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Frau Renner, zunächst eine ganz persönliche Frage: Wie geht es Ihnen in er momentanen Situation?
Melanie Renner (MR): Im Großen und Ganzen geht es mir gut. Ich fühle mich jedoch in denersten Lockdown im Frühjahr 2020 zurückversetzt, als die Kita komplett geschlossen war. Ich arbeite gerade nämlich nicht am Kind, sondern bin im Homeoffice. Wir haben in der Einrichtung eine Notbetreuung und wegen meines Studiums arbeite ich sowieso nur zu 50 Prozent. Dass ich im Homeoffice bin, ist auf der einen Seite ein gutes Gefühl. Ich kann Dinge abarbeiten, die ansonsten zu kurz kommen. Zum Beispiel Entwicklungsberichte oder Portfolios. Da rutscht im Alltag manchmal durchaus etwas durch beziehungsweise wenn die
Ressourcen knapp sind. Dann fehlt die Zeit, um auch diese Aufgaben im angemessenen Rahmen erledigen zu können. Daneben habe ich mehr Zeit für Bildungsthemen und um Fachliteratur bewusst zu lesen. Für so etwas habe ich Daheim mehr Ruhe und Konzentration. Ein schönes Gefühl: Ich habe etwas erledigt und geschafft. Das entlastet mich. Auf der anderen Seite hinterlässt das Homeoffice ein „schlechtes“ Gefühl bei mir, weil die pädagogische Arbeit für mich durch die Arbeit am Kind lebt. Deswegen liebe ich sie und habe sie zu meinem Beruf gemacht. Da fehlt zu Hause natürlich der Kinderkontakt und auch der gewohnte Umgang mit dem Team und den Familien.
Gibt es noch etwas, das Sie gerade als große Herausforderung empfinden?
MR: Was morgen ist, können wir in Zeiten von Corona heute noch nicht sagen. Deswegen müssen wir extrem flexibel und offen für neue Situationen sein. In kürzester Zeit muss ich im Kopf verschiedene Szenarien durchspielen und kurzfristig auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren. Das fordert mich persönlich sehr heraus.
Es ist in der Zwischenzeit bewiesen, dass auch Kinder das Corona-Virus übertragen. Wie groß ist Ihre Sorge, sich in der Krippe anzustecken?
MR: Als Fachkraft frage ich mich natürlich manchmal: Bin ich durch meinen Beruf einem höheren Risiko ausgesetzt? Denn Kinder können das Virus übertragen, aber selber dabei gar keine Symptome haben. Mir sind auch schon solche Fälle aus Einrichtungen zu Ohren gekommen und dann mache ich mir natürlich Sorgen. Die pädagogische Arbeit mit Kindern hat sich durch Corona ja nicht viel geändert. Wir pflegen engen Kontakt zu den Kindern und das bedeutet in diesem Alter auch körperliche Nähe. Einerseits finde ich das schön und das braucht es auch, vor allem für die Kinder, wenn sie nach längerer Pause wieder in die Einrichtung kommen. Andererseits sorge ich mich wegen des Ansteckungsrisikos. Man merkt: Ich bin zwiegespalten. Schließlich tut es auch mal gut, wenn man Corona im Alltag kurz vergessen kann und zum Beispiel mit zwei Kindern eine tolle Spielsituation im Alltag erlebt. Da tauche ich dann so richtig in die Tätigkeit ein und denke in diesem Moment nicht: „Halt Stopp, es ist ja Corona.“
Das hört sich so an, als gäbe es Momente, in denen alles ganz normal zu sein scheint.
