21.07.2022
Bianca Manegold

Auf die innere Haltung kommt es an! – Pädagogische Arbeit reflektieren, Gleichberechtigung ermöglichen

Wie Sie einem Kind (und seiner Familie) begegnen, was Sie Kindern anbieten, wie Sie sie begleiten und wie Sie Kinder fördern, ist immer eine Frage Ihrer inneren Haltung und Ihres Bildes des Kindes. Zu allererst steht die Frage: Sind Sie bereit, Kinder mit erhöhtem Förderbedarf zu integrieren? Sich all den Herausforderungen zu stellen, die dieses Kind vielleicht mitbringt? Sich, Ihre Arbeit, Ihr Team und nicht zuletzt Ihre Konzeption und Ihre Einrichtung regelmäßig zu hinterfragen und zu reflektieren? Sicher werden Sie diese Fragen alle mit Ja beantworten, aber es ist nicht einfach, sich jeden Tag neu auf die Welt der Kinder einzulassen und hineinzudenken. Die Reflexionen im folgenden Kapitel sollen Ihnen dabei eine Hilfe sein.

Da wir auf der Beziehungsebene und damit immer auch emotional arbeiten, müssen wir als pädagogische Fachkraft Tag für Tag gleichermaßen Profi wie auch feinfühlige, empathische Bezugsperson sein. Auch die (mit Recht!) geforderte Wertschätzung allen Beteiligten gegenüber – also Kindern, Familien, Team und Leitung – aufzubringen und unser Handeln stets zu reflektieren, ist ein wirklich hoher Anspruch.

Das Ziel soll aber gar nicht sein, dass Sie immer und jederzeit perfekt sind. Wir haben alle gute und schlechte Tage, wir machen Fehler und nicht jedes „Fettnäpfchen“ lässt sich gleich gut umschiff en. Vielmehr geht es darum, eine offene Grundhaltung einzunehmen, zu leben und davon auszugehen, dass man eben nicht perfekt ist. In einer offenen Grundhaltung ist man in der Lage, Feedback und Kritik anzunehmen, eigene Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren und in den konstruktiven, lösungsorientierten Austausch zu gehen, um einen gemeinsamen empathischen und ressourcenorientierten Blick zu erlangen. 

Systeme müssen sich an die Kinder anpassen

Eine offene Grundhaltung bedeutet, jedes Kind als besonders und einzigartig zu betrachten und zu erkennen, dass jedes Kind es verdient, so gesehen und wahrgenommen zu werden, wie es ist – mit all seinen Bedürfnissen, Stärken, Schwächen und Herausforderungen. Das bedeutet auch, dass es nicht Aufgabe der Kinder ist, systemfähig zu werden, sondern vielmehr Aufgabe der Systeme, kinderfähig zu werden – das bedeutet für Sie als Fachkraft: sich auf alle Kinder gleichermaßen einzustellen und allen ein gleichberechtigtes Miteinander zu ermöglichen.

Eine offene Grundhaltung bedeutet auch, individuelle Unterschiede zu respektieren und Vielfalt als Bereicherung wahrzunehmen. Mit dieser Haltung und diesem Bild des Kindes muss es unser gemeinsames Ziel sein, alle Kinder in der Art zu unterstützen und zu begleiten, dass sie uns irgendwann nicht mehr brauchen und als kompetente, starke und selbstsichere Menschen in ihrer Umwelt stabil und sicher zurechtkommen.

Die offene Grundhaltung ermöglicht es uns, aufgeschlossen in die Reflexion zu gehen und ehrlich zu uns zu sein. Wenn Sie in dieser Art sich, Ihr Team und Ihre Einrichtung refl ektieren, sind Sie gegen viele hausgemachte Faktoren gefeit, die zu Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen und anderen Schwierigkeiten beitragen und/oder diese begünstigen können. Außerdem achten Sie gleichzeitig auch auf sich und Ihr Wohl, sodass die Tür um 16:30 Uhr auch wirklich zufallen darf und Sie unbelastet in den Feierabend gehen können. Die folgenden Fragen können dabei in regelmäßigen Reflexionen Anregung für Sie und Ihr Team sein.

