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Das Arbeiten in den Kitas und Grundschulen hat in diesem Jahr Spuren hinterlassen – in den Gemütern der Kinder und ihrer Bezugspersonen. So wie überall in der Gesellschaft. Das freudige Lächeln der Fachkraft zur Begrüßung ist mancherorts hinter einer Maske verschwunden. Nur an den Augen können die Kinder ahnen, was die Erzieherin vermitteln möchte. In all den Bereichen, in denen maskierte Erwachsene mit Kindern arbeiten, hat sich das Leben spürbar verändert. Wie tröste ich, wenn ich Abstand halten soll? Wie gebe ich Nähe? Und wie vermittle ich emotionale Sicherheit, wenn meine Mimik nicht gesehen wird und Umarmungen tabu sind? Die Kinder haben sich an die vorherrschenden Umstände angepasst. So wie uns Menschen das Sich-Anpassen evolutionsbedingt mit in die Wiege gegeben wurde, so passen wir uns nun an. Doch was bleibt, wenn Mimik, nicht mehr lesbar ist, und Sprache nur gedämpft unter der Maske hervorkommt? Was bleibt, wenn Unsicherheit den Alltag prägt?
Das Sozialgefüge ist aus den Fugen. Denn bisher selbstverständliche Treffen fallen weg. Besuche bei Oma und Opa wurden eingeschränkt, das Spielen bei der Kita-Freundin oder dem Schulfreund wird nicht mehr so leicht getätigt wie zuvor. Wichtige soziale Kompetenzen bleiben auf der Strecke. Wie fangen wir das auf? Wie unterstützen wir unsere Kinder darin, soziale Kompetenzen zu erwerben?
Auch dass Kinder in manchen Kitas bereits am Tor abgegeben werden müssen, ist eine nicht unwesentliche Veränderung des Ablaufes, die Kinder erst mal verarbeiten müssen. Kindern ab etwa vier Jahren können wir auch auf kognitiver Ebene begegnen und ihnen erklären, warum nicht so viele Menschen auf einmal in der Kita sein sollten. Bei ihnen können wir an den Verstand appellieren und ihnen die Umstände erklären. Schöner wird der Start in den Tag dadurch nicht unbedingt.
Was können wir also tun, wenn wir Abstand halten und Masken tragen sollen? Wie soll ein emotional gesichertes, bildungsreiches Arbeiten unter diesen Umständen möglich sein? Wie transportieren wir Lebensfreude, in einer Zeit, in der eine Krankheit allgegenwärtig unsere Aufmerksamkeit bindet? Und wie transportieren wir emotionale Sicherheit und Lebensfreude, wenn Kinder erleben, wie Einrichtungen von heute auf morgen geschlossen werden, weil jemand an Covid 19 erkrankt ist? Und wie bitter ist es für all diejenigen, die nun erneut zu Hause bleiben müssen, wenn Freunde, Klassenkameraden, Lehr- oder Fachkräfte oder aber Eltern an diesem Virus erkranken? Vierzehn Tage Quarantäne. Wieder eine emotional belastende Situation, in der die sozialen Kontakte verlorengehen. Wie sollen insbesondere Krippenkinder bei der Wiederaufnahme des Krippenbesuchs wieder dort anknüpfen, wo sie vor der Schließung waren? Krippenkinder sind stets nach Schließungen aus der Bahn geworfen. Sie brauchen erneut Zeit, um wieder sicher ankommen zu können.
Sich entscheiden müssen, mit welchen Haushalten sich jetzt getroffen werden kann, bedeutet zwangsläufig auch, dass die Kinder nicht mehr alle ihre Freundschaften ausleben können. Welche Konstellationen bleiben? Welche Freundschaften bleiben auf der Strecke? Und wie bleibt man in diesem jungen Alter befreundet, auch wenn man sich nicht mehr sieht? Videoanrufe? Briefe? Viele dieser Kinder werden wohl Freunde verlieren und müssen Freundschaften nach längeren Trennungen wieder neu aufbauen. Kinder diese komplexe Situation nachvollziehbar zu erklären, ist schwierig. Daher brauchen sie Begleitung. Ein offenes Ohr, bewusste Gespräche und Erwachsene, die den Kindern Mut machen und Zuversicht spenden.
