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Jeder kennt das: Fragen, Fragen und kein Ende. „Du fragst mir ja ein Loch in den Bauch“, antworten Erwachsene dann oft. Nicht immer hat man den Eindruck, dass das Gegenüber wirklich sachlich an dem interessiert ist, was es da fragt. Etwas anderes scheint der Antrieb für die Frage zu sein. Diesem Antrieb – oder den Antrieben – wollen wir auf die Spur kommen.
Eine Motivation ist die Freude am Fragen selbst. Es ist für ein Kind ein erhebendes Gefühl zu merken, dass man sich durch Fragen die Welt aneignen und das Interesse der Menschen wecken kann. Die Erkenntnis „Ich bin ein fragendes Wesen“ möchten sie gebührend feiern – am besten durch zahllose Fragen. Neben geduldigen Antworten auf diese vielen Fragen kann eine passende Reaktion der Erzieherinnen und Erzieher auf diese Einsicht auch in der ehrlichen Anerkennung bestehen: „Du weißt so viele Fragen!“ Wenn sich das Kind wirklich nur mit den eigenen Fragen berauschen will, dann fühlt es sich durch diese Antwort verstanden. Denn dann sucht es keine sachliche Antwort.
Es gibt Fragen, deren Zweck lediglich darin besteht, Kontakt herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Hiervon gibt es zwei Typen. Als Erstes sind die stereotypen Fragen zu nennen. Das Kind fragt ohne Erkenntnisinteresse – gleichsam mechanisch – ständig: „Warum?“ Oder es erkundigt sich unentwegt: „Wann kommst du wieder? Wann gehen wir in den Wald? Wann kommt der Nikolaus?“ Es kennt die Antwort, hat sie schon mehrfach erhalten und fragt trotzdem immer wieder nach. Wie können wir solchen Fragen – auf die das Gegenüber nach einiger Zeit verständlicherweise gereizt reagiert – begegnen?
Zunächst ist es wichtig, sich das zugrunde liegende Kontaktbedürfnis und die Angst vor Kontaktverlust zu vergegenwärtigen. Das Kind fragt nicht aus Provokationslust immer dasselbe, sondern weil es die enge emotionale Anbindung benötigt, um emotional stabil und funktionsfähig zu bleiben. Ist dieser Hintergrund bewusst, so helfen unterschiedliche Methoden, das Bedürfnis zu befriedigen. Man kann aus den stereotypen Fragen ein lustiges Sprachspiel machen und sich gemeinsam witzige Antworten ausdenken: Ich komme wieder, wenn die Vögel „Alle meine Entchen“ singen … Oder: „Wenn die Amsel einen roten Hut auf dem Kopf hat“ Oder: „Was fällt dir ein, wann ich wiederkomme?“ Man kann dem Kind aber auch sagen: „Jetzt bin ich noch da und jetzt räumen wir zusammen die Kuscheltiere auf “, oder man erledigt zusammen irgendeine andere notwendige Tätigkeit. Man kann das Kind auch bitten, ein Bild zu malen, während man abwesend ist. Alle diese – und viele andere – Reaktionsweisen zielen darauf ab, dem Kind Beziehungssicherheit zu vermitteln. Hinzu kommt, dass es unerlässlich ist, gegebene Zu sagen stets verlässlich einzuhalten.
Die zweite Art der Kontaktfragen verfolgt dasselbe Ziel. Doch setzt sie voraus, dass Kinder schon fähig sind, sich selbstständig einzufühlen. Diese Art der Frage kommt erst im Grundschulalter vor. Sie geht auf das Gegenüber ein und versucht, es für sich einzunehmen und in ein Gespräch zu verwickeln. Das geschieht insbesondere dann, wenn eine gemeinsame Situation eigentlich beendet werden soll oder eine unerfreuliche Aufgabe ansteht. So versuchen ältere Kinder – und auch Erwachsene –, das unvermeidliche Ende und den Abschied hinauszuzögern. Dieselbe Art zu fragen verwenden sie aber auch, um das Gegenüber von anderen Vorhaben – wie etwa einer Anforderung – abzulenken. Meine kleine Nichte hatte sehr bald durchschaut, dass sie eine unliebsame Aufforderung oder das abendliche Zubettgehen hinauszögern konnte, indem sie ihrem Vater alle möglichen Fragen stellte. Denn ihr Vater war jederzeit bereit, die unterschiedlichsten Fragen zu beantworten, solche nach seiner Kindheit, nach den Lebensbedingungen in der Nachkriegszeit, nach den Hauptstädten verschiedener Länder, nach den Merkmalen, an denen man erkennt, ob ein Lebensmittel noch gut ist, und dergleichen mehr. Meine Nichte hat auf diese Weise sicherlich sehr viel Interessantes gelernt, vor allen Dingen aber auch, wie man einen Menschen durch interessierte Fragen um den Finger wickeln kann.
Wenn man derartige Absichten durchschaut, ist es sinnvoll, sie verständnisvoll anzusprechen. Dabei sollte man sich aber nicht mehr auf dieses Ablenkungsmanöver einlassen, als in der Situation angemessen ist. Jedoch ist es wichtig, sich klarzumachen: Auch die Kontaktfragen haben ihre Berechtigung und gehören ins normale Verhaltensrepertoire. Außerdem gewähren die Fragen aus „Erkenntnissinteresse“ sowie die Fragen aus „Fragelust“ und „Kontaktbedürfnis“ – die man nicht immer sicher auseinander halten kann – wichtige Einblicke in die kognitive und emotionale Verfassung des Kindes. Und diese zu verstehen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben von pädagogischen Fachkräften. ˝
SENCKEL, BARBARA (2004): Wie Kinder sich die Welt erschließen. Persönlichkeitsentwicklung und Bildung im Kindergartenalter. München: Verlag C. H. Beck.
Kontakt und weitere Informationen unter: www.sedip.de
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