Damit Körpererkundungsspiele bereichernde Lernerfahrungen für Mädchen und Jungen sind, dürfen sie nicht einseitig nur von einem Kind initiiert, sondern müssen wechselseitig gewollt sein. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass der Alters- beziehungsweise Entwicklungsabstand zwischen den beteiligten Kindern nicht zu groß ist, in der Regel nicht größer als ein bis zwei Jahre. Außerdem müssen klare Regeln gelten, deren Einhaltung von den Tagespflegepersonen gewährleistet wird. Manchmal halten sich Kinder bei Körpererkundungsspielen nicht an die Regeln und es kommt zu Grenzverletzungen oder sexuellen Übergriffen. Nicht in jedem Fall geschieht dies absichtsvoll. So kann es beispielsweise vorkommen, dass ein Kind im Eifer des Spiels ein anderes Kind zu sehr kitzelt oder ihm sogar weh tut. Meistens bemerken die Kinder schnell solche Grenzverletzungen, die aus Naivität oder im Überschwang entstehen, und unterbrechen ihr Tun. In manchen Fällen benötigen sie dabei die Unterstützung einer erwachsenen Person.
Sexuelle Übergriffe unter Kindern
Wenn solche Grenzverletzungen allerdings mit Absicht, gezielt und/oder wiederholt stattfinden, muss von sexuellen Übergriffen gesprochen werden. Hierbei handelt es sich um deutliche Grenzverletzungen, bei denen ein Kind gezielt zu sexuellen Handlungen überredet oder verführt, mit Drohungen oder Gewalt dazu gezwungen oder sogar gezielt an den Genitalien verletzt wird. Da es sich um strafunmündige Kinder handelt, sollte in solchen Fällen allerdings nicht von „sexuellem Missbrauch“ und auch nicht von „Täterinnen“ und „Tätern“, sondern von sexuellen Übergriffen und von sexuell übergriffigen Kindern gesprochen werden. Der Begriff des Opfers für diejenigen Kinder, die einen sexuellen Übergriff erleiden mussten, ist demgegenüber durchaus angebracht, da er unabhängig von Schuldfragen verwendet wird.
Sexuelle Übergriffe unter Kindern erfordern ein schnelles, angemessenes und fachlich kompetentes Eingreifen der Tagespflegeperson. Wegsehen, banalisieren oder eine falsch verstandene Lockerheit im Umgang mit Grenzverletzungen verunsichern und überfordern die Kinder, vernachlässigen ihre berechtigten Schutzbedürfnisse und können dazu führen, dass sich die Übergriffe wiederholen oder sogar verschlimmern.
Fallbeispiel: Noah wird untersucht
Emma und Nesrin (beide knapp drei) holen den einjährigen Noah zum „Mitspielen“ in ihre Höhle, die sie sich aus Schaumstoffteilen und Kissen gebaut haben. Der kleine Junge genießt sichtlich die Aufmerksamkeit der beiden älteren Mädchen. Erst spielen sie mit ihm „Krankenhaus“ und untersuchen seine Arme und Beine. Auf Vorschlag eines der beiden Mädchen ziehen sie ihm dann Hose und Windel aus und schauen sich eingehend seine Genitalien an.
In diesem Fall kommt es zu einem Zusammenspiel zwischen zwei knapp dreijährigen Mädchen und einem deutlich jüngeren Jungen, dem auf beiden Seiten sehr unterschiedliche Motive zugrunde liegen. Während Noah sich wohlfühlt, weil zwei ältere Mädchen sich um ihn kümmern und ihn in ihr Spiel einbeziehen, haben Emma und Nesrin ganz andere Absichten. Sie nutzen Noahs Zutraulichkeit aus, um ihre sexuelle Neugier zu stillen. Dies ist als leichter sexueller Übergriff zu werten, da Noah entwicklungsbedingt die Motive der Mädchen gar nicht überblicken und einschätzen kann. Sobald die Tagespflegeperson dieses Ungleichgewicht bemerkt, sollte sie die Situation ansprechen und die Mädchen auffordern, sich für ihre Körpererkundungsspiele gleichaltrige Spielpartnerinnen und -partner zu suchen.
Regeln für Körpererkundungsspiele
- Jedes Kind entscheidet selbst, ob und mit wem es den Körper erkunden will.
- Die Kinder berühren und untersuchen sich nur so viel, wie es für sie selbst und die anderen Kinder angenehm ist.
- Kein Kind tut einem anderen weh.
- Kein Kind steckt einem anderen Kind etwas in eine Körperöffnung (Mund, Nase, Ohr, Po, Scheide, Penis) oder leckt am Körper eines anderen Kindes.
- Der Alters- beziehungsweise Reifeabstand zwischen den beteiligten Kindern sollte nicht größer als ein bis maximal zwei Jahre sein.
- Ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben bei Körpererkundungsspielen junger Kinder nichts zu suchen.
- Hilfe holen ist kein Petzen.
- Es muss gewährleistet sein, dass die Privatsphäre der Kinder gewahrt bleibt und sie nicht von anderen beschämt oder ausgenutzt werden.
- Wenn es nicht möglich ist, die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten, müssen erweiterte Beschränkungen eingeführt werden, zum Beispiel dass die Kinder sich nicht ausziehen dürfen.
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