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Wie lässt sich die Qualität einer Sache – also auch der Arbeit mit Kindern – beschreiben? Bei der Beantwortung dieser Fragen greife ich auf fünf Dimensionen zurück, die der Philosoph Aristoteles bereits vor etwa 2.300 Jahren verwendet hat, und die bis heute nichts an Gültigkeit verloren haben.
Jeder dieser Begriffe kann unterschiedlich gefüllt werden. Der Raum kann sowohl als offen charakterisiert werden als auch als Geborgenheit stiftend, also mit zwei Begriffen, die sich erst einmal zu widersprechen scheinen.
Das Bild vom Kind ist neben diesen Qualitätsdimensionen eine zweite Grundlage für die pädagogische Arbeit: Das Kind ist selbst Konstrukteur von Wissen, es ist Forscher und Entdecker, es ist ein soziales Wesen, das sich auf vielfältige Weise ausdrücken kann.
Wenn wir das Bild vom Kind pädagogisch nutzen wollen, dann nützt uns vor allem ein Wissen darüber, was Kinder brauchen, was ihnen guttut. Konkret: Wohlbefinden und Sicherheit, Stärkung der Identität und die Verwirklichung von Selbstkonzepten, aber auch die Stimulierung von Welterkundung, sodass Kinder sich in ihrer Welt zurechtfinden. Dafür brauchen sie vor allem soziale Beziehungen und Gemeinschaft.
Durch die Corona-Pandemie ist es schwieriger geworden, diese Kinderbedürfnisse zu realisieren. Insbesondere die Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder sind geringer geworden. Dies bezieht sich deutlich sichtbar vor allem auf eine Reduktion der Raumerfahrung: Durch das Einhalten von Abständen und die Vermeidung von Kontakten werden sie eingeengt in ihrem Erfahrungsspektrum, und damit gehen viele soziale Erfahrungen verloren.
Unter diesen Bedingungen können wir versuchen, ihnen andere Möglichkeiten zu eröffnen. Impulse hierzu finden wir in der Reggio-Pädagogik, weil sie davon ausgeht, dass auch begrenzte Raum-, Zeit- und Aktionsstrukturen Potenziale für die pädagogische Arbeit mit Kindern bereithalten.
Die Kinder müssen unter den Corona-Schutzmaßnahmen weitgehend in ihren Stammgruppen, in ihren Räumen bleiben. Sie können sie nicht verlassen. Pädagogisch können wir vieles von den eingruppigen Kindergärten lernen, indem wir unterschiedliche Aktionsbereiche nicht verschiedenen Räumen zuweisen, sondern in einem Raum zusammenfassen. Entscheidend dabei ist, dass wir nach Möglichkeit die funktionalen Identitäten der einzelnen Aktionsbereiche im Stammgruppenraum zwar belassen, aber erkennbar machen, sie akzentuieren.
In kleinen, abgegrenzten Bereichen und Ecken können sich Kinder etwa auf begrenztem Raum mit Konzentration, Freude und Neugier vertiefen und zugleich noch mit anderen Kindern in Interaktion stehen. Es kommt also darauf an, dass die Entdeckerfreude der Kinder nicht erstickt wird und dass Kinder ihre sozial-räumlichen Erfahrungen erhalten können.
Die Aktionsräume müssen dabei nicht nach dem bekannten Schema Mal-, Bau- und Rollenspielbereich aufgeteilt sein. Es können auch andere Aktionsschwerpunkte gewählt werden. Je nach den Interessen der Kinder, aber auch der Fachkräfte, können Forscherecke, Schreibwerkstatt, Auseinandernehm-Werkstatt, Wahrnehmungsort, Zeigeort, Museum, Fundort, Legowerkstatt, Hörspiel- und Vorlesebereich, Holzwerkstatt eingerichtet werden. Fantasie ist gefragt, solche Funktionsräume innerhalb des Stammgruppenraums zu definieren. Es sollten nicht zu viele sein, drei, vier, maximal fünf.
Mit den Kindern könnten in Gesprächskreisen die Themenorte festgelegt werden. Das ist eine Chance für Partizipation, für die Kommunikationsförderung und für die Förderung der Entwicklung und Bewusstwerdung eigener Interessen. So entsteht eine Bildungsgelegenheit für ganz elementare Erfahrungen:
Die Aktionsräume, in denen die Kinder aktiv werden, sollten dann auch deutlich gekennzeichnet werden, besonders durch Beschriftung, die man mit den Kindern erstellen kann. So können wir etwa durch eine kojenartige Separierung der einzelnen Funktionsbereiche verhindern, dass alle Bereiche beliebig miteinander verschwimmen.
