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In unserem bilingualen Montessori-Kinderhaus in Berlin-Friedenau treffen sich täglich zweieinhalbbis sechsjährige Kinder in altersgemischten Gruppen. Verschiedenste Nationalitäten und unterschiedlichste kulturelle Lebensweisen prägen das Bild dieser Kita. Dies ist typisch für Montessori-Einrichtungen: Sie verbindet dabei der Gedanke, die inneren Kräfte jedes einzelnen Kindes wertzuschätzen und durch sein Tun zu stärken – egal ob mit oder ohne Behinderung. Dies geschieht in der bewussten Gestaltung einer vorbereiteten und kindgerechten Umgebung.
Nur wer seine Hände gebraucht, gibt seinem Verstand die Möglichkeit, unsere Welt zu verstehen und schon in jungen Jahren mitzugestalten. Im Mittelpunkt steht hierbei die Schulung aller Sinne. Durch das Prinzip der „Isolation der Schwierigkeit“ haben alle Kinder die Chance, entsprechend ihrer Motivation und ihres eigenen Könnens den Dingen auf den Grund zu gehen. Die Freude an der Bewegung hilft jedem Kind, mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit Dingen in der Umgebung in Kontakt zu treten. Mithilfe unserer speziellen Entwicklungsmaterialien bieten wir gleichermaßen jedem Kind mit seinen individuellen körperlichen und geistigen Voraussetzungen die Möglichkeit, die „Sprache der Dinge und Gegenstände“ zu sehen, zu fühlen, zu hören, zu riechen, zu schmecken usw. Diese bringt es dann in ein Gleichgewicht mit seiner ihm einzigartigen Besonderheit. Dabei beobachten wir immer wieder, wie leicht Kinder individuelle Stärken entwickeln und Interesse an bisher Unerreichtem zeigen. Aufgrund von klaren Strukturen, unbewerteten Wiederholungen und dem Mut zum Fehler entwickeln Kinder in der Gemeinschaft ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, Respekt und Akzeptanz, Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfeleistung und eine unglaubliche innere Zufriedenheit.
Wissenschaftliche Untersuchungen dokumentieren Maßstäbe, was zu welcher Zeit im besonderen Fokus der Entwicklung eines Kindes stehen sollte. Dennoch hat jedes Kind seinen individuellen Rhythmus. Hier gilt das Motto: Gib jedem seine Zeit! Gerade Kinder mit besonderen Bedürfnissen verlangen vom Erwachsenen ein genaues, nicht eingreifendes Beobachten, um dem Kind die Dinge anzubieten, die es für seine derzeitigen Bedürfnisse braucht, aber sie aus eigener Kraft nicht erreichen oder ausdrücken kann. Nur wer sich selbst mit all seinen Stärken und Schwächen kennenlernen kann, wird zum „Schöpfer seiner selbst“, zu einer eigenen Persönlichkeit und somit zum Teil einer Gemeinschaft und friedlichen Gesellschaft.
Das Besondere an der Arbeit in Montessori-Einrichtungen ist die Zusammensetzung der Gruppen. Diese sind alters- und geschlechtergemischt und stellen so einen Teil unserer realen Gesellschaftsform dar, in die ein Kind hineinwächst und seinen Platz sucht. Der geschützte Rahmen des „Kinderhauses“ ermöglicht jedem einzelnen Kind, mit anderen Kindern in Kontakt zu treten, ohne sich messen oder bewerten lassen zu müssen. Dieses natürliche Zusammenleben stellt ein großes Potenzial an gegenseitiger Hilfe, Unterstützung und Toleranz, aber auch an Abgrenzung und Individualität dar. Ältere Kinder wachsen mit den Bedürfnissen jüngerer auf, schwächere Kinder las sen sich von stärkeren helfen. Es wird abgeschaut, geteilt und festgestellt. Das Anderssein eines jeden wird täglich gelebt.
In Montessori-Einrichtungen erlebe ich oft, wie Kinder stolz sind auf das, was sie erreicht haben, und dadurch eine innere Zufriedenheit ausstrahlen. Dabei spielt es keine Rolle, was ein Kind in welchem Alter tut und wie es zum Ziel gelangt ist. Die Kinder treffen sich in Interessengruppen und erforschen so ihre Welt. Dabei ist die Aufgabe des Erwachsenen als stiller Begleiter die, dem Kind Hilfe zu leisten, ihm Türen zu öffnen, damit es selbst Erfahrungen machen und begreifen kann. Die Sprache der Kinder untereinander ist sehr viel mehr auf Augenhöhe als die des Erwachsenen zum Kind. Zu keiner Zeit findet so isolierte Einzelförderung oder Ausgrenzung statt. Wir Pädagogen verstehen unsere Aufgabe nicht darin, den Kindern etwas beizubringen oder sie etwas lehren zu wollen oder gar zu müssen. Wir verstehen unsere Aufgabe auch nicht darin, zu fördern oder abzufragen. Vielmehr stellen wir jedem Kind das zur Verfügung, was es gerade für seine körperlichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse braucht, um innere Ausgeglichenheit spüren zu können. Die räumliche und materielle Umgebung ist an die Größe und Kraft der Kinder angepasst. Dabei erfahren Kinder großen Respekt ihrer bisherigen Entwicklung, was wiederum die Motivation in ihnen weckt, Neues auszuprobieren. Montessori spricht vom „Baumeister seiner selbst“. Unser besonderes Angebot an Spiel- und Beschäftigungsmaterialien, Lern- und Erfahrungsbereichen beruht auf den Prinzipien: vom Leichten zum Schweren und vom Konkreten zum Abstrakten, wobei jedes Material nur einmal vorhanden ist. Das hilft, sich zurechtzufinden, sich zu orientieren und somit Sicherheit zu erlangen. Damit ein Kind frei und unabhängig vom Erwachsenen arbeiten kann, zeigen wir ihm in Einzelpräsentationen die Handhabung der Dinge. Erst das eigene Tun, das Gebrauchen der eigenen Hand, ermöglicht es, die Welt, in der es lebt, zu begreifen. Durch diese Möglichkeit lernt das Kind.
Anders als in Regel-Kitas sprechen wir selten von „Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen“. Diese Kinder sind selbstverständlicher Bestandteil der Gruppe. Sie treffen auf andere Kinder und erfahren Unterschiede. In erster Linie jedoch teilen sie Interessen, stellen Gemeinsamkeiten fest und unterstützen sich gegenseitig. Für jedes Kind besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, eigenen Bedürfnissen nachzugehen oder die volle Aufmerksamkeit und Hilfe des Erwachsenen zu erhalten.
Reiko Wildgrube ist Montessori-Pädagoge, Facherzieher für Integration, Leitung eines bilingualen Montessori-Kinderhauses in Berlin, Dozent der Deutschen Montessori-Vereinigung.
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