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Wie kommt es, dass sich in Krippen und Kitas das Personal aus immer mehr Berufsgruppen und vielfältigen Ausbildungszweigen zusammensetzt? Wer mit Expertinnen und Experten spricht, stellt schnell fest: Es ist der Wunsch nach Professionalisierung und der Versuch, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Doreen Siebernik von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft sagt mit Blick auf die Daten des Ländermonitors frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung: „Aktuell fehlen fast 100.000 Fachkräfte, allein um den Betreuungsanspruch der Sorgeberechtigten zu erfüllen. Wenn wir einen kindgerechten Personalschlüssel als Maßstab setzen, gibt es sogar weit über 300.000 Fachkräfte zu wenig.“
Eine Möglichkeit, dem steigenden Fachkräftebedarf in pädagogischen Berufen zu begegnen, ist Quereinsteigenden einzustellen. Das sind Personen, die aus einem anderen beruflichen Umfeld kommen und eine Weiterbildung zur pädagogischen Fachkraft machen. In den sechzehn Bundesländern gibt es eine Vielzahl von Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogrammen. Einige davon finden Sie in der Tabelle im Anschluss an diesen Artikel. In Baden-Württemberg haben etwa verschiedene Berufsgruppen die Möglichkeit, durch eine Nachqualifizierung als pädagogische Fachkräfte anerkannt zu werden. Zu diesen Berufsgruppen gehören Physiotherapeuten, Krankengymnastinnen, Logopäden, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen, Hebammen oder Fachlehrer für musisch-technische Fächer und Personen, die die erste Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- oder Sonderschulen bestanden haben. Voraussetzung für die Anerkennung als pädagogische Fachkraft ist, dass sie eine Nachqualifizierung in Pädagogik der Kindheit und Entwicklungspsychologie im Umfang von zusammen mindestens 25 Tagen, absolviert haben. Grundlage für dieses Vorgehen ist Paragraf 7 des Kindertagesbetreuungsgesetzes, welcher das pädagogische Personal definiert.
Das Spektrum an Berufsgruppen, die als pädagogische Fachkräfte arbeiten können, ist breit: zu den klassischen Erzieherinnen, Kinderpflegern und sozialpädagogische Assistentinnen, die an Fachschulen ausgebildet wurden, und Kindheitspädagoginnen, die an Hochschulen studiert haben, kommen vermehrt Quereinsteigende aus anderen Berufsgruppen, die sich weiterqualifiziert haben.
In Krippen und Kitas arbeiten demnach Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen zusammen. Doch wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in diesen multiprofessionellen Teams? Wenn vielfältige Persönlichkeiten aufeinandertreffen, dann ist das immer auch herausfordernd. Zusammenzuarbeiten bedeutet, sich einzulassen auf das, was andere an Wissen und Können mitbringen – und wo sie noch Lücken aufweisen. In einem Team zu arbeiten heißt, sich fachlich auszutauschen und das Wissen bestmöglich anzuwenden. Es bedeutet auch, Abläufe und Handlungsmuster aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, zu hinterfragen und möglicherweise auch zu verändern und anzupassen.
Zu den Inhalten der Nachqualifizierung in Baden-Württemberg gehören entwicklungspsychologische Grundlagen, Bindungstheorien und Eingewöhnungskonzepte, Mikrotransitionen und Tagesgestaltung für Krippe und Kindergarten, Beobachtung und Dokumentation, Zusammenarbeit mit Eltern und Teams, rechtliche Grundlagen und Hygiene. Im Idealfall können Quereinsteigende ihr Fachwissen einbringen und sich intensiv mit einer pädagogischen Fachkraft austauschen, die als Praxisanleitung arbeitet. Auf diese Weise können Theorie und Praxis verzahnt werden, wie das auch bei Auszubildenden gemacht wird. In der Realität sind die Quereinsteigenden aber häufig ohne Begleitung. Hinzu kommt, dass einschlägig ausgebildete Kolleginnen und Kollegen ihnen ihr pädagogisches Fachwissen absprechen oder es als unzulänglich deklarieren. Doch genau hier sind langjährige pädagogische Fachkräfte gefordert, offen und interessiert auf die Quereinsteigenden zuzugehen, ihr Fachwissen ernst zu nehmen und in den Austausch zu gehen. Das Team und die Kinder gewinnen, wenn ein pädagogischer Diskurs stattfindet und das pädagogische Handeln reflektiert wird. Ein Beispiel, wie das gelingen kann:
Tina hat auf Lehramt studiert und nebenbei in der Kita Sonnenschein ausgeholfen.
Als sie mit dem Studium fertig ist, weiß sie, dass sie nicht in den Schuldienst möchte. Kita-Leiterin Anja bietet ihr an, die Nachqualifizierung zu machen und dann festangestellt in der Kita zu arbeiten. In der Teambesprechung sind nicht alle begeistert. Helga arbeitet seit 15 Jahren als Erzieherin und zweifelt, ob die Nachqualifizierung ausreicht, damit Tina als Erzieherin arbeiten kann. Anja schlägt vor, dass Tina mit interessierten Kindern regelmäßig Schreibübungen macht und Helga sie dabei begleitet. Außerdem soll Helga Tina dabei unterstützen, einen Morgenkreis zu leiten und ihr zeigen, worauf es dabei ankommt und welche Lieder und Spiele die Kinder mögen. So können beide Fachkräfte voneinander lernen und die Stärken der anderen besser verstehen.
Krippen und Kitas dürfen auf die Vorzüge der Quereinsteigenden schauen, die oftmals auch darin liegen, dass sie sich nach vielen Jahren in einem anderen Beruf bewusst für den pädagogischen Bereich entschieden haben. Viele haben eigene Kinder und können sich deshalb in die Rolle der Eltern gut einfühlen. Und nicht zuletzt kommen besondere Stärken aus den Erstberufen der Quereinsteigenden. Logopädinnen bringen Fachwissen und Erfahrungen aus dem Bereich der Sprachförderung mit. Physiotherapeutinnen und Ergotherapeuten wissen um die körperliche Entwicklung und den Bewegungsapparat. Sie können ihr Fachwissen in Bewegungsspielen anwenden oder Kinder unterstützen, sich selbstständig an- und auszuziehen. Werden diese Erfahrungen in das Team hineingetragen und aufgenommen, sind sie eine Bereicherung für alle. Kindern und Eltern kann bei Bedarf an Ort und Stelle Unterstützung angeboten werden. Eine Psychomotorikerin kann mit gezielten Bewegungsangeboten die Motorik der Kinder fördern, eine Logopädin die Sprachfertigkeiten der Kinder besonders im Blick haben, ein Lehrer sein didaktisches Wissen in den Kita-Alltag einfließen lassen.
Es ist also ein Gewinn für alle, wenn die Quereinsteigenden ihr Fachwissen aus ihren bisherigen Berufen einbringen und mit dem vorhandenen Wissen der pädagogischen Fachkräfte verweben dürfen. Mit Blick auf die Wissensvielfalt kann so ein großer Fundus an Fachwissen auf der einen Seite und eine praktische Anwendung auf der anderen Seite geschaffen werden. Ziel darf es daher sein, sich als multiprofessionelles Team zu verstehen und gemeinsam einen Strauß an Fachwissen zu sammeln und im praktischen Bereich ressourcenorientiert anzuwenden.
Autorin: Petra Engelsmann ist Social Management B.A., Erzieherin, personzentrierte Beraterin, Dozentin, ehemalige Kita-Leitung.
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