Die Aktionsorte werden geprägt durch eine überschaubare, wechselnde, fantasievolle Auswahl an Materialien. Eine solche Auswahl gibt den Kindern Anstöße zum eigenverantwortlichen Tätigsein, wodurch Energie, Kreativität und Experimentierfreude der Kinder gestärkt werden.
Das Material kann geordnet, sozusagen vorbereitet präsentiert werden, aber auch zufällig bereit liegen. Mit einer solchen Unterschiedlichkeit der Präsentation können wir erreichen, dass es unterschiedliche Aktionsimpulse gibt für verschiedene Kinder. Nicht jedes Material löst bei jedem Kind direkt einen Handlungsimpuls aus. Einige Kinder brauchen mehr Impulse, sie wissen nicht sofort, was sie mit den Materialien in den Aktionsräumen anfangen könnten. Andere sprudeln bereits beim Anblick eines Materials über vor Ideen.
Viele Einrichtungen besitzen gruppenübergreifende Funktionsräume (insbesondere Bewegungsräume und vielleicht auch ein Atelier). Hier hat sich seit je ein Nutzungsmodus herausgestellt, der auch in Corona-Zeiten weitergeführt werden kann. Zeitliche Nutzungspläne sind wichtig, damit die Kinder aller Gruppen die besonderen Aktionsmöglichkeiten der gruppenübergreifenden Funktionsräume nutzen können.
Auch in Zeiten von Corona ist die Kommunikation mit Eltern wichtig – vielleicht sogar wichtiger als bisher. Ziel der Kommunikation ist es, ihnen die Sicherheit zu geben, dass sie die Entwicklung ihres Kindes weiterhin mit Interesse und eigener Aktivität begleiten können. Außerdem sollten Eltern Ideen und Wünsche in die Arbeit der Einrichtung einbringen können.
An die Stelle der unmittelbaren Gesprächskultur und der Information über „sprechende Wände“ (Wanddokumentationen) können Texte und Briefe, Zettel, Dokumentationshefte, aber auch Online-Kontakte die Kommunikation erleichtern. Diese kontaktreduzierende „Dokumentation to go“ kann aus verschickten Kinderfotos, wörtlichen Aussagen des Kindes und knappen Texten bestehen. Wichtigstes Charakteristikum ist die Prägnanz, sodass sowohl die Verständlichkeit für Eltern steigt als auch der Aufwand für Fachkräfte sinkt. Wenn dann noch bei den Botschaften an die Eltern unmittelbar Kinder einbezogen werden, ist auch eine wichtige Partizipationsmöglichkeit genutzt.
Durch Zeitrhythmen und Rituale kann den Kindern Struktur vermittelt werden. Das fördert das In-sich-Ruhen der Kinder. Kinder lernen, mit Zeitfenstern umzugehen, zum Beispiel, indem sie einen fixierten Zeitrahmen einhalten und in ihm nach eigenen Wünschen aktiv sind. Eine altersdifferenzierte Gruppenstruktur entspannt die Situationsverdichtungen unter Corona-Bedingungen. Kinder mit ähnlichem Lebens-, Entwicklungs- und Interessensalter können sich leichter auf gemeinsame Aktionsziele und Handlungswege einlassen.
Die Corona-Pandemie kann zu Veränderungen der Aktionsstrukturen im Kindergartenalltag anregen. Das Virus erzwingt eine Reduzierung des Aktionsradius der Kinder und damit eine Ballung in den Gruppenräumen. Nehmen wir den Kindern dann den Freiraum für Eigentätigkeit und Selbstverantwortung, besteht die Gefahr, dass sich der Kindergartenalltag zu einer hochverdichteten Zeit mit durchchoreografierten, wechselnden Aktivitäten wird, der zu allem Überfluss noch mit einem hohen Geräuschpegel einhergeht. Dem können wir entgegenwirken durch Struktur, Grenzen und Aktionsunterschiede im Alltag.
Mit der aktiven Gestaltung von
können wir unter den Bedingungen der Corona-Schutzmaßnahmen auch Chancen für eine Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit verstärken.
Tassilo Knauf ist Pädagoge und arbeitete lange Jahre als Professor für Elementarerziehung und Primarstufen-Pädagogik an der Universität Duisburg-Essen.
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