- Shop
- Ökotopia
- Akademie
- Klett Kita Welt
- Jobbörse
- Schnäppchenecke
Ein wesentlicher Ansatzpunkt für Partizipation liegt in der Erziehung zur Selbstständigkeit. Wenn das Kind beim An- und Ausziehen, beim Toilettengang, beim Essen, beim Zugang zu Materialien, bei der Ortswahl in der Kita nicht auf fremde Hilfe angewiesen ist, erlebt es Selbstwirksamkeit. Das Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten und Fertigkeiten wächst.
Hier sind für Krippen- und Kindergartenkinder entwicklungsentsprechend unterschiedliche Aspekte relevant, für die hier Beispiele aufgezeigt werden.
Eine Tagesübersicht
Eine Übersicht über den Ablauf des Tages bietet den Kindern Orientierung und gibt Sicherheit.
Dazu werden laminierte Bildkarten mit Symbolen für Aktivitäten (z. B. Frühstück, Morgenkreis, Freispiel, Spielen im Außengelände, Mittagessen, Schlafens- bzw. Ruhezeit, Imbiss) an einem gut sichtbaren Ort, zum Beispiel am Türrahmen untereinander, angebracht. Jeweils ein oder zwei Kinder werden zu „Tageswächtern“ und achten darauf, dass die Bildkarten zu den Aktivitäten, die schon stattgefunden haben, abgenommen werden. So kann jedes Kind jederzeit sehen, was als Nächstes passieren wird.
Neben jeder Aktivitätskarte kann noch ein Bild mit der entsprechenden Uhrzeit angebracht werden, dann lernen die Kinder ganz nebenbei auch die Uhrzeiten.
Es kann sinnvoll sein, statt eines Tagesplans direkt einen Wochenplan zu erstellen, um den Kindern gleich zu Beginn der Woche anschaulich zu machen, was in den kommenden Tagen alles geschehen wird. Durch einen Wochenplan prä-gen sich die Kinder auch die Namen der Wochentage ein. Diesen Effekt kann man verstärken, indem man zusätzlich Symbole verwendet, die mit denselben Anlauten bzw. Anfangssilben beginnen, beispielsweise ein Mond für Montag, ein Dino für Dienstag.
Die Anziehstraße
Bevor die Kinder rausgehen, kommen alle im Sitzkreis zusammen. Zwei Kinder werden als „Anzieh-Experten“ bestimmt. Sie holen Bildkarten mit zur Jahreszeit passenden Kleidungsstücken und legen diese aus. Gemeinsam wird besprochen, was auf den Karten zu sehen ist, und überlegt, in welcher Reihenfolge man die Sachen am besten anzieht. Erst die Handschuhe oder doch lieber erst die Schuhe? So-bald die Reihenfolge feststeht, bringen die Anzieh-Experten die Karten draußen in der Garderobe an einem vorher fest-gelegten, gut sichtbaren Ort in der entsprechenden Reihen-folge an. Jetzt kann jedes Kind selbstständig nachschauen, in welcher Reihenfolge es die Kleidungsstücke anziehen soll und muss nicht mehr nachfragen. Für weitere Hilfe stehen die Fachkräfte natürlich zur Verfügung.
Die Anziehstraße hilft Kindern auch nach dem Mittagsschlaf. Dazu werden die Anziehsachen der Kinder in der Reihenfolge ausgelegt, in der sie angezogen werden sollen. Auch mit Puppenkleidung kann an Puppen die Anziehstraße geübt werden.
Beteiligungsspielraum beim Essen
Ein gleitendes Frühstück, zum Beispiel im Kindercafé (einem gesonderten Essensraum), in dem von 8.00 bis 9.30 Uhr gefrühstückt werden kann, hilft Kindern dabei, ihre Körpersignale wahrzunehmen und dann essen zu gehen, wenn sie Hunger haben. Der Raum wird von wechselnden Fachkräften mitbetreut, die den Kindern helfen, aber auch selbst frühstücken können.
