Max ist nicht mehr mein Freund!“, „Lara ist nicht mehr meine Freundin!“ Wenn Kinder so etwas sagen, haben sie schon sehr viel gelernt. Sie haben gelernt, sich selbst und andere als Individuen wahrzunehmen und bedeutungsvolle Beziehungen aufzubauen. Und sie haben gelernt, Lösungen für Konflikte zu finden. Auch wenn sie sich in diesem Fall (vorerst) wütend voneinander abwenden, ist es ihnen gleichzeitig doch gelungen, eine weitere Eskalation ihres Streits zu vermeiden. Konflikte mit Gleichaltrigen machen Kinder beziehungsfähig – vor allem dann, wenn pädagogische Fachkräfte sie bei der Bewältigung von Beginn an gut unterstützen. Konflikte gehören zum sozialen Miteinander in Gemeinschaften. Wo Individuen oder Gruppen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen, Ideen, Haltungen und Wünschen zusammentreffen,
kommt es unweigerlich zu Unvereinbarkeiten. Dann gilt es, Lösungen zu finden, Kompromisse einzugehen und einen neuen Konsens herzustellen. Und das will gelernt sein.
Konfliktpotenzial in jedem Alter
Mit zunehmendem Lebensalter verändern sich die typischen Motive, aus denen heraus Konflikte unter Kindern entstehen. Die eigenen Ressourcen, auf die Kinder bei der Bewältigung zurückgreifen können, steigen. Dadurch sind sie zunehmend weniger auf die Begleitung von Fachkräften angewiesen, um Konflikte zu meistern. Ein Überblick zeigt, wie sich das Konfliktverhalten von Kindern und die benötigte Unterstützung zwischen null bis sechs Jahren verändern.
1 Null bis zwei Jahre
Konfliktmotive: Kleinkinder sind zunächst ganz auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse fokussiert. Sie spielen nebeneinander und nicht miteinander. Zunehmend ergeben sich kurze Kontakte im Spiel, Momente, in denen die Kinder augenscheinlich aufeinander Bezug nehmen. Erste Konflikte entstehen typischerweise, wenn es ihnen zu laut oder zu eng wird, oder Streit um ein Spielzeug entbrennt.
Ressourcen: Die Ressourcen, die Kleinstkindern zur Verfügung stehen, um in diesem Entwicklungsstadium Konfliktsituationen zu bewältigen, sind begrenzt. Da sie sich weder differenziert verbal äußern noch in die Lage anderer Menschen versetzen können (Egozentrismus), reagieren sie oft mit Beißen, Kratzen oder Schlagen. Damit verbinden sie jedoch nie die Absicht, andere zu verletzten oder zu schädigen.
Unterstützung: Kinder benötigen in diesem Alter viel Unterstützung bei Konflikten. Die Fachkraft versucht zunächst, die Problematik zu verstehen und nach Möglichkeit zu entschärfen – etwa, indem sie sich mit einem lärmempfindlichen Kind von der Gruppe entfernt. Es gibt jedoch auch Situationen, die Kompromisse fordern, zum Beispiel, wenn sich zwei Kinder um ein bestimmtes Spielzeug streiten. Fachkräfte können nicht erwarten, dass die Kinder in diesem Alter selbst eine Lösung finden. Sie können sie jedoch vorschlagen. Oft bedeutet das, dass eines der Kinder sein Bedürfnis aufschieben und warten und das andere das Spielzeug eventuell früher als gewünscht weitergeben muss. Beide empfinden diese Lösung wahrscheinlich als Zumutung und sind darüber traurig oder wütend. Fachkräfte sollten den Kindern ihre Emotionen zugestehen und sie nicht mit einem „Das ist doch nicht so
schlimm“ oder „Du hattest die Puppe doch eben erst“ übergehen. Dem Kind hilft es, wenn die Fachkraft das Gefühl, das es überwältigt, benennt: „Ich verstehe, dass du jetzt wütend bist“, wenn sie es tröstet und ihm Zeit lässt, sich zu beruhigen. Anschließend kann es sinnvoll sein, eine Alternative vorzuschlagen, wie: „Komm, wir schauen mal nach einer anderen Puppe.“
2 Zwei bis vier Jahre
Konfliktmotive: In dem Maße, in dem sich das Ich-Bewusstsein des Kindes ausbildet, nimmt es andere Menschen als Gegenüber mit eigenen Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen wahr, die sich von den eigenen unterscheiden. Jetzt geht es ihm darum, Kontakt mit anderen aufzunehmen, sie kennenzulernen, sich in der Gruppe zu finden. Da sich die Strategien der Kinder und auch
ihre Bedürfnisse unterscheiden, kommt es regelmäßig zu Konflikten – zum Beispiel, weil sich ein Kind ungefragt zu einer spielenden Gruppe gesellt, e in anderes umarmt oder schubst und dabei auf Gegenwehr stößt.