In Krippen wird teilweise mit Maske gearbeitet. Nicht überall in Deutschland, jedoch habe ich bereits mit einigen Fachkräften gesprochen, die in ihren Einrichtungen Maske tragen müssen. Hier stellt sich die Frage: Wie entwickeln Kinder Sprache, wenn sie die Mundmotorik nicht sehen und ihnen die Sprachvorbilder nur den Ton, nicht aber die dazugehörige Mimik offenbaren? Wie bringe ich die Laute mit einer Bewegung in Verbindung, wenn ich diese Bewegung zu selten sehe? Und somit bleibt die Frage nach der Möglichkeit, Mimik zu offenbaren und den Schutz vor Infektionen zu gewährleisten. Eine Lösung: Gehen Sie ins Freie, wo reichlich Abstand gehalten werden kann, um ohne Maske miteinander zu singen und zu sprechen. Oder machen Sie Fotos der Fachkräfte mit und ohne Maske und hängen Sie diese für alle sichtbar auf, damit die Kinder sich orientieren können.
Mit diesem Text möchte ich Sie, liebe Fachkräfte und Sie, liebe Eltern, zum Hinterfragen und Nachdenken anregen. Ich möchte Sie darin unterstützen, bewusst auf ihre Liebsten zu schauen. Bewusst hineinzuspüren in die Situationen der Kinder, die an den Türen von einem zum anderen gereicht werden. Bewusst hineinzuspüren in die Kinderseelen, die sich jetzt für einige wenige Freundschaften entscheiden müssen. Und bewusst sich einzufühlen in die Kleinstkinder, die von heute auf morgen zu Hause bleiben müssen, weil die Einrichtung geschlossen wurde. Sich einzufühlen in die Emotionen der Kinder, sich einzufühlen in das Nicht-verstehen-Können der Gesamtsituation. Unterstützen sie Ihre eigenen und die Ihnen anvertrauten Kinder darin, mit der neuen, wechselhaften und unsicheren Zeit klarzukommen.
Seien wir präsent, um Unsicherheit und Ängste abzubauen. Verzichten wir in Kitas auf das dauernde Wechseln von Früh-, Mittel- und Spätschicht, sodass Kinder jeden Morgen dasselbe Gesicht sehen, wenn sie in der Kita ankommen. Bieten wir den Kindern feste und sichere Strukturen, indem wir verlässlich da sind, wenn sie kommen oder wenn sie nach dem Mittagsschlaf aufwachen. Fördern wir bewusst Freundschaften und sprechen wir mit den Kindern über deren Befürchtungen, dass sie von der geliebten Freundin nicht vergessen werden, nur weil sie sich gerade nicht mit ihr treffen können. Geben wir Krippenkindern bewusst Zeit nach vierzehn Tagen Quarantäne, wieder in der Krippe anzukommen. Überfordern wir sie nicht unnötig mit zu langen Betreuungszeiten. Beobachten wir genau, was die Kinder brauchen, wenn sie nach vierzehn Tagen „Zwangsferien“ wieder zurückkommen.
Nun denken Sie vielleicht: Das ist doch das Gleiche wie nach den Weihnachtsferien! Es mag sich um dieselbe Zeitspanne handeln, doch schwingt in den Weihnachtsferien Vorfreude auf die Feiertage mit. Bei einer Schließung aus Quarantäne-Gründen schwingt die Angst mit. Versuchen Sie auch mit Kita-Kindern die besten Freunde via Videotelefonie zu erreichen oder treffen Sie sich vielleicht draußen an der frischen Luft mit Abstand.
