersonen
Spiegeln
Zum Aufbau eines Emotionsrepertoires ist es zunächst zentral, das Kind über spiegelnde Kommunikation zu begleiten (Gutknecht 2015). Dies bezieht sich auf den emotionalen Ausdruck des Kindes in seiner Bewegung, Mimik und Gestik, aber auch in seinen Stimm- oder Lautäußerungen. Wenn Eltern oder eine Tagespflegeperson den Ausdruck des Kindes zurückspiegeln, benutzen sie dabei ganz intuitiv, also oft nicht bewusst, sogenannte Markierungen. Sie spiegeln zunächst die Emotion des Kindes und zeigen direkt anschließend den eigenen emotionalen Ausdruck und danach wieder die kindliche Emotion. Dadurch unterstützen sie das Kind darin, zwischen der eigenen Emotion und der des Gegenübers zu unterscheiden.
Sprachliche Fähigkeiten fördern
Emotionen können Kinder komplett überwältigen. In diesen Situationen sind Kinder oft sprachlich nicht zu erreichen, sprachliche Aussagen müssen dann sehr kurz sein. Es gilt, Ruhe und Halt auch nonverbal zu vermitteln, das Gefühl aber in kurzen Worten zu beschreiben: „Du bist wütend! Lorenz hat den Traktor weggenommen!“. Die Tagespflegeperson hilft dem Kind, Worte für seine Situation zu erlernen. Sie stärkt damit das Verstehen und gibt dem Ganzen eine Bedeutung (Zollinger 2015). Nicht-Verstehen führt zu Situationen, die eskalieren, darum muss sowohl das situative Verstehen als auch das sprachliche Verstehen unterstützt werden. Eine gute Gestaltung der Tagesübergänge (= Mikrotransitionen) ist deshalb so wichtig, weil sie oft mit für das Kind nicht nachvollziehbaren Spielunterbrechungen einhergehen. Sprachliche Vorankündigungen sind hier das A & O. Als Form der Konfliktassistenz benötigen Kinder den Erwachsenen als Modell für mögliche Konfliktlösungen.
Zeitverstehen
Zeitliche Vorstellungen wie gestern, heute, morgen, jetzt oder gleich baut das Kind erst mit wachsenden kognitiven Möglichkeiten auf (Bischof-Köhler 2000). Durch die Wiederholungen des Alltags, das wachsende Sprachverstehen und die begleitenden Worte der Tagespflegeperson gelingt es dem Kind zunehmend, die Abläufe mitzudenken und zu verstehen.
Bewertung, Handlungsbereitschaft und sozialer Appell bei unterschiedlichen Emotionen
Emotion |
Bewertung des Emotionsanlasses |
Handlungsbereitschaft |
Appell an Interaktionspartner |
Erschrecken
ab Geburt |
Der Reiz ist zu heftig. |
Alle Muskeln anspannen und beiAndauern zu weinen beginnen.
|
Nimm den Reiz weg. Mach das nicht nochmal. |
Distress
ab Geburt |
Mir fehlt etwas Wichtiges.
Ich habe Bedarf.
|
Ich weine weiter, bis mein Bedarf
gestillt ist. |
Mach alles wieder gut. |
Ekel
ab Geburt |
Etwas Ungenießbares wird wahrgenommen.
|
Ich mag das nicht essen (oder anfassen oder sehen). |
Hör auf damit. Lass das sein. |
Interesse/
Erregung
ab Geburt |
Etwas Neuartiges oder Unerwartetes
wird wahrgenommen. |
Damit möchte ich mich näher beschäftigen. |
Ich bin aufnahmebereit.
Gib mir mehr Information. |
Freude
ab 2 Monate |
Etwas Vertrautes und Genussvolles
geschieht. |
Davon möchte ich mehr.
Das mache ich nochmal. |
Bleib bei mir. Mach das noch mal.
Lass das andauern. |
Frustration
ab 4 Monate |
Etwas gelingt nicht so wie erwartet. |
Das soll so werden, wie ich das
erwarte. |
Hilf mir, dass es so wird, wie ich das
erwarte. |
Ärger
ab 7 Monate |
Das Gegenüber verhindert, dass ich
mein Ziel erreiche. |
Ich gebe nicht auf. |
Behindere mein Ziel nicht, ich werde
sonst noch böser. |
Traurigkeit
ab 9 Monate |
Man hat mich verlassen. Etwas
Wichtiges ist verloren gegangen. |
Ich kann nichts mehr tun.
Ich stelle alles Tun ein. |
Tröste mich. Bleib bei mir. |
Furcht
ab 9 Monate |
Etwas Gefährliches ist aufgetaucht. |
Ich fixiere die Gefahr, bin zur Flucht bereit. |
Gegenüber Gefahr: Tue mir nichts
Böses. Gegenüber Bezugsperson: Rette mich aus der Gefahr. |
Überraschung
ab 9 Monate |
Etwas völlig Unerwartetes ist geschehen. |
Ich muss mich erst einmal orientieren,
was geschehen ist. |
Gib mir mehr Information. Ich habe
nichts gewusst. Ich kann nichts dafür. |
Verlegenheit
ab 18 Monate |
Ich merke, dass ich beobachtet
werde. |
Ich möchte mich vor weiterer
Beobachtung schützen. |
Beobachte mich nicht mehr. |
Mitgefühl
ab 18 Monate |
Jemand erleidet einen Schaden. |
Ich möchte dich trösten und dir
helfen. |
Ich fühle mit dir in deinem Leid. |
Stolz
ab 24 Monate |
Ich habe etwas Wertgeschätztes
geleistet. |
Ich gehöre jetzt zu den Großen. Ich will das andauern lassen. |
Du sollst mich bewundern. |
Scham
ab 30 Monate |
Ich bin unfähig, etwas Wertgeschätztes zu leisten. Ich habe Böses getan.
|
Ich will die Situation verlassen.
Das tue ich nie wieder. |
Ich bin unfähig/böse, aber schließ
mich nicht aus der Gemeinschaft
aus. |
Schuld
ab 36 Monate |
Ich habe falsch gehandelt. Ich habe
jemanden geschädigt. |
Ich mache das wieder gut. |
Ich will, dass du siehst, dass es mir leidtut. Ich will das wiedergutmachen.
|
Dankbarkeit
ab 36 Monate |
Mein Gegenüber hat mir eine Wohltat zuteilwerden lassen. |
Ich zeige mich ihm gegenüber ehrerbietig. |
Ich wertschätze dich als einen Wohltäter. |
(Holodynski & Gutknecht, 2012)
Literatur
Bischof-Köhler, D. (2000): Kinder auf Zeitreise: Theory of Mind. Zeitverständnis und Handlungsorganisation. Bern: Verlag Hans Huber.
Gutknecht, D. (2015): Bildung in der Kinderkrippe. Wege zur Professionellen Responsivität. Stuttgart: Kohlhammer.
Gutknecht, D. & Kramer, M. (2018): Mikrotransitionen in der Kinderkrippe. Achtsame und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten. Freiburg: Herder.
Holodynski, M. & Gutknecht, D. (2012): Die sozial-emotionale Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren: Ich brauche dich jetzt! In: Kleinstkinder. Themenheft „Sozial-emotionale Entwicklung“, S. 6 – 13.
Zollinger, B. (2015): Die Entdeckung der Sprache. Bern: Hans Huber.
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