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Zunächst erscheint Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Arbeit mit Kindern unter drei Jahren abstrakt und der fachliche Bezug zum Thema Nachhaltigkeit für diese Altersgruppe weit entfernt. Doch blickt man von der Neugier der Kinder auf die Alltagssituationen der pädagogischen Arbeit, zeigen sich spannende Perspektiven, die sich für die Bildung nachhaltiger Entwicklung aufgreifen und zu einem längerfristigen Bildungsprozess verknüpfen lassen. Alle Kinder, auch oder vor allem die jüngsten, haben Fragen an die Welt, wollen Zusammenhänge verstehen, hinter Dinge blicken und Phänomene des Alltags für sich begreifen. Diese kindliche Neugier und Weltentdeckerlust sind Anfänge für eine Kultur des Lernens, in der das Denken in Themen der Nachhaltigkeit beginnt.
Schäfer (2011, S. 57 f.) beschreibt in der Begleitung frühkindlicher Bildungsprozesse die Besonderheit des kindlichen Anfängergeistes, der sich in einer Kultur von geteilten Erfahrungen entfaltet. Gemeinsam etwas sehen, entdecken, betrachten und Erfahrungen teilen: Das beschreibt einen Prozess, in dem pädagogische Fachkräfte Selbstbildungsprozesse von Kindern in einen gemeinsamen Handlungskontext einbinden. Der gemeinsame Handlungs-kontext zeichnet sich dadurch aus, dass pädagogische Fachkräfte sich und den Kindern Zeit geben, um Dinge im Alltag gemeinsam zu erkunden. Für die pädagogischen Fachkräfte besteht die Herausforderung darin, in den alltäglichen Routinen innezuhalten und sich auf die Entdeckerlust der Kinder einzulassen und Selbstständigkeit zuzulassen. Schäfer be-tont, „… dass Bildung zutiefst ein soziales Geschehen ist …“ (Schäfer 2011, S. 59 f) und gemeinsames Handeln sich in einer „unmittelbaren Beziehung“ zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind entwickelt (Schäfer 2011, S. 60). Diese setzt voraus, dass das Kind auf eine wohlwollende Beziehung zur pädagogischen Fachkraft vertrauen kann, die bereits ihrerseits eine verlässliche Bindungsbeziehung zum Kind aufgebaut hat (Schäfer 2011, S. 61).
Übertragen auf die Anfänge einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zeigt die gemein-same Kultur des Lernens nach Schäfer (2011) auf, dass Kinder an erster Stelle in ihren Handlungsbezügen wahr- und ernstgenommen werden müssen. Wo strebt das Kind hin? Was hat es entdeckt? Welche Fragen stellt sich das
Kind? Was greift es auf? Was will es mir zeigen? Diese Fragen lenken den Blick in eine geteilte Aufmerksamkeit, die es der pädagogischen Fachkraft ermöglicht, eine Resonanz auf die kindliche Entdeckerlust zu entfalten. In der Resonanz entwickelt sich der Dialog mit dem Kind, in der die pädagogische Fachkraft dem kindlichen Handeln Sprache anbietet und so die kindlichen Fragen in den Alltagszusammenhang einbettet.
Das Kind greift nach dem Lichtschalter, knipst das Licht an und aus, wiederholt dieses Tun viele Male und zeigt damit sein Interesse an diesem Phänomen. Die pädagogische Fach-kraft folgt dem Blick des Kindes und erkennt, dass das Kind wissen will, wie das funktioniert, lässt es ausprobieren und bringt in Sprache, was passiert: „Wenn du den Schalter nach oben drückst, geht das Licht an, wenn du ihn nach unten drückst, geht das Licht aus.“ Mit dieser Resonanz bietet die pädagogische Fachkraft dem Kind an, Zusammenhänge zu erkennen und seine Selbstwirksamkeit zu verstehen. Die Fachkraft antwortet auf das kindliche Interesse vor allem mit Wertschätzung. Erst im zweiten Schritt, wenn das Kind erlebt, dass sein Handeln und sein Interesse für etwas gesehen und ernstgenommen werden, beginnt eine verlässliche Beziehungsebene, in der das Kind das Handeln und das Interesse der pädagogischen Fachkraft seinerseits mit Aufmerksamkeit und Neugier verfolgt. Danach ist die Basis gelegt, auf der im dritten Schritt der handelnde Erwachsene für das Kind eine Bedeutung erhält und somit durch sein Tätigsein Bildungsprozesse öffnen kann.
