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Wir alle wissen, dass Kleinkinder noch viel lernen müssen. Bemerken wir aber auch, dass sie manches viel besser als wir Erwachsene können? Letzteres wird mir immer deutlicher, je länger ich mit dieser Altersgruppe arbeite. Ich mache Eurythmie mit Kleinkindern.
EURYTHMIE
Die Eurythmie ist eine anthroposophische Bewegungskunst, die sowohl auf der Bühne als auch in der Pädagogik und der Therapie betrieben wird. Sie versteht sich als eigenständige Kunst, welche u. a. die Gesetzmäßigkeiten von Sprache und Musik über die Bewegung sichtbar macht. Hierzu werden, abhängig von der Situation, vielfältige Gestaltungsmittel eingesetzt: Gesten, Raumformen, Kostüme, farbige Beleuchtung etc. (Nach: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie)
Wie kann man sich Eurythmie im Kindergarten vorstellen? Dazu möchte ich eine konkrete Situation schildern: Die Kinder beenden gerade das Frühstück, als ich mit meinem Korb den Gruppenraum betrete. Einige Kinder, die schon fertig sind, kommen mir erwartungsvoll entgegen, um zu sehen, was ich heute mitgebracht habe. Ich beginne dann in der Mitte eines vorher für die Eurythmie vorbereiteten Bereiches, einige Dinge aufzubauen, die zu meiner kleinen Geschichte der Kindergarteneurythmie passen. Für die Kinder sind diese Dinge etwas ganz Besonderes, „denn man darf sie nur ansehen – nicht anfassen!“. Langsam kommen immer mehr Kinder neugierig dazu, bis die ganze Gruppe im Kreis um die von mir gestaltete Mitte sitzt. Wenn dann alle, mit etwas Hilfe, einen Platz gefunden haben, an dem sie gut mitmachen können, zünde ich eine kleine Kerze an. Alles geschieht in entspannter Atmosphäre, nonverbal. Dabei wird es immer ruhiger und nachdem es einen Moment ganz still geworden ist, stehen wir auf und gehen singend im Kreis. Nach dem Anfangslied beginne ich mit den ersten Eurythmie- Gesten und die Kinder ahmen diese wie selbstverständlich nach, weil sie es schon aus anderen Situationen so gewohnt sind. Einige stehen auch nur und schauen zu. Keiner muss mitmachen. Ich versuche, sie allein durch mein Bewegungsangebot zu motivieren. Haben dann die ersten Übungen das Interesse und das Körpergefühl angeregt, machen in der Regel alle mit.
Begleitend zur Bewegung spreche ich kleine rhythmische und lautmalerische Verse, die in ihrer Folge eine kleine Geschichte ergeben, in der wir „Schlitten fahren“ oder zu Blumen und springenden Pferdchen werden etc. Der Ablauf hat Ähnlichkeit mit einer kleinen Theateraufführung, bei der sich jeder mitbewegen darf. Nach etwa fünf Wochen kommt ein neues „Mitmach-Programm“, das die neue Jahreszeit mit ihren Festen thematisch aufgreift. Unabhängig vom Inhalt enthält jedes Programm nach einem „bewegungsweckenden“ Anfang immer Übungen, die Achtsamkeit und Geschicklichkeit fordern, und danach einen lustigen, recht bewegten Teil. Den Ausklang bilden dann wieder beruhigende Übungen, die den Atem vertiefen, sodass wir genauso ruhig sitzend aufhören, wie wir begonnen haben. Eurythmiekittel unterstützen den Körperausdruck. Ob die Kinder der jeweiligen Einrichtung solche Gewänder anziehen oder ob ich ein besonderes Kleid trage, entscheide ich jeweils gemeinsam mit den Fachkräften.
Die großartigen Fähigkeiten der Kinder erlebe ich, wenn ich sehe, wie empathisch sie mitmachen und wie genau sie Nuancen meiner Gesten nachahmen und dabei intuitiv deren Ausdruck und die damit verbundene Empfindung verstehen. Trotz ihrer äußerlichen Verträumtheit nehmen sie blitzwach kleinste Details wahr und bemerken feine Untertöne in meiner Sprache. Sie erfreuen sich mehr als Erwachsene am Klang der Sprache und verstehen oft mehr durch unsere Gestik und unseren Tonfall, was wir ihnen sagen. Sie erleben Sprache viel sinnlicher, noch nicht getrennt von der körperlichen Geste.
