- Shop
- Ökotopia
- Akademie
- Klett Kita Welt
- Jobbörse
- Schnäppchenecke
Säuglinge genießen Körperkontakt mit ihren wichtigen Bezugspersonen. Streicheln, Schmusen und Liebkosungen sind die Grundlage für eine gesunde seelische Entwicklung. Dabei empfinden die Kinder Wohlgefühl, Sicherheit und ein Gefühl des Urvertrauens. Sie berühren sich selbst häufig und entdecken dabei ihren Körper, manchmal auch ihre Genitalien. Dies geschieht jedoch eher zufällig als absichtlich.
Im zweiten und dritten Lebensjahr werden sich junge Kinder immer mehr ihrer selbst bewusst. Sie erleben, dass sie sich mit ihrer Person, ihrem Körper und in ihrem Aussehen von anderen Kindern und von den Erwachsenen unterscheiden. Sie untersuchen ihre Genitalien und zeigen ihren Körper gern anderen, was als Schau- und Zeigelust bezeichnet wird. Allmählich entwickeln sie ein Gefühl für ihren persönlichen Bereich und die Privatsphäre anderer Menschen (Schamgefühl). Sie lernen soziale Regeln und Normen und dass sie bestimmte (Körper-)Grenzen einhalten müssen.
Viele Mädchen und Jungen beziehen in diesem Alter in die Erkundung des Körpers andere Kinder mit ein. Mit großem Interesse zeigen sie ihre Geschlechtsorgane und interessieren sich für die der anderen Kinder. Manchmal berühren sie ihre Genitalien und die ihrer Freundinnen und Freunde, schauen sich gegenseitig an, „untersuchen“ sich und entdecken die Unterschiedlichkeit der Geschlechter. Die meisten Kinder spielen im Alter zwischen etwa zwei und vier Jahren solche Körpererkundungsspiele, manche häufiger und offen, andere selten und eher versteckt. Etwa ab dem dritten Lebensjahr nehmen die Spiele zumeist den Charakter von Rollenspielen an, beispielsweise als „Doktorspiele“ oder „Vater-Mutter-Kind-Spiele“.
Körpererkundungsspiele unter Gleichaltrigen können die Entwicklung einer selbstbestimmten Sexualität fördern. Die Kinder lernen spielerisch ihren Körper kennen und genießen im Rahmen der „Untersuchungen“ die Aufmerksamkeit und zärtliche Berührung durch andere Kinder. Dabei erfahren sie ihre persönlichen Grenzen und lernen, diese Grenzen einzufordern und die der anderen Kinder zu achten. So kann beispielsweise ein Mädchen oder ein Junge leichtes Streicheln oder Kitzeln als lustvoll empfinden, während zu starke Berührung unangenehm ist oder sogar Angst macht.
Damit Körpererkundungsspiele bereichernde Lernerfahrungen für Mädchen und Jungen sind, dürfen sie nicht einseitig nur von einem Kind initiiert, sondern müssen wechselseitig gewollt sein. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass der Alters- beziehungsweise Entwicklungsabstand zwischen den beteiligten Kindern nicht zu groß ist, in der Regel nicht größer als ein bis zwei Jahre. Außerdem müssen klare Regeln gelten, deren Einhaltung von den Tagespflegepersonen gewährleistet wird. Manchmal halten sich Kinder bei Körpererkundungsspielen nicht an die Regeln und es kommt zu Grenzverletzungen oder sexuellen Übergriffen. Nicht in jedem Fall geschieht dies absichtsvoll. So kann es beispielsweise vorkommen, dass ein Kind im Eifer des Spiels ein anderes Kind zu sehr kitzelt oder ihm sogar weh tut. Meistens bemerken die Kinder schnell solche Grenzverletzungen, die aus Naivität oder im Überschwang entstehen, und unterbrechen ihr Tun. In manchen Fällen benötigen sie dabei die Unterstützung einer erwachsenen Person.
Wenn solche Grenzverletzungen allerdings mit Absicht, gezielt und/oder wiederholt stattfinden, muss von sexuellen Übergriffen gesprochen werden. Hierbei handelt es sich um deutliche Grenzverletzungen, bei denen ein Kind gezielt zu sexuellen Handlungen überredet oder verführt, mit Drohungen oder Gewalt dazu gezwungen oder sogar gezielt an den Genitalien verletzt wird. Da es sich um strafunmündige Kinder handelt, sollte in solchen Fällen allerdings nicht von „sexuellem Missbrauch“ und auch nicht von „Täterinnen“ und „Tätern“, sondern von sexuellen Übergriffen und von sexuell übergriffigen Kindern gesprochen werden. Der Begriff des Opfers für diejenigen Kinder, die einen sexuellen Übergriff erleiden mussten, ist demgegenüber durchaus angebracht, da er unabhängig von Schuldfragen verwendet wird.
Sexuelle Übergriffe unter Kindern erfordern ein schnelles, angemessenes und fachlich kompetentes Eingreifen der Tagespflegeperson. Wegsehen, banalisieren oder eine falsch verstandene Lockerheit im Umgang mit Grenzverletzungen verunsichern und überfordern die Kinder, vernachlässigen ihre berechtigten Schutzbedürfnisse und können dazu führen, dass sich die Übergriffe wiederholen oder sogar verschlimmern.
Emma und Nesrin (beide knapp drei) holen den einjährigen Noah zum „Mitspielen“ in ihre Höhle, die sie sich aus Schaumstoffteilen und Kissen gebaut haben. Der kleine Junge genießt sichtlich die Aufmerksamkeit der beiden älteren Mädchen. Erst spielen sie mit ihm „Krankenhaus“ und untersuchen seine Arme und Beine. Auf Vorschlag eines der beiden Mädchen ziehen sie ihm dann Hose und Windel aus und schauen sich eingehend seine Genitalien an.
In diesem Fall kommt es zu einem Zusammenspiel zwischen zwei knapp dreijährigen Mädchen und einem deutlich jüngeren Jungen, dem auf beiden Seiten sehr unterschiedliche Motive zugrunde liegen. Während Noah sich wohlfühlt, weil zwei ältere Mädchen sich um ihn kümmern und ihn in ihr Spiel einbeziehen, haben Emma und Nesrin ganz andere Absichten. Sie nutzen Noahs Zutraulichkeit aus, um ihre sexuelle Neugier zu stillen. Dies ist als leichter sexueller Übergriff zu werten, da Noah entwicklungsbedingt die Motive der Mädchen gar nicht überblicken und einschätzen kann. Sobald die Tagespflegeperson dieses Ungleichgewicht bemerkt, sollte sie die Situation ansprechen und die Mädchen auffordern, sich für ihre Körpererkundungsspiele gleichaltrige Spielpartnerinnen und -partner zu suchen.
Ihnen hat diese Beitrag zum Thema "Wenn Kinder den Körper erkunden – Was ist kindgerecht und welche Grenzen müssen gelten?" gefallen? Weitere Tipps, Wissenswertes und Ideen finden Sie in unserer Zeitschrift ZeT. Hier bestellen!