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Wir betrachten in unserem Beitrag Kinder als forschende Individuen in Austauschprozessen mit Erwachsenen, anderen Kindern und der dinglichen Umwelt. Gefühle, Stimmungen, Mitgefühl sind in diese Interaktionsvorgänge eingebettet. Die Hirnforschung bestätigt den Zusammenhang von kognitiver, körperlicher und sozialer Entwicklung und den dynamischen Prozess der Hirnentwicklung in Abhängigkeit von gelebten Erfahrungen. Das heißt: Emotionen sind immer beteiligt und geben den Erlebnissen Sinn. Die Gefühlswelt von Babys und Kleinkindern offenbart sich in Mimik, Gestik, Stimme, Körperhaltungen, Bewegung und Handlung. Denn das sind ihre wesentlichen Ausdrucksformen, selbst wenn sie schon mit Worten sprechen können. Schauen wir uns anhand einiger Beispiele genauer an, wie Kleinkinder das untereinander machen!
Zunächst heben wir die Gefühlsansteckung in freudvollen Erlebnissen, die Kinder gemeinsam herstellen, hervor. Das ist uns wichtig, weil dieser Gesichtspunkt selten in der Fachliteratur vorkommt, obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, wie gemeinsames Lachen, Humor, Musik und Tanz nicht nur die Stimmung heben, sondern die gesamte Entwicklung beflügeln. Zwei Beispiele:
Als die Erzieherin Tabitha mit einem Baby im Arm anfängt zu singen, beginnen einige Kinder sofort zu tanzen. Bella (14 Monate alt), die neben Tabitha auf dem Boden sitzt, wiegt sich vor und zurück und äußert: „Rosie“. Tabitha fragt: Wollt ihr Ringelrose tanzen? Sie singt das Ringel-Rose-Lied und hilft Bella aufzustehen. Sofort kommt Kieran (20 Monate) auf Bella zu und nimmt ihre Hände. Diese reagiert etwas zögerlich, aber dann wiegt auch sie sich im Rhythmus des Liedes hin und her, lächelt Kieran an, und mit Lachen lassen sie sich am Ende des Liedes auf ihren Popo plumpsen. Das Singen wird fortgesetzt. Als Millie den Raum durchquert, ermutigt die Erzieherin auch sie mitzumachen. Sofort läuft Bella zu ihr, fasst ihre Hand und führt sie zum Tanzen. Es gipfelt in einem „Hip-hip-hurra“, was durch Bella angestiftet wird, die ihre Arme in die Luft wirft. (Vgl. Degotardi 2014, S. 192.) In dieser Gruppensituation beobachtet Bella das Tanzen der anderen Kinder und bekundet ihr Interesse mitzumachen. Die Erzieherin und Kieran unterstützen sie dabei. Mit ihrem Lächeln signalisiert Bella Freude und Wohlbefinden, dabei zu sein und mitzutanzen, was dann in fröhlichem Lachen und Hinplumpsen gipfelt. Als Millie auftaucht, lädt Bella sie ein, auch mitzumachen. Der gemeinsame Spaß wird noch einmal durch lautes Rufen und Arme-Hochschwenken intensiviert. Diese Art Bewegungslust, die mit Gefühlsansteckung gepaart ist, ist typisch für Aktionen, die Kleinkinder untereinander entwickeln und wobei sie Körperbalance und sensomotorische Fähigkeiten erkunden und genießen. Das Empfinden von gemeinsamer Freude und Verbundenheit ist eingeschlossen.
Joschi, 18 Monate, sitzt mit den anderen Kindern am Tisch. Er nimmt seinen Plastikteller, setzt ihn sich umgekehrt auf den Kopf, schaut zur Erzieherin und zu den anderen Kindern, lacht und sagt: „Hut“. Die Erzieherin und die Kinder lachen, was Joschi animiert, den Teller ein paar Mal hinunterrutschen zu lassen und ihn wieder auf den Kopf zu legen. (Beobachtung von Wiebke Wüstenberg) Joschi macht mit seiner absurden Handlung auf sich aufmerksam. Er stellt das gemeinsame Wissen über die Benutzung eines Tellers im wahrsten Sinne auf den Kopf. Sein plötzliches Quatschmachen verändert die Stimmung. Er erhält Zuspruch durch das Lachen der anderen und wird ermutigt, sein Spiel fortzusetzen. Die Tischgemeinschaft ist ein idealer Kontext für lustige Szenen, wie Löffelkonzerte, Fußtrommeln, Dinge verdrehen, Wortspiele anzetteln. Wenn ein Kind anfängt, stimmen die Zuschauer häufig mit Vorliebe ein, was den Spaß um ein Vielfaches erhöht. Humor als starke Ausdrucksform unter Kleinkindern zeugt von einem nicht voneinander zu trennenden „fühlend- denkend-erfahrenden“ Zusammenspiel (vgl. Wüstenberg/ Schneider 2021, S. 24).
Gefühle sind tragendes Element in den Interaktionen unter Kindern. Vor allem die emotionale Seite ist es, die den Funken überspringen lässt und zu einer besonderen Intensität in den Interaktionen unter Kindern führt. Das zeigt sich besonders, wenn Kinder sich miteinander befreunden. Und das ist bereits im ersten Lebensjahr möglich, wenn sie regelmäßig zusammenkommen. Forschung zu Freundschaften unter Kindern im Kleinkindalter zeigt, dass befreundete Paare oder Gruppen eine Vorliebe füreinander haben, die sich in Zärtlichkeit, sozial-emotionaler Verbundenheit, Nähe suchen, Intimität austauschen, Mitfühlen, Loyalität empfinden, Freude teilen und einander vermissen ausdrückt. Diese Gefühlsbetontheit zeigt sich auch in folgendem Beispiel: Bist du schon da? Jeden Morgen, wenn Marta, 24 Monate, mit ihrer Mutter oder ihrem Vater in den Gruppenraum kommt, schaut sie erst einmal, ob ihre Freundin Tina schon da ist. Ist sie nicht da, sieht Marta traurig aus und fragt: „Tina?“. Sie begrüßt Tina enthusiastisch, wenn das Mädchen kommt, und beide verabschieden mit Leichtigkeit ihre Eltern. Tina und Marta sind ein wichtiger Teil im Leben der jeweils anderen. Ihre Zuneigung füreinander ist gewachsen, seit sie zusammen in der Kindertageseinrichtung sind (vgl. Wittmer 2008, S. 14/15). Ähnliches berichtet Greve auch von Nils, 26 Monate. Er hatte den starken Wunsch, mit Ivar, 30 Monate, zu spielen, und schien ihn oft zu vermissen. Seine Stimmung heiterte sich auf, wenn er Ivar in den Raum kommen sah. Er streckte seine Arme nach Ivar aus, rief ihn beim Namen und freute sich, wenn beide einander begegneten (vgl. Greve 2009, S. 81). Marta, Tina und Nils bringen ihre emotional getragenen Wünsche mit Mimik, Gestik, Stimme und Körpereinsatz zum Ausdruck. Sie zeigen uns, dass andere emotional zu verstehen vor allem heißt, „mit ihnen in non-verbaler, zwischenleiblicher Kommunikation zu stehen“ (Fuchs 2015, Folie 38).
Auch andere Gefühle haben eine grundlegende Bedeutung für Kinder als Ausdrucksform, zum Beispiel: Wut, Ärger, Frustration, Erschrecken, Angst, Furcht, Bedrohtsein, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Verzweiflung. Sie zeigen an, was ein Kind gerade erlebt. Was erleben Stefan und Liu im Streit um das Bobbycar?
Stefan, 20 Monate, sitzt auf dem Bobbycar und wippt hin und her. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Er scheint sich auszuruhen. Liu, ebenfalls 20 Monate, kommt mit einem Schlüsselbund in der Hand angelaufen, nimmt einen der Schlüssel in die Hand und versucht, am Steuer des Autos zu „schließen“. Stefan dreht sich mit dem Auto etwas zur Seite, um Liu auszuweichen. Dann dreht er sich zurück, streckt blitzschnell die Hand nach dem Schlüsselbund aus und versucht, ihn zu schnappen. Aber Liu hält ihn fest. Konstant und mit großer Energie reißen beide Kinder am Schlüsselbund. Dann versuchen sie, sich gegenseitig in den Mund zu beißen. Die Bezugsperson kommt hinzu, schiebt beide auseinander, nimmt den Schlüsselbund und händigt ihn Liu aus. Stefan nimmt die Hände in den Mund und weint. Da nimmt die Bezugsperson ihn auf den Arm. Liu lässt den Schlüsselbund fallen und rennt weg (vgl. Wüstenberg 1992, S. 274). In dieser Szene treffen zwei Kinder aus individuell sehr verschiedenen Situationen kommend aufeinander. Sie suchen keinen Kontakt, sondern wirken mit sich selbst oder der eigenen Intention beschäftigt. Stefan scheint sich gestört zu fühlen, als Liu auftaucht. Er dreht sich samt Auto etwas zur Seite. Liu verfolgt seine Idee, mit dem Schlüssel am Autolenkrad zu schließen. Vielleicht hat er Ähnliches bei seinen Eltern beobachtet. Doch Stefan will nicht, dass Liu sich an seinem Auto zu schaffen macht. Es ist schwierig für ihn, sein Bedürfnis in dieser Situation ohne Wortsprache klarzumachen und ein verständliches Signal dafür zu geben. Offen bleibt, ob sein Versuch, den Schlüsselbund wegzuziehen, mit der Intention verbunden ist, die Störung zu beseitigen, oder ob er selbst den Schlüsselbund haben wollte. Für Liu, der seine Spielidee umsetzen wollte, könnte Stefans Verhalten sehr plötzlich und überraschend gewesen sein. Beide Kinder geraten in eine schwierige Situation. Sie „kämpfen“ um den Schlüsselbund, ziehen ihn in verschiedene Richtungen, sind aber gleich stark. Da die Hände den Schlüsselbund halten, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als etwas Neues zu versuchen. Die Situation verlangt eine schnell wirkende Maßnahme, und Beißen ist eine sehr effektvolle. Das wissen alle Kleinkinder, denn Beißen gehörte schließlich lange Zeit zu ihren Untersuchungsmethoden. Aber es kann auch Ausdruck der hohen Spannung sein, die in dieser Situation zu spüren ist. Die Kinder haben sich „festgebissen“, und die Erzieherin greift ein (vgl. Wüstenberg/Schneider 2021, S. 232). Hier ist es wichtig, auf die Situation und Emotion beider Kinder einzugehen und damit anzuerkennen, in welch schwieriger Gefühlslage sie sich gerade befinden. Kinder brauchen die Gelegenheit, sich denkend-fühlend-erfahrend aufeinander beziehen zu können, um sich emotional zu verstehen, gerade auch in konfliktbehafteten Auseinandersetzungen. Wenn die emotionalen Ausdrucksbewegungen gehemmt werden, behindert dies die Wahrnehmung von Gefühlen als entscheidendem Motor für Handlungen. Wie bei anderen Gefühlen kommt es darauf an, sie anzunehmen, um Möglichkeiten zu finden, damit umzugehen, ohne sie zu unterdrücken und ohne sich selbst oder andere zu verletzen. Besonders in Interessenkonflikten sind Kinder auf eine verständnisvolle unterstützende Begleitung angewiesen, die ihnen einerseits eigene Lösungen zutraut und ihnen anderseits eine die Emotionen berücksichtigende und schützende Hilfestellung gibt (vgl. Wüstenberg/Schneider 2021, S. 242). Emotionen, die durch Konflikte hervorgerufen werden, die Kinder nicht allein lösen können, sind für uns nicht „negativ“, sondern Kennzeichen für gefühlte Notlagen. Sie sind ein Hilfeappell. Diesen zu hören und zu beantworten, bietet Kindern nicht nur neue Erfahrungsräume, sondern immer auch ein Modell dafür, wie Gefühle dazu beitragen können, einander (besser) zu verstehen.
Degotardi, S. (2014): Expressing, Interpreting and Exchanging Perspectives during Infant- Toddler Social Interactions: The Significance of Acting with Others in Mind. In: Harrison & Sumsion (Eds): Lived Spaces of Infant-Toddler Education and Care. Exploring Diverse Perspectives on Theory, Research and Practice. Dordrecht, Heidelberg, New York, London, S. 187 – 199.
Fuchs, T. (2015/16): Leiblichkeit und Intersubjektivität. Phänomenologie und Psychopathologie. Vortrag. Wintersemester 2015/16.
Greve, A. (2009): Friendships and Participation among Young Children in a Norwegian Kindergarten. In: Berthelsen/Brownlee/Johansson (Eds.): Participatory learning in the early years: research and pedagogy. New York, UK, S. 78 – 92.
Wittmer, D. S. (2008): Focusing on Peers. The importance of relationships in the early years. Washington DC.
Wüstenberg, W.; Schneider, K. (2021): ICH – DU – WIR. Wie Kinder in den ersten drei Lebensjahren ihre Beziehungen miteinander gestalten. Erkenntnisse aus Forschung und Praxis. Berlin: Wamiki.
Wüstenberg, W. (1992): Soziale Kompetenz 1- bis 2-jähriger Kinder. Krabbelstube als Teil des sozialen Netzes und ihr Beitrag für die soziale Entwicklung des Kindes. Dissertation. Frankfurt a. M.
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