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Pflegesituationen, wie beispielsweise Windelwechseln, Anund Ausziehen, Toilettengang, bergen die Gefahr inakzeptablen Verhaltens gegenüber Kindern durch pädagogische Fachkräfte. Jörg Maywald, Experte für Kinderschutz und Kinderrechte, beschreibt, dass Gewalt und Fehlverhalten von Erwachsenen tatsächlich in unterschiedlicher Häufi gkeit und Intensität in fast jeder Kindertagesstätte vorkommen (vgl. Maywald, 2019, S. 23 ff ., Kasten unten vgl. ebd.). Dies darf keinesfalls als unvermeidbar hingenommen werden! Pädagogische Fachkräfte sind per Gesetz zum Handeln verpfl ichtet, sobald sie Kenntnis eines solchen Verhaltens erlangen.
Praxisbeispiel
Marvin (6 Jahre) und Selma (5 Jahre) haben intensiv gespielt. Sie haben mit Papprohren, Kartons, Astscheiben, Bauklötzen und weiteren Materialien eine Baustelle und ein Bauwerk gestaltet. Ausgestattet mit Bauarbeiterhelm, Handschuhen, Zollstock und Wasserwaage haben sie alles vermessen, mit ihrem selbst gezeichneten Bauplan verglichen und diesen an die Wand gehängt. Erzieher Florian kommt ins Bauzimmer. Er kündigt an, dass die Kinder sich umziehen sollen, weil es jetzt raus in den Garten geht. Marvin und Selma protestieren: „Nein, wir müssen jetzt die Tiefgarage bauen, die fehlt noch.“ Es gibt jedoch keinen Verhandlungsspielraum. Sie müssen ihre Arbeit unterbrechen und alles wegräumen. Sie gehen sich umziehen. In der Garderobe kommt Erzieherin Gabi und fordert die beiden Kinder auf, die Toilette aufzusuchen bevor sie in den Garten gehen. Beide Kinder teilen ihr mit, dass sie nicht müssten und bereits während des Spielens auf dem Klo waren. Gabi besteht darauf und sagt: „Bevor ihr nicht auf der Toilette wart, könnt ihr nicht raus in den Garten.“ Zerknirscht, mit hängenden Schultern und nach unten gezogenen Mundwinkeln, dabei leise etwas sagend, was sich nach Schimpfen anhört, gehen beide aufs Klo. Gabi kommt nach einer Weile ins Bad, öffnet die Trennwandtür der Toilette, in der Marvin sitzt, und sagt: „Hände waschen nicht vergessen, dafür seid ihr die passenden Kandidaten, ich kenne euch doch!“ Marvin zieht eine Grimasse und als sie wieder draußen ist, tritt er mit dem Fuß gegen die Trennwand der Toilette. Als Selma zurück in die Garderobe geht, kommt Gabi mit ihrer Mütze, stülpt ihr diese einfach auf den Kopf. Ebenso zieht sie den Schal fester um ihren Hals. Selma seufzt daraufhin und lässt erneut die Schultern hängen.
Indem Gabi die Kinder zwingt, auf die Toilette zu gehen, übt sie Macht aus. Körperlicher Zwang und seelischer Druck sind eindeutig unzulässig und entbehren jeglicher Grundlage! Auch wurde das eigentliche Bedürfnis der Kinder, nämlich weiterzuspielen und in ihrem Tun nicht unterbrochen zu werden, autonom handeln und entscheiden zu dürfen, nicht wahrgenommen. Außerdem wurde ihre Beschwerde in zweierlei Hinsicht nicht ernst genommen: Die Kinder teilen mit, dass sie weiterspielen wollen und nicht auf die Toilette müssen. Auch eine Komponente seelischer Gewalt lässt sich in dem Beispiel erkennen: Der beschämend formulierte Hinweis auf das Händewaschen. Das ungefragte Anziehen (Mütze und Schal) von Gabi zählt ebenfalls zu grenzüberschreitendem Fehlverhalten, da sie die Intimsphäre des Kindes nicht wahrt und keine Frage vorangestellt war, ob Selma überhaupt Mütze und Schal möchte oder Hilfe benötigt. Für die Kinder fühlt es sich in diesem Moment so an, als hätten sie kein Recht darauf, dass …
… ihre Grenze und Intimsphäre beachtet wird (unangekündigt in die Toilette kommen),
… ihre Bedürfnisse erkannt werden (weiterspielen dürfen),
… sie beteiligt werden (Anziehen),
… sie sich beschweren dürfen,
… ihr seelisches Wohlbefinden gewahrt wird.
Astrid Boll und Regina Remsperger-Kehm haben 2020 eine Studie durchgeführt, in der verschiedene Akteur:innen, die im frühpädagogischen Bereich tätig sind, nach verletzendem Verhalten durch pädagogische Fachkräfte befragt wurden. Ein Ergebnis, was zum Nachdenken anregt: 26,7 % aller Interaktionen zwischen Fachkraft und Kind sind gekennzeichnet durch verletzendes Verhalten! (vgl. Boll et al., 2021, S. 6)
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