Ressourcen: Kinder in diesem Alter agieren noch vor allem körperlich, um Beziehungen herzustellen. Damit brechen sie überraschend in die Sphäre anderer Kinder ein, die sich dadurch oft gestört fühlen und wütend reagieren. Ob Kinder in solchen Situationen handlungsfähig sind, hängt von ihrer sprachlichen und kognitiven Entwicklung sowie ihrer Fähigkeit zur Emotionskontrolle ab. Wer stark von der eigenen Trauer oder Wut beansprucht ist, wird es nicht schaffen, sich auf sein Gegenüber einzulassen. Doch das ist nötig, um den Konflikt nicht eskalieren zu lassen und eine gute Lösung zu finden. Je nachdem, wie viel Vorerfahrungen Kinder haben, kann es jedoch auch schon Dreijährigen gelingen, Konflikte eigenständig untereinander zu lösen.
Unterstützung: Für die Fachkräfte bedeutet das, sehr genau zu beobachten, und sich erst dann in eine Konfliktsituation einzuschalten, wenn klar ist, dass die Kinder allein damit überfordert sind. Wichtig ist, den Konflikt nicht für die Kinder, sondern mit ihnen zu lösen. Fachkräfte sollten sich bewusst sein, dass sie keinen objektiven Blick auf die Situation haben – selbst, wenn sie meinen, den Ablauf komplett beobachtet zu haben. Aus diesem Grund, sowie um Kinder zu befähigen, eigene Lösungen zu entwickeln, ist es besser, den Lösungsprozess lediglich zu moderieren. Das gelingt mit Nachfragen. Jede Partei darf berichten, was sie stört, wütend oder unglücklich macht. Die Fachkraft gibt das Gesagte noch einmal mit eigenen Worten wieder und fasst zusammen, dass wohl beide Kinder oder Kindergruppen unglücklich sind. Mit Fragen, wie „Was machen wir denn da?“ und „Was brauchst du, damit du dich besser fühlst?“ gibt sie die Problemlösung in die Hände der Kinder, die oft gute Lösungen finden. Nicht alle Konfliktsituationen erfordern diesen ausführlichen Prozess. Manchmal reicht es, ein Kind aus einer Situation herauszunehmen, es in den Arm zu nehmen und Trost zu spenden.
3 Vier bis sechs Jahre
Konfliktmotive: In diesem Alter geht es stark um den Rang in einer Gruppe, darum, wer das Sagen hat und Spielanweisungen gibt. Jungen und Mädchen grenzen sich zunehmend voneinander ab und spielen oft in geschlechterhomogenen Gruppen. Sich abzugrenzen sowie Rollen und Spielregeln auszuhandeln, bietet viel Konfliktstoff. Es besteht die Gefahr, dass einzelne Kinder von anderen ausgeschlossen, gegängelt und bevormundet werden.
Ressourcen: Die Fähigkeiten der Kinder, Konflikte untereinander zu lösen, sind zunehmend besser ausgebildet. Sie können sich immer differenzierter sprachlich ausdrücken. Damit nimmt jedoch auch die Gefahr verbaler Gewalt zu. Die Kinder haben in der Vergangenheit idealerweise unterschiedliche Möglichkeiten kennengelernt, mit Interessenkonflikten umzugehen, und wenden diese immer öfter eigenständig an.