MR: Teilweise. Mir kommt da die Eingewöhnung in den Sinn, denn trotz Corona haben wir neue Kinder aufgenommen. In diesen Tagen bist du in deinem ganz normalen Modus. Man hat es gelernt, weiß, wie es geht und macht es einfach. Im Alltag nimmt man die Kinder auch ohne nachzudenken auf den Arm, wenn sie weinen. Und klar kann man beim Wickeln Handschuhe und einen Mundschutz tragen, aber wenn mir ein Kind mitten ins Gesicht niest, kann ich es nicht einfach wegwerfen und mich von Grund auf desinfizieren. In diesen Situationen denke ich auch nicht darüber nach, dass das Virus zwischen mir und den Kindern
herumspringen könnte. Solche Gedanken kommen eher in stillen Momenten oder wegen den politischen Diskussionen, ob Kitas öffnen oder schließen sollen. Oder wenn die Frage in den Medien aufkommt, ob Fachkräfte ausreichend geschützt sind. Da wird einem dann wieder bewusst, dass es auch um die eigene Gesundheit geht.
Wenn vieles im Alltag ganz normal abläuft, bedeutet das im Umkehrschluss, dass Krippenkinder noch nicht verstehen, was gerade um sie herum passiert?
MR: Nein, das würde ich so nicht unterschreiben. Das ist unterschiedlich. Die Zwei- bis Dreijährigen verstehen sehr viel und passen sich erstaunlich gut an die neuen Begebenheiten an. Sie stellen zum Beispiel Rückfragen. Ich denke da gerade an die Wickelsituation, als mich ein Mädchen (2 Jahre, 4 Monate) gefragt hat, warum ich jetzt den Mundschutz wieder aufsetzen muss. Diese Anpassungsleistung der Kinder hat mich nach dem ersten Lockdown sehr überrascht. Wir haben danach eigentlich wieder bei null begonnen und haben die Kinder ganz behutsam eingewöhnt. Davor haben wir unsere Räume komplett umgebaut und an die Corona-Verordnungen angepasst. Wie schnell sich die Kinder mit diesen neuen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt haben, war wirklich erstaunlich.
Woran hat das Ihrer Meinung nach noch gelegen?
MR: Wir haben während der Schließungen permanent Kontakt mit den Familien gehalten. Jeder war für seine Bezugskinder verantwortlich. Ich habe Mails geschrieben und mit den Familien Videokonferenz abgehalten. Es war echt spannend und schön, wie die Kleinen durch den Bildschirm reagiert und mich wiedererkannt haben. Außerdem hat unsere Leiterin täglich Impulse von uns an die Familien versendet. Dafür habe ich zum Beispiel mal ein Fingerspiel aufgenommen. Diese Präsenz hat geholfen. Denn als wir wieder geöffnet haben, waren die Kinder schnell wieder eingewöhnt. Klar, es gab auch mal Trennungsschmerzen und hat unterschiedlich lange gedauert, aber im Großen und Ganzen sind die Kleinen wieder mit Freude und Lust auf die Kita zu uns gekommen.
An welchen Dingen fällt Ihnen auf, dass die Kinder wissen, dass etwas anders ist?
MR: Das sind meistens die kleinen, stillen Momente, die ich in der 1:1-Situation habe, zum Beispiel beim Mundschutz. Ich habe beim Wickeln mal den Mundschutz nicht gleich aufgesetzt, weil ich noch etwas vorbereiten musste. Das Kind hat sofort gefragt: „Wo ist dein Mundschutz?“ Je nach Alter und Entwicklungsstand, speichern die Kinder solche Veränderungen ganz schnell ab – dass wir Mundschutz und Handschuhe tragen oder dass wir mit den Eltern mehr auf Abstand sind. Ich merke auch noch an etwas anderem, dass sie die neue Situation durchaus wahrnehmen und uns imitieren: Für Rollenspiele haben wir kleine
Mundschutze für die Kinder genäht und wenn sie ihre Puppen wickeln, dann ziehen sie die an. So können sie den momentanen Alltag für sich bearbeiten. Es ist toll, wenn Kinder Material haben, das das echte Leben abbildet und sie sich damit auseinandersetzen können. Die Kinder wissen auch genau, dass immer nur ein Elternteil in der Garderobe ist und nicht wie sonst, fünf Familien gleichzeitig zum Bringen kommen.
Nicht nur für die Kinder ist seit einem Jahr vieles anders, sondern auch für die Fachkräfte. Was haben Sie als Team aus dem ersten Lockdown gelernt?