Dadurch können die Kinder unmittelbar nachvollziehen, dass die Eurythmie-Bewegungen primär den Klang der Sprachlaute oder Worte nachvollziehen und sich nur sekundär am gedanklichen Inhalt orientieren. Das Wort klopfen fordert beispielsweise durch das dominante K eine kräftige, harte, konturierte Bewegung. Das M im Wort Murmeln dagegen hat einen viel weicheren, empathischeren Bewegungscharakter. So gebe ich der klopfenden Bewegung also einen K-Charakter und gestalte ein „Murmeln“ aus der M-Gebärde. Die Eurythmie hat für jeden Laut eine charakteristische Gebärde, die sich vielseitig variieren lässt. Außerdem umfasst sie ein umfangreiches System, das alle weiteren prosodischen und sogar grammatikalischen Anteile der Sprache in Bewegungen übersetzt.
Aus diesen eurythmischen Grundgesten, wie z. B. den Lautgebärden, entwickele ich meine kleinen Choreografien, beachte dabei aber immer, wann mein Angebot bei den Kindern Resonanz findet, wann es sie zum Mitmachen motiviert. So hatten sie z. B. das Wort Packpapier, verbunden mit einer dreifachen P-Geste, besonders gern. Sie mussten sogar darüber lachen wie über einen Witz.
Eine kleine Situation mag veranschaulichen, wie diese Resonanz auch aussehen kann: „Was ist das für ein Gemurmel, was ist das für ein Geraune …?“ war eine Zeile aus einem Gedicht über eine Frühlingszwiebel, die in der Erde langsam erwacht und sich fragt, was da draußen wohl schon alles vor sich geht. Die Kinder hockten mit mir dabei auf dem Boden, hörten interessiert zu und ahmten etwas verträumt meine murmelnde M-Bewegung nach. Diese Geste war für sie noch etwas ungewohnt und nicht ganz leicht auszuführen. Vor allem eine Gegenbewegung meiner Hände war dabei eine kleine Herausforderung. Deshalb probierten sie länger herum, um sie genau wie ich zu gestalten. Ich gab ihnen deshalb Zeit und wiederholte die erste kleine Frage ein paarmal.
In diesem Moment konnte ich ganze Fantasiegeschichten in ihren Augen lesen. Jedes Kind schien seine eigene Geschichte zu erleben. Aber bei allen schien sie irgendwie geheimnisvoll zu sein. Viele Kinder kannten das Wort Gemurmel wohl noch nicht. Sie brauchten Zeit, um seine ungewöhnliche Lautmalerei gefühlsmäßig zu ergründen und um langsam zu erahnen, was wohl damit gemeint sein könnte. So blieben sie relativ lange konzentriert bei der Sache. Dabei waren die Gebärden zwar eine Herausforderung, andererseits schienen sie aber auch eine Hilfe zu sein, die neuen Worte erstmals zu verstehen. Solche Momente zeigen mir, dass meine Bewegung sie zu eigener Aktivität anregt. Außerdem merke ich immer wieder, welch sinnliche, künstlerische Erlebnisfähigkeit Kleinkinder für Sprache haben können.
Unser Erziehungsangebot soll den Kindern helfen, ihre Entwicklungsschritte gründlich – und dadurch nachhaltig – zu machen. So möchte ich durch differenzierte und vielfältige Bewegungen des ganzen Körpers, Grob- und Feinmotorik sowie Koordination, Geschicklichkeit und Rhythmusgefühl der Kinder fördern. Als ganzheitliche Methode bezieht die Eurythmie viele Sinne aktiv mit ein, vom Gleichgewichtsund Eigenbewegungssinn bis zum Sehen und Hören. Die Kinder üben außerdem, ihre Aufmerksamkeit gezielt nach außen zu richten und dabei trotzdem gut bei sich zu bleiben, denn die eigene Bewegung vermittelt ihnen gleichzeitig Selbstwahrnehmung – eine Grundkompetenz, die sie in der Schule brauchen – genauso wie die Fähigkeit, sich eigenständig in einen Gesamtzusammenhang einzufügen.
Auf sprachlicher Ebene unterstützt die Eurythmie die Lautdifferenzierung, die ja eine der entscheidenden Voraussetzungen ist, um schreiben zu lernen. Auch kann sie dazu beitragen, den Wortschatz zu erweitern. Vor allem möchte ich aber, dass die Kinder Freude an der Sinnlichkeit der Sprache haben und erleben, dass Sprache Ausdruck des ganzen Körpers ist.
Tille Barkhoff ist freiberufliche Eurythmistin aus Hamburg.
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