Nicht das Erreichen von Lern- oder Entwicklungszielen steht im Mittelpunkt, sondern das gemeinsame Tun. Ritscher (2013, S. 12) definiert in diesem Zusammenhang eine „lang-same Pädagogik“, in der die pädagogische Fachkraft innehält und dem Kind in der Erkundung und Erforschung der Welt assistierend zur Seite steht. Vor allem Krippenkinder setzten ihr Selbst- und Zeiterleben aus vielfältigen Handlungssituationen zusammen. Besonders wenn das Kind mit anderen aktiv ist, sich bewegt, engagiert bei der Sache ist, findet körperliche Erfahrung statt, die handlungsbezogen und emotional ein-gebunden ist (vgl. de Coster 2013, S. 17). Dieses Gefühl des Selbsterlebens, der eigenen Autonomie, ist eine der wichtigsten Grunderfahrungen von Krippenkindern (vgl. Viernickel; Stenger 2010, S. 192), die als wichtigste Verbindung und Voraussetzung von Bildung für eine nachhaltige Entwicklung angesehen werden kann.
Der Zugang zu Themen der Nachhaltigkeit liegt im pädagogischen Handeln, insbesondere im Abwarten sowie im Halten von kindlichen Bildungsprozessen (vgl. Schäfer 1995, S. 50 f.). Die größte Herausforderung besteht darin, die eigenen Erwartungen, mit Kindern ein Lernziel zu erreichen, zurückzustellen. Klein (2004, S. 15) betont, dass der Erwachsene seine Erklärungen „suspendieren“ müsse, damit Kinder Zeit gewinnen, selbst Ideen und Lösungen im Prozess des Ausprobierens und Erforschens zu finden. Die Stärkung der kindlichen Selbstwirksamkeitsprozesse befördert bereits im Krippen -alter Schritt für Schritt die Beteiligung an Alltagssituationen. Mit wachsendem Entwicklungsalter entwickeln Kinder aus der Selbstwirksamkeitserfahrung heraus ein Verantwortungsbewusstsein für die gelebte Gemeinschaft. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung beginnt dann, wenn Kinder eigene Ideen und Lösungen zu Fragen und Themen der Nachhaltigkeit ein-bringen und beitragen können. Damit dieser Prozess sich entfalten kann, muss die pädagogische Fachkraft ihre Zielvorstellungen und Ideen loslassen und Raum für die kindliche Perspektive schaffen. „Sie wirft sie nicht über Bord und hält sie auch nicht aus pädagogischen Gründen zurück, damit die Kinder später ‚selbst drauf-kommen‘. Sie stehen ihr momentan nur – ganz wörtlich – im Weg. Sie würden ihr den Blick versperren für die subjektive Perspektive der Kinder“ (Klein 2004, S. 15). Diese Form des Abwartens seitens der pädagogischen Fachkraft entscheidet über das Selbsterleben (ein Teil der Gemeinschaft zu sein) und über die Selbstbildungszeit (sich mit eigenen Ideen ein-zubringen) des Kindes (Schäfer 2009, S. 22).
Das 1-qm-Projekt als Anlass für forschendes Lernen Voller Neugier erforschen und entdecken Krippenkinder die Welt und finden oft Dinge und Kleinigkeiten, die wir Erwachsene übersehen. Das 1-qm-Projekt bietet einen Anlass, dem forschenden Lernen der Krippenkinder einen Untersuchungsrahmen zu geben, der eine gemeinsam geteilte Aufmerksamkeit auf einen begrenzten Bereich lenkt. Zusammen mit der pädagogischen Fachkraft können Kinder einen beliebigen Ort in der nahen Natur und kulturellen Umwelt auswählen und dort spontan mit der Entdeckung von Welt beginnen. Mit zwei Zollstöcken lässt sich ein Quadratmeter zu einem begrenzten Untersuchungsbereich definieren, der von den Kindern beforscht werden kann (Damen 2021).
Beim genauen Hinsehen, Betrachten, Ordnen und Sortieren der Fundstücke entsteht eine Sammlung von Schätzen. Die Rolle der pädagogischen Fachkraft ist es, die Fundstücke der Kinder und die Sortierungen fotografisch zu dokumentieren, Kommentare und Gespräche der Kinder zu notieren und über offene Fragen den gemeinsamen Dialog zu bereichern. Im Sortieren der Fundstücke entstehen Ordnungen, die eine Sensibilität für Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit bewirken.
