Im Umgang mit Mädchen und Jungen sollten Fachkräfte generell Attribuierungen wie „Mädchen sind zickig“ oder „Jungen raufen nur“ vermeiden. Dazu gehört auch, Bilderbücher und Kinderliteratur auszuwählen, in denen die Protagonisten nicht stereotyp dargestellt werden – also nicht nach eindeutigen körperlichen Merkmalen oder Farbspektren. Unsere Gesellschaft schreibt selbst den Jüngsten schon früh eine sozial erwünschte Rolle zu und knüpft ihr Aufwachsen an subtile Erwartungen und Stereotypen.
In erster Linie sind Kinder in ihrer Individualität zu sehen und erst dann in ihrer physiologischen Ausprägung. Kinder sind mehr als ihr binäres Geschlecht. Selbst Kinder des gleichen Geschlechts gehören nicht miteinander verglichen oder aneinander gemessen. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, mit seiner individuellen Persönlichkeit wahrgenommen und geachtet zu werden.
Kinder achten sehr feinfühlig darauf, wie ihr Umfeld auf ihr Verhalten reagiert und richten ihre innere Struktur danach aus. Darum ist die Leitung gut beraten, regelmäßig einen gemeinsamen Reflexionsprozess mit den Mitarbeitenden zu initiieren. Dieser Reflexionsprozess hilft, das rational Verstandene auch emotional zu verankern, damit Kopf und Bauch in die gleiche Richtung gehen.
Die Leitung kann mit unterschiedlichen Feedback- und Reflexionsmethoden wie etwa „Vierecken-Feedback“, „Skalierungsfragen“ oder Partnerinterviews die Entwicklung einer einvernehmlichen Haltung in Gang setzen.
Geschützte Atmosphäre
Es gibt keine Blaupause für gendersensible Pädagogik, sondern einzig einen Pfad, den es zu beschreiten gilt: den schmalen und steinigen Pfad der Haltungsentwicklung. Diese braucht die Partizipation des ganzen Teams, um die neue pädagogische Ausrichtung nachhaltig zu implementieren. Dafür bedarf es einer geschützten Atmosphäre, in der das Team auch Kritik oder sorgenvolle Bedenken zur Sprache bringen darf. Es liegt in der Verantwortung der Leitung, diesen sensiblen Prozess zu moderieren, verschiedene Meinungen und inhaltliches Ringen zuzulassen, das dann in einen Konsens mündet.
Leitung und Team müssen transparent, verständnisvoll und entschlossen auftreten, um Eltern einzubinden und Zündstoff zu vermeiden. Der Schlüssel für vertrauensvolle Kooperation mit den Eltern ist und bleibt eine proaktive Kommunikation auf Augenhöhe.
Die Pluralität einer ganzen Gesellschaft bildet sich oft im Mikrokosmos Kita ab. Verschiedene Lebensentwürfe und Familienmodelle, kulturelle oder religiös geprägte Haltungen treffen im Schmelztiegel Kita aufeinander. Hier gilt es, die diversen Familiensysteme nicht zu überfordern und niemanden in moralisches Unrecht zu setzen. Gendersensible Pädagogik ist ein Thema, das einer fundierten, abgewogenen und für alle Beteiligten ausgewogenen Gestaltung bedarf. Leitung und Team sollten sich dieses Themas ergebnisoffen annehmen und weniger einem apodiktischen Dogma folgen. Mit einer Portion Herz, Humor und Gelassenheit kann dabei nichts schief gehen.
Florian Esser-Greassidou ist zuständig für die Qualitätsleitung des Trägers Villa Luna. Zuvor hat er eine Kita in Aachen geleitet und als pädagogische Fachkraft gearbeitet.
Kai Esser ist Leiter eines Jugendwohnheims und Systemischer Berater (DGSF).
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