MR: Unser Team ist jetzt definitiv krisenerprobter. Durch Corona mussten wir lernen, dass unser Job nicht mehr aus der einrichtungsgebundenen Arbeit am Kind und mit den Eltern, besteht. Dazu gehört der Gedanke: „Wie lässt sich ein so an den Menschen gebundener Job ins Homeoffice verlegen?“ Das hat bei uns in der Einrichtung dazu geführt, dass wir überlegt haben, wie wir aus der Situation das Beste herausholen können. Daraufhin haben wir uns mit einem Projektmanagement-Programm beschäftigt. Mit dieser neuen Plattform können wir jetzt pädagogische Themen gemeinsam bearbeiten und die Konzeption unserer Krippe weiter voranbringen. Klar, davor haben wir auch mit Mails kommuniziert und mit Computern gearbeitet (unter anderem beim Erstellen von Portfolioseiten). Aber die klassische pädagogische Arbeit hat nicht über Projektmanagementtools stattgefunden. Corona hat uns dazu gezwungen, als Team neue Wege zu finden und aus Krisen etwas Positives zu schöpfen.
Zusammengefasst: Wir haben gelernt, mit kreativen Lösungen schnell auf Veränderungen zu reagieren. Und wir versuchen auch in Zukunft, nicht in festen Strukturen verhaftet zu bleiben. Uns ist bewusst, dass du in diesen Zeiten nichts vorhersehen kannst und wir sind offen für alles Neue. Die vergangenen Monate haben uns gezeigt, dass wir dafür im Team gut aufgestellt sind. Von den neuesten Corona-Verordnungen lassen wir uns jedenfalls nicht mehr so einfach schocken!
Bei Ihnen im Team scheint also trotz Corona eine gute Stimmung zu herrschen. Haben Sie als Team irgendwelche Strategien, wie Sie sich gegenseitig motivieren?
MR: Ja, mit kleinen Aufgaben, die die Stimmung heben. Zum Beispiel sollte ich ein Foto machen, auf dem ich drei Kugeln Eis esse. Wenn die Situation mit Corona uns zu sehr belastet, bringen wir uns mit solchen Kleinigkeiten wieder auf andere Gedanken. Wenn das nicht hilft und es einer Person wirklich schlecht geht, rufen wir uns gegenseitig auch mal an.
Da ist unser Zusammenhalt im Team echt groß.
Unterstützen Sie sich als Team in Ihrer täglichen Arbeit auf besondere Weise?
MR: Klar, jeder hat ja sein eigenes Fachgebiet, seinen Schwerpunkt oder eine bestimmte Neigung. Ich merke bei mir, dass ich durch mein Studium an der einen oder anderen Stelle ein ganz anderes theoretisches Fachwissen habe, als eine Fachkraft, die eine Ausbildung gemacht hat und schon seit zehn Jahren in der Praxis arbeitet. Dafür hat diese Fachkraft viel mehr Praxiserfahrung und einen für die pädagogische Arbeit ungemein wichtigen Erfahrungsschatz. Das ist mit dem Studium, das dann doch sehr theorielastig ist, nicht zu vergleichen. Dennoch können wir uns mit diesem unterschiedlichen Wissen, dem Erfahrungsschatz, gegenseitig unterstützen und untereinander neue Impulse für die Arbeit geben. Während des Lockdowns habe ich zum Beispiel versucht, ganz viel Wissen zu teilen. Ich habe mich mit entwicklungspsychologischen Grundlagen beschäftigt, Bücher dazu gelesen und wichtige Dinge für die anderen zusammengefasst. Meinen Kolleginnen hilft es, das zu lesen und zu wissen: „Aha, falls wir mal einen Elternabend zu diesem Thema haben, könnte Melanie dazu drei Sätze sagen. Oder ich mache es selbst, denn sie hat die wichtigsten Punkte verständlich für alle aufgeschrieben.“
Jede Fachkraft ist also auf einem bestimmten Gebiet die Expertin. Das schafft doch auch viel Selbstvertrauen, oder?
