- Shop
- Ökotopia
- Akademie
- Klett Kita Welt
- Jobbörse
- Schnäppchenecke
Ein Dozent fragte mich zu Beginn meines Studiums, was Kindheitspädagoginnen und Erzieherinnen unterscheidet. Ich hatte damals keine Antwort. Seit mittlerweile fünfzehn Jahren arbeiten Kindheitspädagoginnen in der Praxis, und die Frage, welche Unterschiede es zwischen ihnen und Erzieherinnen gibt und wie die beiden Berufsgruppen gewinnbringend zusammenarbeiten können, scheint für mich auch heute noch offen. Was sind denn die konkreten Unterschiede zwischen diesen Berufsgruppen? Gibt es überhaupt welche? Und was konnte das für die Zusammenarbeit bedeuten? Sind die Unterschiede eher ein Hindernis oder auch eine Ressource? Wo verstecken sich mögliche Konflikte? Diesen Fragen mochte ich nachspuren, aber – so viel vorweg – eine Antwort muss am Ende jedes Team einer Kita für sich selbst finden. Ich selbst habe keine Erzieherausbildung genossen, sondern ein kindheitspädagogisches Studium absolviert. Daher schreibe ich auch aus der Perspektive eines Kindheitspädagogen.
Ein kurzer Blick zurück lohnt sich, um zu verstehen, warum es Kindheitspädagoginnen überhaupt gibt. Über viele Jahre hinweg wurde das Feld der Frühpädagogik durch den Ausbildungsberuf der Erzieherinnen dominiert. Unter anderem veränderte dann der sogenannte PISA-Schock zu Beginn dieses Jahrhunderts das Ausbildungsgefüge. Auf einmal war die frühe Kindheit im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, und Bildung wurde zu einem neuen und raumgreifenden Schlagwort – und das, obwohl der frühkindliche Bereich in der PISA-Studie überhaupt nicht in den Blick genommen wurde. Es wurden Bildungsplane in den einzelnen Ländern verabschiedet und außerdem Fortbildungen entwickelt – und auch die Ausbildungsstrukturen im Feld der Frühpädagogik wurden weitreichend verändert. Das für eine sehr lange Zeit von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen dominierte Feld wurde nach und nach um eine neue akademische Berufsgruppe erweitert: die Kindheitspädagoginnen.
Die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft verbanden mit der Einführung einer speziellen akademischen Ausbildung in der Frühpädagogik durchaus verschiedene Hoffnungen. Zentrales Anliegen war, so fasst Peter Cloos, Professor der Kindheitspädagogik in Hildesheim, die damalige Diskussion zusammen, die Qualität der frühen Bildung und somit auch die Qualität der pädagogischen Arbeit durch eine akademische Ausbildung zu steigern.
Mit den Kindheitspädagoginnen entsteht ein weiteres Qualifikationsprofil in einem bereits bestehenden Feld. Diese Berufsgruppe wird mit dem Anspruch konfrontiert, die pädagogische Qualität im Feld zu steigern. Zugleich treffen Kindheitspädagoginnen auf eine über viele Jahre von einer anderen Berufsgruppe geführte und nach wie vor auch dominierte Praxis. Mein Eindruck ist, dass die Konsequenzen der vorangetriebenen Akademisierung fur die Praxis nur am Rande bedacht wurden.
Denn in der Praxis gestaltet sich diese Konstellation in der Regel so, dass hinsichtlich Anstellung und Aufgaben kaum unterschieden wird. Beide Berufsgruppen sind als pädagogische Fachkräfte angestellt und haben die gleichen Aufgaben. Dies ist sowohl für die Kindheitspädagoginnen als auch für Erzieherinnen eine schwierige Situation. Aus der Perspektive der Kindheitspädagoginnen ergibt sich hieraus zwangsläufig ein Spannungsfeld. Auf der einen Seite kommt diese Berufsgruppe mit dem Auftrag, die Qualität der pädagogischen Arbeit zu steigern und diese zu professionalisieren – was auch immer das konkret heißen mag. Auf der anderen Seite wird jedoch auf einer ganz praktischen Ebene überhaupt kein Unterschied zwischen einzelnen Berufsgruppen gemacht, und diese neue Berufsgruppe trifft auf bestehende Strukturen, die nur schwer aufzulösen sind. Dass es schwerfallt, die eigene Perspektive unter diesen Umstanden zu entwickeln und an den passenden Stellen einzubringen, ist da nur naheliegend. Ich habe den Eindruck, dass Kindheitspädagoginnen recht schnell lernen, dass ihr Studium in der Praxis nicht sonderlich relevant ist, und mit zunehmender Zeit in der Praxis beginnen, ihre eigene Perspektive hintenanzustellen oder sich sogar frustriert anderen Arbeitsfeldern zuwenden.
Aus dem Blickwinkel der Erzieherinnen sieht die Ausgangslage jedoch anders aus. Die Einführung der kindheitspädagogischen Studiengange hat aus ihrer Perspektive die Konsequenz, dass sie auf eine neue Berufsgruppe treffen, die einen formal höheren Abschluss vorweisen kann und die zugleich beauftragt ist, die pädagogische Arbeit zu verbessern. Es ist nur allzu verständlich, dass dies von teilweise langjährigen Erzieherinnen als Kritik an der eigenen Arbeit gesehen wird: Verbesserung ist logischerweise immer nur dann gefordert, wenn es bislang nicht so gut war. Zugleich erschließt sich für die Berufsgruppe der Erzieherinnen nicht, was im Rahmen des Studiums der Kindheitspädagogik (anderes) gelernt wurde.
So hat die Einführung der akademischen Studiengange eine für beide Seiten eher unbefriedigende Situation entstehen lassen: Allein durch ihre Anwesenheit sind Kindheitspädagoginnen eine Form der Kritik an der bisherigen Arbeit der Erzieherinnen und sie bekommen oftmals wenig Raum, sich mit ihrem akademischen Wissen einzubringen. Die erste Frage, die sich meines Erachtens stellt, ist, ob und inwiefern sich Kindheitspädagoginnen und Erzieherinnen uberhaupt unterscheiden. Das bedeutet nicht, dass diese Unterschiede unbedingt mit einem Besser oder Schlechter einhergehen. Unterschiede an sich verstehe ich als etwas Positives, das gewinnbringend sein kann. Die zweite Frage ist dann eher, wie eine fruchtbare Zusammenarbeit aussehen konnte.
Was die Inhalte der jeweiligen Qualifikationen angeht, gibt es tatsachlich Unterschiede. Peer Pasternack, Direktor des Instituts für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg, hat die inhaltliche Ausrichtung der Studiengänge analysiert und mit der Ausbildung von Erzieherinnen verglichen. Wesentlicher Unterschied, so seine Erkenntnis, ist folgender: Die Ausbildung ist als eine praxisorientierte Breitband-Ausbildung konzipiert, während das Studium für eine wissenschaftlich fundierte Arbeit im Elementarbereich qualifizieren soll.
Konkret heißt dies, dass im Rahmen des Studiums auch forschungsmethodische Schwerpunkte gesetzt werden. Iris Nentwig-Gesemann, Professorin der Frühpädagogik in Bozen, spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „forschenden Habitus“. