29.07.2021
Corinna Simpson, Melanie Gräßer, Eike Hovermann

Konflikte, Gefühle und Kooperation — Spiegelneuronen und psychische Mimikry

Spiegelneuronen sind Nervenzellen im Gehirn, die in uns die gleichen Gefühle und Stimmungen auslösen wie die der Menschen, die wir beobachten. Maria Montessori bezeichnet diesen Vorgang, bei dem das Kind – unbewusst und automatisch – das Verhalten oder die Eigenarten der Menschen in seiner Umgebung in sich aufnimmt, als psychische Mimikry. Bereits, wenn ein Kind eine Handlung nur beobachtet, werden von den Nervenzellen Signale ausgesandt, genauso als ob das Kind das Gesehene selbst erlebt. Wenn wir sehen, wie sich jemand den Kopf stößt, empfinden wir den Schmerz aufgrund unserer gemachten Erfahrungen nach. Spiegelneuronen sind das Fundament für Mitgefühl, das Erlernen von Sprache und Denken. Damit stellen sie die Grundlage für die Imitation motorischer Handlungen dar und sind somit ein wichtiger Bestandteil des Sozialverhaltens.

Gefühle sind ansteckend

Sie haben sicher schon oft erlebt, dass an manchen Tagen „der Wurm“ in der Gruppe ist. Alle Kinder sind weinerlich und man kommt aus dem Trösten nicht heraus. Aufgrund der Anstrengung für alle, kommt es dann auch noch dazu, dass die Kinder stürzen, viel herunterfällt und kaputtgeht und im Verlauf des Tages die eigene Stimmung sinkt. Sehr wahrscheinlich ist irgendeine Anspannung der Auslöser hierfür. Die gute Nachricht ist: Sie können daran etwas durch Ihr Verhalten ändern! 

Praxisbeispiel: Weinen steckt an_– Ruhe aber auch

Linus liegt auf dem Rücken und hantiert mit einer Holzrassel und einer Schale. Er versucht, die Rassel in die Schale zu legen, dabei fällt ihm die Rassel ins Gesicht. Er erschrickt und sicher tut es auch ein wenig weh. Er beginnt zu weinen. Emil, der in unmittelbarer Nähe sitzt und nicht so sehr in sein Spiel vertieft ist, weil er von den Geräuschen der Schüssel und der Rassel angezogen war, hat dies beobachtet und beginnt auch zu weinen. Susanne ist die Bezugserzieherin von Linus und geht mit ruhigen Schritten zu Linus, lässt sich auf den Boden neben ihm nieder, beugt sich herunter und spricht mit ruhiger Stimme zu ihm: „Linus, ich habe das gesehen! Dir ist die Rassel ins Gesicht gefallen“, dabei streichelt sie sanft die Stelle im Gesicht. Susanne bleibt entspannt. Linus schaut sie an. „Hier ist die Rassel hingefallen, auf deine Stirn.“ Linus beruhigt sich etwas, dreht sich um und krabbelt auf den Schoß von Susanne. Nun ist er ruhig und Susanne zeigt ihm noch einmal die Schüssel und die Rassel und beschreibt, was ihm passiert ist. Währenddessen kann Susanne beobachten, dass auch Emil zur Ruhe kommen und sich wieder seinem Spiel widmet. Susannes Ruhe war ansteckend und hat Sicherheit gegeben. 

Bei Babys und Kleinkindern ist das Nachahmen besonders ausgeprägt

Babys imitieren alles, was sie sehen, und lernen ihre Umwelt durch Berühren und Anfassen ganz genau kennen. Streckt man einem Baby die Zunge heraus, so wird es ebenfalls seine Zunge herausstrecken. Das kindliche Gehirn ist in der Lage eine enorme Anzahl an Verhaltensweisen abzuspeichern. Begegnet dem Kind später einmal dieselbe Situation, wird das abgespeicherte Verhalten abgerufen und ausgeführt. So können sich Kinder der unmittelbaren Lebensumgebung mit ihren Sitten und Gebräuchen anpassen. Kinder übernehmen automatisch die grundlegenden Verhaltensweisen, Überzeugungen und Einstellungen ihrer Eltern und Bezugspersonen. Dieses Verhalten und die Meinungen werden im Unterbewusstsein fest verdrahtet und das Kind handelt sein ganzes Leben danach – sofern diese nicht umprogrammiert werden.

Spiegelneuronen nehmen aber nicht alles auf

Nachdem die Spiegelneuronen aktiv waren und die entsprechenden Emotionen wachgerufen sind, setzt anschließend in der Regel eine Aktionshemmung ein. Dies ist notwendig, damit sie nicht wahllos jedes beobachtete Verhalten imitieren und nicht durchgehend von den Gefühlen anderer übermannt werden. Aktionshemmungen treten beispielsweise auf, wenn sie zum Zeitpunkt der Beobachtung starke eigene Gefühle haben, die dann die simulierten Emotionen überlagern. Die Aktionshemmung kann aber auch durch ihren Verstand erfolgen. Bei Kleinkindern sind diese Aktionshemmungen übrigens wesentlich schwächer ausgeprägt, sodass sie dazu neigen, fast alles nachzumachen.

„Keine Erziehung kann später auslöschen, was in der Konstruktiven Epoche der Kindheit inkarniert wurde.“ (Maria Montessori)

Psychische Mimikry im Überblick

  • Beobachtetes Verhalten wird intuitiv nachgeahmt.
  • Beobachtete Emotionen werden automatisch nachempfunden (emotionale Empathie).
  • Wenn zwei Menschen eine emotionale Verbindung haben (in der Psychologie „Rapport“ genannt), werden sie unbewusst auch ihre Körpersprache harmonisieren, zum Beispiel durch das Einnehmen einer ähnlichen Sitzposition.

 

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