MR: Richtig. Und wenn eine Fachkraft aufgrund ihrer Erfahrungen oder ihrer Ausbildung tatsächlich mehr Kompetenzen in einem Bereich besitzt, kann man sich darin doch Unterstützung von ihr holen. Aber stattdessen gibt es meiner Meinung nach oft ein Problem in pädagogischen Teams: Eifersucht und ungleich verteilte Arbeitsbelastung; nicht eindeutig definierte Aufgabenbereiche, weil am Kind ist die Arbeit dieselbe. Vor allem, wenn ausgebildete Fachkräfte auf Studierte treffen. Das hängt natürlich auch immer sehr stark von der Persönlichkeit der Fachkraft ab. Meint die studierte Fachkraft von vornherein zum Beispiel alles besser zu wissen, ist das natürlich sehr schwierig. Dabei kann es ein Gewinn sein, wenn eine Fachkraft einer anderen in Wissen oder Erfahrung voraus ist. Aber klar, es ist immer die Frage, wie man diesen Vorsprung annehmen kann und wie dieser von der betreffenden Fachkraft vermittelt wird. Unser Team kann das gut, weil wir uns nicht miteinander vergleichen. Obwohl das manchmal auch nicht schlecht ist, um herauszufinden, wo man selbst noch Baustellen hat. Aber das sollte man dann eben als Gewinn begreifen und sich als Team mit verschiedenen Stärken sowie Schwächen sehen. Verschiedene Schwerpunkte sind eine wichtige Ressource für ein Team. Ich setze mich zum Beispiel total gerne mit sprachlicher Bildung oder einem kreativen Projekt auseinander. Eine andere Kollegin findet dagegen keinen Zugang zu diesen Bereichen. Sie freut sich aber riesig, wenn sie eine Bewegungsbaustelle aufbaut. Dann wäre es doch doof zu sagen, sie muss sich aus Zwang mit den anderen Themen beschäftigen und wir vergleichen uns, wer das besser kann. Klar, muss das manchmal auch sein. Aber es ist viel schöner, die Begeisterung und Kompetenzen der Einzelnen zu nutzen und zusammenzuführen. Das ist ein riesiger Pool, aus dem man schöpfen kann.
Zum Abschluss: Haben Sie einen Tipp, wie man diese schwierige Zeit, gut meistern kann?
MR: Man darf sich selbst niemals vergessen. Es ist unglaublich wichtig, dass wir uns als Fachkraft begreifen und uns klar ist, welche Verantwortung damit einhergeht – gegenüber den Eltern, den Kindern, den anderen Fachkräften und der Leitung. Aber wir sind auch Menschen und brauchen deshalb Quellen außerhalb der Arbeit, die uns Kraft schenken. Mir persönlich hilft es, spazieren zu gehen oder Fahrrad zu fahren. Aber vielleicht hilft manchmal auch schon eine Tafel Schokolade. So geht das seelische Wohlbefinden nicht verloren. Und es hilft, sich selbst einfach mal zu loben. Oder auch im Team untereinander. Zum Beispiel, wenn die Kollegin einen Bericht über ein Kind geschrieben hat und man den gegenliest, dann kann man ihr doch mal sagen: „Hey, das hast du gut gemacht.“ Man kann sich einfach nicht genug gegenseitig motivieren. Grundsätzlich sollten wir uns auch nicht von den äußeren Rahmenbedingungen zu sehr unter Druck setzen lassen. Klar ist die äußere Perspektive vielleicht mal nicht so toll, aber dann sollte man sich überlegen, welche Stärken man aus der jeweiligen Situation ziehen kann und sich einfach mal wieder mit den Kindern in den Matsch setzen.
Melanie Renner ist seit 2016 Kindheitspädagogin. Sie arbeitet in einer Krippe in Baden-Württemberg, die 20 Kinder in zwei Gruppen betreut. Nebenbei macht sie momentan ihren Master in Kindheits- und Sozialwissenschaften.
*Der Name unserer Interviewpartnerin wurde von der Redaktion geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.
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