Es lässt sich beobachten, dass bereits Krippenkinder natur-zugehörige Dinge (Blätter, Äste, Früchte …) von naturschädlichen Dingen (Plastikreste, verrostetes Metall, bedrucktes Papier …) trennen und damit voneinander unterscheiden. Ebenso veranlassen die Sammlungen Kinder dazu, ihre Fundstücke zu benennen und begrifflich einzuordnen: ein Kiefernzapfen wird als „Baumzapfen“ benannt oder ein verzweigter Ast als „Segel-wurm“ (Kahl 2008). Weiterführende Fragen (zum Beispiel: „Wo kommen diese Dinge her? Wie sind sie hier hergelangt?“) er-öffnen einen Zugang zum gemeinsamen Nachdenken über die Welt. So formulieren Kinder, dass die gefundenen Plastikstücke dem Wald schaden, weil die Tiere das ja fressen könnten.
Von der Forst-Bauer (2012, S. 79) stellt heraus, dass Kinder sich besonders dann frei ausprobieren, nachdenken, Zusammenhänge hinterfragen, experimentieren, selbst Lösungen finden, ergebnissoffen und selbstorientiert agieren, wenn sie an „echten Aufgaben“ beteiligt werden. Das 1-qm-Projekt bietet somit altersübergreifend einen situationsbezogenen Anlass, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und über Fragen zu Natur und Umwelt ins Philosophieren zu finden und sie für Themen der Nachhaltigkeit zu sensibilisieren (Müller 2011).
Prof. Dr. Sonja Damen ist Professorin für Bildung und Erziehung in der Kindheit und Leiterin des Studiengangs B. A. „Kindheitspädagogik“ an der Fliedner Fachhoch-schule Düsseldorf.
Damen, S. (2021): Das 1-qm-Projekt. Kindergarten heute 2021(2). 51. Jg., 26–30.
de Coster, L. (2013): Die Zeitvorstellung junger Kinder und das Zeit-verständnis unserer Gesellschaft. In: KINDER in Europa. Den Kindern gehört die Zeit. Ausgabe 25, 12/2013, Berlin: verlag das netz, 16–17.
Kahl, R. (2008): Kinder! Über das Lerngenie der Kinder. (DVD) Hamburg: Archiv der Zukunft.
Klein, L. (2004): Wenn die Worte nur so aus einem herausfl ießen. Warum eine dialogische Haltung die Sprache fördert. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. TPS Heft 4, 12–15.
Müller, J. (2011): Mit den Kleinen Großes Denken. Mit Kindern über Nachhaltigkeitsfragen philosophieren – Ein Handbuch (unter Mitarbeit von Susanne Schubert). Leuchtpol GmbH, https://www.anu-brandenburg.de/uploads/media/handbuch-philoso-phieren.pdf?PHPSESSID=68900d8b61fe0164fe68bb68acdc4e2d (zugegriffen am 26.1.2023).
Ritscher, P. (2013): Gelobt sei die Langsamkeit! Auch in Kindergärten! In: KINDER in Europa. Den Kindern gehört die Zeit. Ausgabe 25, 12/2013, Berlin: verlag das netz, 12.
Schäfer, G. E. (1995): Bildungsprozesse im Kindesalter. Selbstbildung, Erfahrung und Lernen in der frühen Kindheit. Weimar: Juventa.
Schäfer, G. E. (2009): Der Bildungsbegriff in der Pädagogik der frühen Kindheit. Fried, L./Roux (Hrsg.) (2009). Pädagogik der frühen Kindheit. Handbuch und Nachschlagewerk. Berlin: Cornelsen, 33–44.
Schäfer, G. E. (2011): Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens. Weinheim: Juventa.
Viernickel, S./ Stenger, U. (2010): Didaktische Schlüssel in der Arbeit mit null- bis dreijährigen Kindern. In: Kasüschke, Dagmar (Hrsg.): Didaktik in der Pädagogik der frühen Kindheit. Grundlagen der Frühpädagogik, Band 3. Kronach: Wolters Kluwer. 175–198.
von der Forst-Bauer, M. (2012): Staunen – entdecken – forschen. Naturwissenschaftliche Bildung und Bildung für nachhaltige Ent-wicklung. In: Schubert, Susanne; Salewski, Yvonne; Späth, Elisabeth et al. (Hg.) (2012 a): Nachhaltigkeit entdecken, verstehen, gestalten. Kindergärten als Bildungsorte nachhaltiger Entwicklung („Hier spielt die Zukunft“, Bd. 1), Weimar u. a.: verlag das netz, S. 74–79.
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