Unterstützung: Ihre Konflikte tragen Kinder dieser Altersgruppe oft unbeobachtet von Fachkräften aus. Umso wichtiger ist es, dass diese die Dynamik in der Gruppe aufmerksam beobachten und einschreiten, wenn legitime Bedürfnisse einzelner Kinder verletzt werden und ihre Interessen systematisch unbeachtet bleiben. In solchen Situationen sollten die Fachkräfte Partei ergreifen. Zielführend ist es, in Konfliktsituationen über das Thema zu sprechen und gemeinsam Regeln für ein gutes Miteinander festzulegen. Konfliktbewältigung kann ein wiederkehrendes Thema in Kinderkonferenzen und Gesprächskreisen sein. Hilfreich sind in diesem Alter auch Bücher, die sich mit dem Thema befassen. Kinder sind jetzt zunehmend besser in der Lage, die Geschichte, die sie hören, auf ihr eigenes Handeln zu beziehen. In unseren Element-i Kinderhäusern beobachten wir, dass Fachkräfte in Konfliktsituationen unter Kindern den Zeitpunkt zum Eingreifen sehr unterschiedlich sehen. Es hängt stark von ihrer eigenen Haltung zu Konfliktsituationen insgesamt ab. Menschen, für die Konflikte grundsätzlich
schwer erträglich und negativ behaftet sind, schreiten früher ein. Andere fühlen sich von bestimmten Themen – etwa Ungerechtigkeit – getriggert. Für Fachkräfte ist es wichtig, ihre emotionalen Reaktionen zu kennen und zu bedenken, wenn sie in Konfliktsituationen agieren. Eventuell können Kolleginnen oder Kollegen helfen, wenn es kritisch wird. In Gruppen mit kleinem Fachteam bildet sich schnell ein Konsens zum Umgang mit Konflikten heraus. Das bedeutet aber nicht, dass die präferierte Handlungsstrategie auch die beste ist. Hier ist Feedback anderer Pädagoginnen und Pädagogen hilfreich, um das eigene Vorgehen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Unsere Kita-Teams machen den Umgang mit Kinderkonflikten daher immer wieder zum Thema in Teamsitzungen und besprechen gemeinsam konkrete Fälle.
Achtung, Schublade!
Keiner blickt wirklich objektiv auf einen Konflikt. Trotzdem sollten wir es versuchen. Dazu müssen wir die Schubladen in unserem Kopf öffnen. Steckt eventuell eine Streitpartei in der Schublade „Das Kind, das immer haut“ oder „Das Kind, das es nicht auf die Reihe kriegt“? Dann ist es höchste Zeit für eine Kindbesprechung im Team. Dort versuchen wir dann, sehr differenziert zu schauen, was das Kind alles kann und leistet. Immer wieder erleben wir dadurch eine deutliche Veränderung der Situation. Bereits am nächsten Tag erscheint das Kind wie ausgewechselt – allein dadurch, dass das Kita-Team es plötzlich mit anderen Augen sieht und ihm mit einer anderen Haltung entgegentritt. Wissen sollten wir auch, dass wir Kindern unbewusst eher körperliche oder eher sprachliche Konfliktlösestrategien zuschreiben, je nachdem, ob sie männlich oder weiblich sind. Sich selbst diese Zuschreibungen immer wieder bewusst zu machen, ist die Voraussetzung dafür, gegensteuern zu können. Konfliktsituationen bieten den Kindern hervorragende Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie erwerben
dadurch Konfliktlösekompetenzen, die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander in der Gemeinschaft sind. Pädagogische Fachkräfte sollten Konflikte als Lernchance sehen und die Kinder darin so weit wie möglich selbstständig agieren lassen. Das heißt aber nicht, dass sie konfliktträchtige Situationen erzeugen müssten. Dies ist oft der Fall, wenn zu wenig Spiel- oder Bastelmaterial
verfügbar ist oder unübersichtliche Situationen in täglichen Abläufen entstehen – etwa beim Händewaschen vor dem Mittagessen. Alle möchten dann zuerst am Waschbecken sein, um sich anschließend die besten Plätze am Mittagstisch zu sichern. Solche Situationen, die die Kinder häufig überfordern, gilt es zu entschärfen. ◀
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