Pädagogische Arbeit

  • Begegnen wir allen im Haus wertschätzend und respektvoll? Haben wir vorgefärbte Meinungen, Voreinstellungen, Vorurteile? Haben wir an der ein oder anderen Stelle vielleicht sogar Berührungsängste? Sind wir sicher, authentisch und selbstbewusst in den Begegnungen mit Kindern, Eltern und Kolleg: innen? Wo sind wir unsicher, brauchen Unterstützung, Zuspruch?
  • Kennen und beachten wir die Vorgaben des Bildungsplans für Kitas in unserem jeweiligen Bundesland? • Von welcher Qualität ist unsere tägliche Arbeit? Sind wir stabile Begleiter:innen für die Kinder oder eher Animateur:innen?
  • Machen wir regelmäßig eine gründliche Situations- und Bedarfsanalyse? Haben wir wirklich einen Überblick über alle uns anvertrauten Kinder, ihre Entwicklungsstände, Bedürfnisse, Ressourcen und Interessen?
  • Nehmen wir alle Kinder angemessen wahr? Verlieren wir einzelne Kinder aus dem Blick, weil sie „keine Probleme machen“, meist still und angepasst sind? Nehmen wir einzelne Kinder zu sehr in den Blick, weil sie „nur Probleme machen“, laut, überaktiv und evtl. aggressiv sind?
  • Sprechen wir mit unseren Angeboten und Projekten die Kinder an? Sind diese spannend und attraktiv für die Kinder, sodass sie gerne teilnehmen? Kann jedes Kind etwas finden, das es interessiert und zum Mitmachen motiviert?
  • Haben die Kinder genug Raum und Zeit, sich mit ihren individuellen Selbstbildungsprozessen auseinanderzusetzen? Machen wir zu viele gezielte Beschäftigungen, bei denen alle Kinder mitmachen müssen – ob sie wollen oder nicht?
  • Berücksichtigen wir in unseren Angeboten und Möglichkeiten für die Kinder alle Entwicklungsbereiche, also: Grobmotorik, Feinmotorik, Sprache, soziale Kompetenzen, Kreativität und emotionale Kompetenzen? Werden alle Sinne angeregt und gefördert? Sind alle Altersstufen angesprochen?
  • Sind die Regeln und Vorschriften für die Kinder noch stimmig? Wem nutzen diese Regeln und sind sie wirklich pädagogisch notwendig und/ oder die einzige Möglichkeit, Unfälle zu vermeiden? Oder gibt es vielleicht zu wenige Regeln, sodass Kindern die Orientierung schwerfällt?

Strukturen und Räume

  • Ermöglicht das Außengelände abwechslungsreiche Aktivitäten und Möglichkeiten?
  • Nutzen wir die Möglichkeiten der Umgebung, z. B. Wald, Park, Spielplätze etc.?
  • Wie nutzen wir Nebenräume, Flure und Nischen? Welche Möglichkeiten und Ressourcen bieten diese?
  • Sind die Gruppenräume attraktiv und zugänglich? Haben die Kinder genug Platz oder stehen viele, vielleicht unnötige Möbel im Raum? Falls notwendig: Sind unsere Räume (auch die sanitären Räume für Kinder) barrierefrei?
  • Sind die angebotenen Spiele und Materialien auf Kinderhöhe, sind sie noch attraktiv oder sollten sie mal (aus)getauscht werden? Sind die Regale sogar zu voll, das Angebot zu groß, um sich noch orientieren und entscheiden zu können?
  • Gibt es ausreichend Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder? Haben die Kinder Möglichkeiten der Privatsphäre?
  • Gibt es ausreichend Bewegungsoptionen für Kinder, auch ohne dass die ganze Gruppe nach draußen geht? Können Kinder mit erhöhtem Bewegungsdrang diesen ausleben oder abbauen – auch ohne Erwachsene zur Aufsicht? Gibt es einen sicheren Rahmen für eigeninitiative Bewegung und/oder Stressabbau des Kindes?

Eltern und Familien

  • Haben wir Kontakt zu allen Eltern? Was wissen wir über ihre Erziehungsvorstellungen? Sind wir informiert über eventuelle Belastungen oder Probleme der Familie? Wie nehmen wir die Eltern im Kontakt wahr?
  • Welche Willkommenskultur herrscht in unserer Einrichtung? Wie begrüßen wir Kinder, wie gestaltet sich der tägliche Abschied von den Eltern? Können die Kinder Tag für Tag gut ankommen und wo liegen vielleicht noch Schwierigkeiten? Begegnen wir den Eltern wertschätzend und wohlwollend oder konfrontieren wir sie täglich mit Schwierigkeiten und Forderungen?
  • In welchem Kontext findet unsere pädagogische Arbeit statt? Wie setzt sich unser Einzugsgebiet zusammen? Was sind die Besonderheiten? Ist unser Konzept noch stimmig und in unserem Kontext passend?

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