Zum Reflektieren
Wer hat hier welche Aufgabe? Die Gestaltung des Abschieds von ihrem Kind ist die Aufgabe der Mutter, denn es geht um die Beziehung der beiden zueinander. Hier kann die Fachkraft Alternativen aufzeigen oder Empfehlungen geben – mehr wäre übergriffig. Es hilft auch nicht, dieses Verhalten als unsinnig abzuwerten. Es gibt einen – noch verborgenen – Sinn dahinter. Ein Kind, das verzweifelt schreit, macht kein Theater, um dafür belohnt zu werden. Dieses Drama soll aufrütteln und zeigen, dass etwas nicht stimmt. Eine Mutter, die sich unverständlich verhält, hat auch dafür gute Gründe. Da diese bisher nicht erkennbar sind, sollte ein Gespräch erfolgen.
Es lohnt sich, einfühlsam über die Mutter nachzudenken. Sie ist auf der sprachlich-reflexiven Ebene nicht erreichbar gewesen. Könnten unbewusste negative oder ungeklärte Gefühle dieses Verhalten erklären? Trennungsschmerz, Bedeutungsverlust, Minderwertigkeitsgefühle oder Konkurrenz? Auch Eltern müssen diesen Übergang bewältigen. Auf der Suche nach dem Kernpunkt des Problems ist es außerdem nützlich, auf unterschwellige Botschaften zu achten. Kurze Protokollnotizen helfen, später die Situation zu reflektieren. Dabei sind besonders Brüche oder Widersprüche aufschlussreich, in denen etwa Handlung und Aussagen nicht zusammenpassen oder plötzliche Verhaltenswechsel zu erkennen sind.
Auch Begriffe, sogenannte Schlüsselwörter, die immer wieder fallen, können Hinweise sein. Wichtig bei diesen Vorüberlegungen ist, sich bewusst zu sein, dass die Wahrheit noch nicht gefunden wurde. Erst in der Kommunikation kann sich klären, was dahintersteht. Die gedankliche Vorbereitung ermöglicht es, behutsam Themen anzusprechen und darauf einzugehen.
Auf Lösungssuche
Erzieherin Claire sucht sich Hilfe. Im Bücherregal des Teamraums entdeckt sie eine Zeitschrift mit dem Titel „Eltern – wie wir sie ins Boot holen“. Während die Kinder noch schlafen, blättert sie darin. Eine Aussage ist für sie zentral: Um gemeinsam mit Eltern voranzukommen, muss sie sich über die unterschiedlichen Perspektiven Gedanken machen. Claire kann sich vorstellen, dass es für Danas Mutter auch nicht leicht ist. Beherzt spricht sie diese beim Abholen ihrer Tochter an: „Ich würde mich mal gern in Ruhe mit Ihnen austauschen, jetzt, nachdem Dana schon ein paar Wochen bei uns ist. Ich weiß gar nicht, wie Sie das erleben. Ich würde Ihnen auch gern erzählen, was hier jetzt so tagsüber passiert.“ Auf dieses offene Angebot geht Danas Mutter gern ein. Sie scheint sich über die Aufmerksamkeit zu freuen.
Auch das vorbereitete Gespräch leitet Claire ganz offen ein: „Dana ist ja nun schon seit ein paar Wochen bei uns, was hat sich denn verändert?“ Die Mutter erzählt, dass sie zu Beginn glücklich war, dass Dana mit so viel Spaß in die Krippe ging. Zu Hause habe sie auch Rituale, die Dana aus der Kita mitgebracht hat, übernommen, wie etwa den Tischspruch. Aber nun schreie Dana ja jeden Morgen, und ihr sei es auch gerade alles zu viel. Sie sei zwar zur alten Firma zurück, aber in einer neuen Aufgabe und ihr brumme der Kopf. Dabei könne sie sich kaum auf die Arbeit konzentrieren, weil sie dauernd an Dana denke. „Ich weiß ja nicht, ob das nicht zu früh ist, mit noch nicht mal zwei Jahren in die Kita. Aber wir haben das finanziell nicht so dicke, und ich muss ja auch den Anschluss behalten. Zwei Jahre raus, das merk ich ja jetzt schon, das ist nicht so leicht.“ Claire versteht, dass sich Danas Mutter in einer Zwangssituation sieht. Sie hakt nach: „Und Sie haben sich dann trotz Ihrer Zweifel für die Krippe entschieden?“ Die Mutter antwortet: „Ja, wir kennen ja auch andere Kinder, die zum Teil noch jünger sind und in die Krippe gehen. Die haben ja auch keinen Schaden davon. Dana liebt es, mit anderen Kindern zu spielen. Das kann ich ihr zu Hause gar nicht bieten.“ Claire bleibt dran: „Aber Sie selbst vermissen die Zeit mit ihr?“ – „Ja, stimmt. Es ist eigentlich für mich schlimm, nicht für sie!“, sagt Danas Mutter lachend, und Claire stimmt ein. „Es ist gut, wenn Sie das so sehen! Dann sollte Dana wissen, dass Sie ihr von Herzen gönnen, sich bei uns wohlzufühlen!“, bemerkt Claire. „Ich glaube, es ist gut, wenn Sie Dana sagen, dass Ihnen zwar der Wiedereinstieg in die Arbeit schwerfällt, aber dass Sie das schaffen wollen.“
Nach dem Gespräch spürt Claire, dass sich etwas verändert hat: Ihr scheint, jetzt ist wirklich eine Zusammenarbeit mit der Mutter möglich, während sie sie vorher eher als Gegnerin erlebt hat. Auch das Vertrauen der Mutter in die Kita wächst zusehends. Claire erzählt ihr nun immer etwas aus dem Alltag, damit sie an Danas Erlebnissen teilhaben kann. Dana spürt offensichtlich, dass ihre Mama wieder festen Boden unter den Füßen hat. Es gibt für sie keinen Anlass mehr, beim Abschied zu schreien.
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TPS 6/2020: Eltern – wie wir sie ins Boot holen.
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