Ein Ort der Freiheit
Private Rollen sind verbunden mit emotionaler Nähe, gegenseitigem Vertrauen sowie erlebter und offen gezeigter Freude. Außerdem handelt man selbstbestimmt und kann Rollen nach eigenem Ermessen gestalten. Freundschaft ist eine persönliche, informelle Sozialbeziehung zwischen zwei Menschen, deren Existenz auf Gegenseitigkeit beruht. Zentral für Freundschaften ist die Fähigkeit, für andere und bezogen auf andere zu leben sowie mit anderen Menschen verbunden zu sein und das zu zeigen.
Freundschaften und ihre Konsequenzen
Schauen wir uns an einigen Beispielen an, welche Auswirkungen Freundschaften zwischen Eltern und Fachkräften in der Praxis haben können. Ein Thema dabei: das Siezen und Duzen. Einige Leitungen legen Wert darauf, dass Erzieher:innen und Eltern einander siezen und Fachkräfte entsprechende Angebote höflich, aber entschieden zurückweisen. Sie sehen Siezen als zentrales Merkmal einer professionellen Haltung an und möchten möglichen Loyalitätskonflikten vorbeugen. Leitungen greifen dabei auf eigene oder vermittelte Erfahrungen zurück, wonach freundschaftliche Beziehungen zwischen Erzieher:innen und Eltern dazu führen könnten, wesentliche pädagogische Regeln aufzuweichen und berufliche Absprachen nicht einzuhalten. Hier obliegt es der jeweiligen Fachkraft, die Leitung davon zu überzeugen, dass die berufliche Verantwortung Vorrang hat. Zu einem Konflikt kann es zum Beispiel kommen, wenn eine Erzieherin mit einer Mutter bereits freundschaftlich verbunden ist und denkt, sie müsse ihre Freundin in der Kita siezen, um den geforderten Schein zu wahren und die Beziehung zu verheimlichen. Man sollte sich aber nicht verbiegen und die freundschaftliche Beziehung sowohl gegenüber der Leitung als auch im Team offen ansprechen. Eine gute Leitung wird die bereits bestehende Verbindung respektieren und gemeinsam mit der Erzieherin überlegen, wie man ein professionelles Handeln gewährleistet. Ein Lösungsansatz: Das Kind der befreundeten Mutter wird nicht Teil der Gruppe, in der die Erzieherin arbeitet.
Die Entscheidung könnte auch anders ausfallen. Ein:e Erzieher:in mag sich souverän genug fühlen, um Freundschaft und professionelles Handeln voneinander zu unterscheiden. Hier können Leitung, Gruppenleitung und die betroffene Fachkraft gemeinsam entscheiden, dass die/der Erzieher:in eine Zeit lang ausprobiert, ob diese Einschätzung stimmt und ein professionelles pädagogisches Handeln möglich ist. Reflexionsgespräche können diese Vorgehensweise begleiten und der/dem Erzieher:in helfen, ein eigenes Gespür für die Grenzlinien zwischen professionellem und spontanem Handeln zu entwickeln.
Besteht die Notwendigkeit, dem Kind zu Beginn der Kita-Zeit eine ihm vertraute Person zur Seite zu stellen, könnte diese Rolle eine mit der Mutter oder dem Vater befreundete Fachkraft übernehmen und emotionale Sicherheit bieten. Das setzt allerdings voraus, dass zwischen ihr und dem Kind eine tragfähige Beziehung besteht (auch aus der Sicht des Kindes). Vorsicht ist geboten, wenn zwischen der Mutter oder dem Vater und der befreundeten Fachkraft eine emotionale Verstrickung existiert. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Mutter oder der Vater sich in einer persönlichen Krise befindet und die Fachkraft sie oder ihn darin unterstützt. Hier hat das Kind ein Anrecht, zumindest während seiner Zeit in der Kita, von diesem emotional spürbaren Konflikt in Ruhe gelassen zu werden.
Auch empfiehlt es sich, das Kind einer überängstlichen Elternteils nicht in die Gruppe einer befreundeten Fachkraft zu stecken. Es könnte sein, dass diese unbewusst eine Koalition mit dem befreundeten Elternteil eingeht, das Kind vor vermeintlichen Gefahren schützt und so Entwicklungsschritte untergräbt. Unabhängig von einer möglichen, unbewussten emotionalen Koalition zwischen Fachkraft und Elternteil hat ein Kind das Recht auf eine eigenständige Entwicklung seiner Persönlichkeit. Hierzu gehören unter anderem neue soziale und emotionale Erfahrungen außerhalb der Familie, mit dazugehörigen eigenen Beziehungsdynamiken.
Von der anderen Seite
Der Blick auf die Familie aus der Sicht einer pädagogischen Fachkraft wird anders sein als der einer Freundin oder eines Freundes. Diese wird eventuell einen tieferen Einblick in die Geschichte und Beziehungsdynamik der Familie haben. Das kann das Verständnis für die Familie und das Kind stärken und zu pädagogischen Interventionen führen, die ihm gerechter werden.
Es bliebe aber abzuklären, inwieweit Informationen, die die Erzieherin als Freundin erfahren hat, von dieser in ihrer/ seiner professionellen Rolle verwendet werden dürfen. Das müsste man zuerst mit den Eltern absprechen. Ansonsten besteht die Gefahr eines Loyalitätskonflikts, der die Professionalität beeinträchtigen könnte oder die Freundin oder den Freund kränkt. Hier empfiehlt sich ein offenes Gespräch.
Für eine gelungene Kooperation im Rahmen einer Erziehungspartnerschaft bedarf es aber nicht unbedingt einer persönlichen Freundschaft zu den Eltern. Eine Grundhaltung des gegenseitigen Respekts und ein Einander-gelten- Lassen reichen aus. Ehrliche Freundlichkeit erleichtert den Kontakt zwischen pädagogischer Fachkraft und Eltern und hilft, die eigene Professionalität aufrechtzuerhalten. Dennoch muss man eine sich spontan entwickelnde Freundschaft ob ihrer Konsequenzen gut reflektieren.
Andreas Schulz ist Psychologischer Psychotherapeut und Supervisor.
Literatur
Buer, Ferdinand/Schmidt-Lellek, Christoph (Hrsg.): Life-Coaching. Über Sinn, Glück und Verantwortung in der Arbeit. Vandenhoeck & Ruprecht 2008
Krenz, Armin (Hrsg.): Psychologie für Erzieherinnen und Erzieher. Grundlagen für die Praxis. 2. Auflage. Cornelsen Scriptor 2016
Nussbaum, Martha Craven: Gerechtigkeit oder Das gute Leben. 7. Auflage, Suhrkamp 2012
Schmid, Wilhelm: Vom Glück der Freundschaft. Insel 2014
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