Und vielleicht ist es möglich neue Rituale zu entwickeln, die den Tag verschönern, auch wenn die Eltern ihr Kind nicht in die Einrichtung hinein begleiten können. Was könnte das sein? Eine besondere Begrüßung oder eine gemeinsame Spielzeit zwischen Fachkraft und Kind? Hier lässt sich viel theoretisch überlegen, wenn Sie jedoch aufmerksam das Ihnen anvertraute Kind beobachten, so wird es Ihnen zeigen, was es braucht, um auch ohne Elternbegleitung gut in den Tag starten zu können. Wichtig ist, dass wir diese Signale der Kinder auch erkennen und danach handeln.
Sprechen Sie mit den Ihnen anvertrauten Kindern und achten Sie darauf, auch Platz für ganz andere Themen zu lassen. Zeit für Ablenkung und Zeit, den Fokus auf anderes zu lenken. Hat vielleicht jemand Geburtstag? Dekorieren Sie doch mit den Kindern für die Advents- und Weihnachtszeit.
Und in Bezug auf Nähe? Sprechen Sie offen mit Eltern und Träger, wie Sie Kinder in Kitas trösten dürfen. Mit Umarmungen, um Trost zu spenden bei Verletzungen oder beim Ankommen am Morgen? Geht das mit Maske? Ohne? Oder mit einer durchsichtigen? Machen Sie sich gemeinsam auf die Suche nach Lösungen, um auch wieder Nähe leben zu können.
Für alle Kinder ist es wichtig, dass wir ihnen einen realistischen Umgang mit Covid 19 ermöglichen. Ich plädiere dafür, dass wir Kinder lösungsorientiert begegnen, mit Blick auf das Machbare. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder vor der Krankheit geschützt, ihre Bedürfnisse aber so gut wie möglich erfüllt werden: Wenn Kinder weniger Freunde treffen können, könnte zum Beispiel die Freundschaft zu einem Kind besonders gepflegt werden: durch besondere Gesten, besonders viel Zeit und nicht zuletzt durch Worte. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass auch die Psyche auf unser Immunsystem einen Einfluss hat und wir anfälliger für Krankheiten werden können, wenn wir aus psychischen Gründen unwohl fühlen.
Um die Psyche der Kinder zu stabilisieren, brauchen Kinder besonders eins: verlässliche Beziehungen. Hiermit unterstützen wir sie auch darin, später gelungene Bindungen eingehen zu können. Mit einer verlässlichen Bezugsperson, die Sicherheit und Zuversicht vermittelt, stärken wir die Seelen der Kinder. Sie wissen dann: Da ist jemand, der bei mir ist. Somit sind sowohl die verlässlichen Bezugspersonen zu Hause als auch die in der Kita und in den Schulen zur Orientierung wichtig. Es ist essenziell, den Emotionen der Kinder Rechnung zu tragen und ihnen möglichst viel Freude und Unbeschwertheit mitzugeben. Außerdem es wichtig, ihre Autonomie zu stärken und sie partizipieren zu lassen. Einfühlsam, empathisch und mit Geduld und viel Verstehen von Seiten der Erwachsenenwelt.
Für Kinder wie für Erwachsene spielt es eine große Rolle, an der frischen Luft zu sein und sich zu bewegen, um wieder ausreichend Sauerstoff einzuatmen und unser Immunsystem zu trainieren. Und draußen können wir die Kinder auch mal ohne Maske begleiten, sodass wir wieder die Mimik des anderen erkennen können.
Ich wünsche allen einen gelungenen Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Darunter verstehe ich die Chance, Ängste ernst zu nehmen, ohne dass diese die Überhand gewinnen. Ich wünsche Ihnen offene Ohren für Sorgen und kreative Ideen und Lösungen, um Kontakte zu halten und zu pflegen. Bleiben Sie gesund – physisch und psychisch!
Petra Engelsmann arbeitete jahrelang als Erzieherin und Kita-Leiterin. Heute ist sie Beraterin, Autorin und Dozentin für Eltern und pädagogisches Fachpersonal.
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