Die Kinder in den Gruppen werden in regelmäßigen Abständen von den betreuenden Fachkräften daran erinnert, frühstücken zu gehen. Sollte es keinen Extra-Raum geben, kann ein Tisch im Gruppenraum für das gleitende Frühstück vor-gehalten werden.
Gerade im Krippenbereich und in großen altersgemischten Gruppen ist es sinnvoll, auf das Geschirr zu achten. Kleine, leichte Kannen für die Getränke ermöglichen es den Kindern, sich selbst etwas zu trinken zu nehmen. Bei durch-sichtigen Gefäßen können sie direkt erkennen, wie viel noch enthalten ist. Damit Kinder lernen, eigenständig Besteck richtig zu benutzen, sollte bei jedem Essen ein vollständiger Bestecksatz für jedes Kind bereitstehen, beispielsweise in Gefäßen in der Mitte des Tisches.
Ungewohnte Lebensmittel zu probieren, ist für viele Kinder eine Herausforderung. Gerade, wenn der Probierklecks auf den eigenen Teller kommen soll, ekeln sich einige. Probier-portionen können beispielweise attraktiver gemacht werden, indem man sie auf kleine Puppen- oder Mini-Tapas-Soßen-Teller gibt. Die Miniaturprobierportionen kontaminieren so den eigenen Teller nicht und wenn sie dann noch einen besonderen Namen erhalten, wie „Raupe-Nimmersatt-Brei“ statt Spinat oder „Grüffelogrütze“ statt Brokkoligemüse, dann ist die Neugierde in der Regel geweckt.
Die Toilettenklingel
Damit Kinder die Möglichkeit haben, allein auf die Toilette zu gehen und sich trotzdem bemerkbar zu machen, wenn sie Hilfe brauchen, können Funkklingeln eingesetzt werden. Die Klingel wird auf der Toilette angebracht oder das Kind bekommt sie mit, wenn es auf Toilette geht. Auf diese Weise muss die Fachkraft nicht von sich aus hin- und herlaufen, kein Kind wird auf der Toilette vergessen oder muss laut über den Flur rufen.
Das Stimmungs-Wende-Plüschtier
Eine einfache Möglichkeit, schon Krippenkinder an das Er-kennen und Benennen der eigenen Gefühle heranzuführen, bieten Stimmungs-Wende-Plüschtiere, die eine fröhliche und eine traurige Seite haben. Es gibt sie kostengünstig in vielen verschiedenen Größen und Formen. Schon Kinder im U3-Bereich erkennen, dass das Plüschtier fröhlich oder traurig ist, je nachdem, welche Seite nach außen gekehrt ist. So können sie mithilfe des Plüschtiers zeigen, wie es ihnen gerade geht oder ob ihnen etwas gefallen oder nicht gefallen hat. Alternativ kann man auf die eine Seite eines kleinen Kissens mit Stoffmalfarbe ein lachendes Gesicht und auf die andere Seite ein weinendes Gesicht malen.
Beschwerdeverfahren
Mit „Sorgenfressern" kann ein Beschwerdeverfahren für Kinder umgesetzt werden. Dazu werden diese Stofftiere mit dem großen Reißverschlussmund zu „Beschwerdefressern" umgewandelt. Ein Kind, dem etwas nicht gefallen hat oder das sich über etwas geärgert hat, erzählt der betreuenden Fachkraft davon und diese schreibt das Erzählte auf einen Zettel. Das Kind faltet dann den Zettel zusammen und steckt ihn in den Mund des Beschwerdefressers. Alternativ kann das Kind auch ein Bild von dem Ereignis malen. Am Ende der Woche wird der Bauch des Beschwerdefressers geleert, die Zettel werden im Sitzkreis besprochen und die Situationen bei Bedarf noch einmal geklärt. Auf diese Art und Weise bleiben die Fachkräfte auf dem Laufenden und können ggf. schon direkt intervenieren.
