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Franz weint und schreit. Er hat sich auf den Boden geworfen, weil Susanna, seine Tagesmutter, beim gemeinsamen Supermarktbesuch kein Eis für ihn kaufen wollte. Junge Kinder verfügen noch nicht über Sprache, aber sie kommunizieren in der Sprache der Emotionen. Hierfür sind sie von Beginn an gut vorbereitet. Am Lebensanfang können Kinder ihren Bezugspersonen bereits fünf Grundemotionen zeigen und darüber ihre Befindlichkeit mitteilen.
Schon ein kleiner Säugling macht dabei im Austausch mit einfühlsamen Erwachsenen die Erfahrung, dass er mit dem körperlichen Ausdruck seiner Emotion etwas bewirken kann, dass Emotionen eine Art Appell mit der Bitte um Unterstützung oder Regulation an das Gegenüber darstellen. Jede Emotion bei Kindern und Erwachsenen ist mit einem charakteristischen Gesichts- und Körperausdruck verbunden. Auf ihrem Entwicklungsweg lernen Kinder 1. Emotionen vielfältiger Art körperlich auszudrücken und 2. die zum Ausdruck gebrachten Emotionen zunächst ihrer Bezugspersonen, später auch diejenigen der anderen Menschen zu lesen und zu verstehen, 3. außerdem Emotionen zu regulieren.
Das Emotions-Repertoire des Kindes erweitert sich mithilfe seiner Bezugspersonen sehr rasch. Sein emotionaler Ausdruck wird immer differenzierter und auch kulturspezifischer. Im Alter von drei Jahren verfügt das Kind bereits über vielfältige Emotionen. Besonders wichtig sind dabei die sozialen Emotionen wie Schuld, Scham oder Dankbarkeit. Das Kind verfügt mit den sozialen Emotionen über die Fähigkeit, nicht nur die eigenen Bedürfnisse, sondern auch die der anderen zu erkennen und soziale Regeln zu verstehen. Es fühlt sich beispielsweise stolz, wenn es etwas Wertgeschätztes getan hat, schuldbewusst, wenn es gegen Regeln verstoßen hat. Soziale Emotionen sind die Basis für Empathie. In der Tabelle sind Bewertung, Handlungsbereitschaft und sozialer Appell bei ganz unterschiedlichen Emotionen aufgeführt.
Erwachsene haben vielfältige Aufgaben der Unterstützung. Sie helfen dem Kind nicht nur, ein großes, breites und kulturspezifisches Emotionsrepertoire aufzubauen, sondern auch, die aufkommenden Emotionen zu regulieren. Kleine Kinder fühlen sich noch oft überschwemmt von Emotionen. Sie sind auf Ko-Regulation der Bezugspersonen angewiesen. Erst im Laufe des Vorschulalters beginnen Kinder, sich nicht immer an ihre Bezugspersonen zu wenden, sondern Emotionen selbst zu regulieren.
Zum Aufbau eines Emotionsrepertoires ist es zunächst zentral, das Kind über spiegelnde Kommunikation zu begleiten (Gutknecht 2015). Dies bezieht sich auf den emotionalen Ausdruck des Kindes in seiner Bewegung, Mimik und Gestik, aber auch in seinen Stimm- oder Lautäußerungen. Wenn Eltern oder eine Tagespflegeperson den Ausdruck des Kindes zurückspiegeln, benutzen sie dabei ganz intuitiv, also oft nicht bewusst, sogenannte Markierungen. Sie spiegeln zunächst die Emotion des Kindes und zeigen direkt anschließend den eigenen emotionalen Ausdruck und danach wieder die kindliche Emotion. Dadurch unterstützen sie das Kind darin, zwischen der eigenen Emotion und der des Gegenübers zu unterscheiden.
Emotionen können Kinder komplett überwältigen. In diesen Situationen sind Kinder oft sprachlich nicht zu erreichen, sprachliche Aussagen müssen dann sehr kurz sein. Es gilt, Ruhe und Halt auch nonverbal zu vermitteln, das Gefühl aber in kurzen Worten zu beschreiben: „Du bist wütend! Lorenz hat den Traktor weggenommen!“. Die Tagespflegeperson hilft dem Kind, Worte für seine Situation zu erlernen. Sie stärkt damit das Verstehen und gibt dem Ganzen eine Bedeutung (Zollinger 2015). Nicht-Verstehen führt zu Situationen, die eskalieren, darum muss sowohl das situative Verstehen als auch das sprachliche Verstehen unterstützt werden. Eine gute Gestaltung der Tagesübergänge (= Mikrotransitionen) ist deshalb so wichtig, weil sie oft mit für das Kind nicht nachvollziehbaren Spielunterbrechungen einhergehen. Sprachliche Vorankündigungen sind hier das A & O. Als Form der Konfliktassistenz benötigen Kinder den Erwachsenen als Modell für mögliche Konfliktlösungen.
