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Der Anblick einer Frau in Polizeiuniform ist heute genauso Normalität wie die männliche Fachkraft in der Kita. Dennoch halten sich hartnäckige Rollenklischees in unserem Sprachgebrauch als Ausdruck anachronistischer Geschlechterzuschreibungen. Gerade Sprache prägt und verfestigt Denkmuster, Worte sind wie Zement für unsere unterbewusste Voreingenommenheit und unterschwellige Intoleranz. Hier trennt der menschliche Verstand weder zwischen den Geschlechtern noch unterscheidet er nach der Herkunft. Denn jeder von uns ist die Schnittmenge seiner Sozialisation und kulturellen Prägung. Werden wir uns der eigenen Schubladen in unserem Denken bewusst, können wir auf eine vorurteilsbewusste, inkludierende Entwicklung der Kinder reflektiert hinwirken.
Deshalb ist gendersensible Pädagogik eine Querschnittsaufgabe, die sich in allen Bildungsbereichen niederschlägt. Die Kinder ebenso wie wir Erwachsenen machen keine Pause im Sein. Fortwährend geht es um die Entwicklung unserer Identität. Eine Identität, die vorwiegend an unser biologisches Geschlecht gebunden und mit binären Erwartungen unseres sozialen Wirkungskreises versehen ist. Im Alter von etwa drei Jahren kann ein Kind sein Geschlecht bestimmen und weiß, ob es ein Mädchen oder Junge ist. In Abgrenzung zur rein physiologischen Komponente des Geschlechts bezeichnet „Gender“ das soziale, gefühlte Geschlecht eines Menschen.
Über physiologische, psychologische sowie soziokulturelle Vorgänge entwickeln Kinder ein Konzept ihres Geschlechtes. Diese Triade bedingt sich gegenseitig und verläuft wenig linear, sondern sehr individuell. Diese spannende Reise der Selbstfindung erfordert eine sensible Begleitung und Unterstützung der Kinder durch ihr Umfeld. Allerdings ohne negative Bewertung von Geschlechterrollen und ohne das Einfordern geschlechtskonformer Verhaltensweisen – wie beispielsweise nicht weinen dürfen, weil man ein Junge ist.
Kinder brauchen die Erfahrung, dass beide Geschlechter gleichwertig, gleichberechtig und relevant sind. Das beginnt bereits mit dem Sprachgebrauch. Handlungen im Alltag sind so zu beschreiben und Dialoge mit den Kindern so zu führen, dass das fremde oder eigene Geschlecht weder überhöht noch erniedrigt wird. Wenn Kinder Fachkräfte beider Geschlechter in geschlechtsuntypischen Handlungen erleben, fördert dies die Entwicklung. Wobei es vom Grundsatz keine atypischen Handlungen nach dem Schema weiblich oder männlich geben sollte.
Sie als Leitung sollten mit Ihren Fachkräften überholte Rollenklischees – nach denen etwa Frauen Wäsche waschen und anschließend bügeln – bewusst aufgreifen, diese Zuschreibungen nach ihrem Wahrheitsgehalt kritisch hinterfragen und widerlegen. Setzen Sie den entsprechenden Narrativen eine geschlechterparadoxe Handlung entgegen. Der Mann zum Beispiel übernimmt die Aufgabe des Wäschewaschens. Die Kinder erleben so, dass beide Geschlechter Alltagsaufgaben erledigen. Das hilft, die Tätigkeiten vom Erscheinungsbild und dem davon abgeleiteten Geschlecht der ausführenden Person zu entkoppeln. Die Theorien des kanadischen Psychologen Albert Banduras belegen, wie wichtig das „Lernen am Modell“ ist. Kinder werden nur solches Verhalten beobachten, nachahmen und internalisieren, welches sie authentisch vorgelebt bekommen.
Im Umgang mit Mädchen und Jungen sollten Fachkräfte generell Attribuierungen wie „Mädchen sind zickig“ oder „Jungen raufen nur“ vermeiden. Dazu gehört auch, Bilderbücher und Kinderliteratur auszuwählen, in denen die Protagonisten nicht stereotyp dargestellt werden – also nicht nach eindeutigen körperlichen Merkmalen oder Farbspektren. Unsere Gesellschaft schreibt selbst den Jüngsten schon früh eine sozial erwünschte Rolle zu und knüpft ihr Aufwachsen an subtile Erwartungen und Stereotypen.
In erster Linie sind Kinder in ihrer Individualität zu sehen und erst dann in ihrer physiologischen Ausprägung. Kinder sind mehr als ihr binäres Geschlecht. Selbst Kinder des gleichen Geschlechts gehören nicht miteinander verglichen oder aneinander gemessen. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, mit seiner individuellen Persönlichkeit wahrgenommen und geachtet zu werden.
Kinder achten sehr feinfühlig darauf, wie ihr Umfeld auf ihr Verhalten reagiert und richten ihre innere Struktur danach aus. Darum ist die Leitung gut beraten, regelmäßig einen gemeinsamen Reflexionsprozess mit den Mitarbeitenden zu initiieren. Dieser Reflexionsprozess hilft, das rational Verstandene auch emotional zu verankern, damit Kopf und Bauch in die gleiche Richtung gehen.
Die Leitung kann mit unterschiedlichen Feedback- und Reflexionsmethoden wie etwa „Vierecken-Feedback“, „Skalierungsfragen“ oder Partnerinterviews die Entwicklung einer einvernehmlichen Haltung in Gang setzen.
Es gibt keine Blaupause für gendersensible Pädagogik, sondern einzig einen Pfad, den es zu beschreiten gilt: den schmalen und steinigen Pfad der Haltungsentwicklung. Diese braucht die Partizipation des ganzen Teams, um die neue pädagogische Ausrichtung nachhaltig zu implementieren. Dafür bedarf es einer geschützten Atmosphäre, in der das Team auch Kritik oder sorgenvolle Bedenken zur Sprache bringen darf. Es liegt in der Verantwortung der Leitung, diesen sensiblen Prozess zu moderieren, verschiedene Meinungen und inhaltliches Ringen zuzulassen, das dann in einen Konsens mündet.
Leitung und Team müssen transparent, verständnisvoll und entschlossen auftreten, um Eltern einzubinden und Zündstoff zu vermeiden. Der Schlüssel für vertrauensvolle Kooperation mit den Eltern ist und bleibt eine proaktive Kommunikation auf Augenhöhe.
Die Pluralität einer ganzen Gesellschaft bildet sich oft im Mikrokosmos Kita ab. Verschiedene Lebensentwürfe und Familienmodelle, kulturelle oder religiös geprägte Haltungen treffen im Schmelztiegel Kita aufeinander. Hier gilt es, die diversen Familiensysteme nicht zu überfordern und niemanden in moralisches Unrecht zu setzen. Gendersensible Pädagogik ist ein Thema, das einer fundierten, abgewogenen und für alle Beteiligten ausgewogenen Gestaltung bedarf. Leitung und Team sollten sich dieses Themas ergebnisoffen annehmen und weniger einem apodiktischen Dogma folgen. Mit einer Portion Herz, Humor und Gelassenheit kann dabei nichts schief gehen.
Florian Esser-Greassidou ist zuständig für die Qualitätsleitung des Trägers Villa Luna. Zuvor hat er eine Kita in Aachen geleitet und als pädagogische Fachkraft gearbeitet.
Kai Esser ist Leiter eines Jugendwohnheims und Systemischer Berater (DGSF).
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