Eine andere Möglichkeit, sich „Luft zu machen“, bietet der „Meckerthron“, ein Stuhl, der von den Kindern besonders gestaltet wird. Einmal in der Woche oder bei Bedarf wird der Meckerthron in die Mitte des Sitzkreises platziert und jedes Kind darf dar-auf Platz nehmen und erzählen, worüber es sich beschweren möchte.
Selbstständigkeit in der Freispielzeit
Eine Magnettafel bietet Kindern eine Übersicht über Spiel-bereiche und -möglichkeiten in der Freispielzeit und erlaubt es ihnen, sich selbstständig zuzuordnen. Dafür hat jedes Kind einen Magneten mit einem Foto von sich selbst. Auf der Tafel sind alle Räume, Bereiche und Aktivitäten mit Bildkarten visualisiert. Neben den Bildkarten geben farbige Kreise an, wie viele Kinder sich dort aufhalten oder an einer Aktion teilnehmen dürfen. Beispielsweise dürfen im Neben-raum fünf Kinder spielen, dementsprechend sind fünf farbige Kreis neben dem Bild angebracht. Die Kinder setzen nun ihren Fotomagneten neben die Bildkarte, die sie am meisten anspricht, und erkennen automatisch, dass kein Platz mehr frei ist, wenn alle Kreise besetzt sind. Wenn die Kinder keine Lust mehr an der Aktion haben oder den Spielbereich wechseln wollen, ändern sie den Fotomagneten auf der Tafel entsprechend um. So wissen auch die betreuenden Fachkräfte immer, wo sich die Kinder gerade aufhalten und womit sie beschäftigt sind. Besondere Regeln für die Raum- oder Materialnutzung werden vorab mit allen besprochen, etwa in den Bewegungsraum dürfen nur die fünf- und sechsjährigen Kinder.
Für Materialien, die frei zugänglich sein sollen und von den Kindern eigenständig genutzt werden dürfen, bieten sich transparente Aufbewahrungsboxen an. Ansonsten kann man Schubladen und Schränke mit Fotos von den Dingen versehen, die darin enthalten sind. Das hilft Kindern, sich selbstständig zu orientieren und zu bedienen, ohne Fragen zu müssen.
Kinder, die gerne allein spielen möchten oder einfach nur Raum für sich benötigen, können „Alleinspielmatten“ nutzen. Dazu kann man große Teppichfliesen oder Matten aus dem Bewegungsraum verwenden. Nimmt sich ein Kind eine Alleinspielmatte, signalisiert es den anderen: „Ich möchte alleine spielen, bitte respektiert das.“
Morgen- oder Stuhlkreisgestaltung mit Kreiskönig:in und Co.
Kinder können durch verschiedene Hilfsmittel an der Durch-führung von Morgen- oder Stuhlkreisen beteiligt werden: Der oder die „Kreiskönig:in“ eröffnet und beendet mit einem Ritual, beispielsweise mit einem Gong, den Kreis. Eine Flasche, die gedreht wird, zeigt an, welches Kind an der Reihe ist, etwa um die Kinder zu zählen und die Fotomagneten der anwesenden Kinder an der Magnettafel anzubringen. Ein Taschenwürfel, der mit verschiedenen Bildkarten bestückt ist, die eine Aktion vorgeben, zum Beispiel ein Lied oder ein Bewegungsspiel, wird von einem Kind geworfen und die Aktion wird dann von allen gemeinsam durchgeführt. Immer ein anderes Kind wird „(Morgen-)Kreiskönig:in“ und darf bestimmen, was gemacht wird. Es gibt für alle Punkte, die im Kreis besprochen oder durchgeführt werden sollen, vorbereitete Kästchen mit Kärtchen für das Wetter, Dienste, Aktionen, und für jedes Kästchen ist ein anderes Kind zuständig. Je mehr die Kinder an der Gestaltung beteiligt sind und sich für Aufgaben zuständig fühlen, desto motivierter nehmen sie teil.