Zeitliche Vorstellungen wie gestern, heute, morgen, jetzt oder gleich baut das Kind erst mit wachsenden kognitiven Möglichkeiten auf (Bischof-Köhler 2000). Durch die Wiederholungen des Alltags, das wachsende Sprachverstehen und die begleitenden Worte der Tagespflegeperson gelingt es dem Kind zunehmend, die Abläufe mitzudenken und zu verstehen.
Emotion | Bewertung des Emotionsanlasses | Handlungsbereitschaft | Appell an Interaktionspartner |
Erschrecken ab Geburt |
Der Reiz ist zu heftig. |
|
Nimm den Reiz weg. Mach das nicht nochmal. |
Distress ab Geburt |
Mir fehlt etwas Wichtiges. Ich habe Bedarf. |
Ich weine weiter, bis mein Bedarf gestillt ist. |
Mach alles wieder gut. |
Ekel ab Geburt |
Etwas Ungenießbares wird wahrgenommen. |
Ich mag das nicht essen (oder anfassen oder sehen). | Hör auf damit. Lass das sein. |
Interesse/ Erregung ab Geburt |
Etwas Neuartiges oder Unerwartetes wird wahrgenommen. |
Damit möchte ich mich näher beschäftigen. | Ich bin aufnahmebereit. Gib mir mehr Information. |
Freude ab 2 Monate |
Etwas Vertrautes und Genussvolles geschieht. |
Davon möchte ich mehr. Das mache ich nochmal. |
Bleib bei mir. Mach das noch mal. Lass das andauern. |
Frustration ab 4 Monate |
Etwas gelingt nicht so wie erwartet. | Das soll so werden, wie ich das erwarte. |
Hilf mir, dass es so wird, wie ich das erwarte. |
Ärger ab 7 Monate |
Das Gegenüber verhindert, dass ich mein Ziel erreiche. |
Ich gebe nicht auf. | Behindere mein Ziel nicht, ich werde sonst noch böser. |
Traurigkeit ab 9 Monate |
Man hat mich verlassen. Etwas Wichtiges ist verloren gegangen. |
Ich kann nichts mehr tun. Ich stelle alles Tun ein. |
Tröste mich. Bleib bei mir. |
Furcht ab 9 Monate |
Etwas Gefährliches ist aufgetaucht. | Ich fixiere die Gefahr, bin zur Flucht bereit. | Gegenüber Gefahr: Tue mir nichts Böses. Gegenüber Bezugsperson: Rette mich aus der Gefahr. |
Überraschung ab 9 Monate |
Etwas völlig Unerwartetes ist geschehen. | Ich muss mich erst einmal orientieren, was geschehen ist. |
Gib mir mehr Information. Ich habe nichts gewusst. Ich kann nichts dafür. |
Verlegenheit ab 18 Monate |
Ich merke, dass ich beobachtet werde. |
Ich möchte mich vor weiterer Beobachtung schützen. |
Beobachte mich nicht mehr. |
Mitgefühl ab 18 Monate |
Jemand erleidet einen Schaden. | Ich möchte dich trösten und dir helfen. |
Ich fühle mit dir in deinem Leid. |
Stolz ab 24 Monate |
Ich habe etwas Wertgeschätztes geleistet. |
Ich gehöre jetzt zu den Großen. Ich will das andauern lassen. | Du sollst mich bewundern. |
Scham ab 30 Monate |
|
Ich will die Situation verlassen. Das tue ich nie wieder. |
Ich bin unfähig/böse, aber schließ mich nicht aus der Gemeinschaft aus. |
Schuld ab 36 Monate |
Ich habe falsch gehandelt. Ich habe jemanden geschädigt. |
Ich mache das wieder gut. |
Ich will, dass du siehst, dass es mir leidtut. Ich will das wiedergutmachen. |
Dankbarkeit ab 36 Monate |
Mein Gegenüber hat mir eine Wohltat zuteilwerden lassen. | Ich zeige mich ihm gegenüber ehrerbietig. | Ich wertschätze dich als einen Wohltäter. |
(Holodynski & Gutknecht, 2012)
Bischof-Köhler, D. (2000): Kinder auf Zeitreise: Theory of Mind. Zeitverständnis und Handlungsorganisation. Bern: Verlag Hans Huber.
Gutknecht, D. (2015): Bildung in der Kinderkrippe. Wege zur Professionellen Responsivität. Stuttgart: Kohlhammer.
Gutknecht, D. & Kramer, M. (2018): Mikrotransitionen in der Kinderkrippe. Achtsame und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten. Freiburg: Herder.
Holodynski, M. & Gutknecht, D. (2012): Die sozial-emotionale Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren: Ich brauche dich jetzt! In: Kleinstkinder. Themenheft „Sozial-emotionale Entwicklung“, S. 6 – 13.
Zollinger, B. (2015): Die Entdeckung der Sprache. Bern: Hans Huber.
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