Aufgaben übernehmen
Die Fachkräfte überlegen gemeinsam mit den Kindern, welche Aufgaben es in der Kita zu erledigen gibt: Tische decken, Matten für die Ruhezeit auslegen, Blumen gießen, fegen. Dann werden zu diesen Aufgaben Bilder gemalt oder Fotos im Internet rausgesucht und ausgedruckt. Diese werden auf dem Tages- oder Wochenplan angebracht und es werden Freiwillige gesucht, die diese Aufgaben übernehmen möchten. Die Kinder lernen dadurch, sich für vieles mehr verantwortlich zu fühlen.
Kinder erleben täglich, wer die Entscheidungsmacht hat, und das sind in der Regel die Erwachsenen. Das „Chef/Chefin-Spiel“ bietet den Kindern die Gelegenheit, sich selbst in dieser Rolle zu erproben. Die Fachkräfte legen fest, wie lange das Chef:in-Spiel dauern soll, ob einen Vormittag oder einen ganzen Tag. Der/die Chef:in hat in dieser Zeit Privilegien: Er/sie darf wählen, was und wo er/sie spielen möchte, mit wem er/sie beim Essen zusammensitzen möchte und was im Stuhlkreis gemacht wird. Aber er/sie hat auch Pflichten und muss das Aufräumen, Tischdecken, Matten auslegen für die Ruhezeit etc. überwachen. Auch die Privilegien und Pflichten werden vorher festgelegt. Ein Kind hat, nachdem es einen Vormittag lang Chef war, ganz erschöpft gesagt:
„So anstrengend hatte ich mir das nicht vorgestellt.“Für Kinder, die eine bestimmte Tätigkeit üben sollen, wie z. B. Schleifebinden, kann die Aufgabe durch ein Bild visualisiert werden. Alle, die das üben wollen, heften eine Klammer mit dem eigenen Namen an das Bild. Kinder, die das Schleife binden geübt haben, nehmen die Klammer ab und legen sie in einen bereitstehenden Korb. So lernen die Kin-der, sich selbst zu kontrollieren und erinnern sich gegenseitig daran zu üben.
Die aufgeführten, praxiserprobten Ideen habe ich bei meiner Arbeit in der Kita selbst umgesetzt oder durch Teambegleitungen kennengelernt. Ich denke, die Beispiele zeigen deutlich, dass es sehr viele Gestaltungsspielräume für pädagogische Fachkräfte gibt, Kindern Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen. Wenn wir Kindern Dinge zumuten und ihnen zutrauen, diese (mit unserer Unterstützung) zu bewältigen, wächst ihr Vertrauen in sich selbst, in die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten und wir werden dabei immer wieder aufs Neue überrascht werden von ihren kreativen Handlungsansätzen und fantasievollen Ideen. Für mich ist gelebte Partizipation in Kita für alle Beteiligten ein bereichernder Lernprozess.
Bettina Huhn, Diplom-Kulturpädagogin, Theaterpädagogin BuT, Lese- und Literaturpädagogin BVL, Multiplikatorin des Landes NRW für alltagsinteg-rierte Sprachbildung und Beobachtung im Elementarbereich und Fach-kraft für den Elementarbereich. Seit über 25 Jahren in Fort- und Weiter-bildung tätig, u. a. zu Partizipation, Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung, Inklusion, Interkultureller Zusammenarbeit mit Eltern, Early Literacy. Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen in den Bereichen Theater- und Literaturpädagogik sowie Sozialwissenschaften. Seit 2020 Seminarleitung der Modulreihe „Fachkräfte Partizipationsprozesse“ und Referentin im Modellprojekt „Die Kita als Lernort für Demokratie“ von Haus Neuland e. V. im Rahmen des Förderprogrammes „Demokratie leben!“ des BFSFJ.
Ihnen hat dieser Artikel "Partizipation: Der Beschwerdefresser" gefallen? Weitere Tipps, Wissenswertes und Ideen finden Sie in unserer Zeitschrift klein&groß. Hier bestellen!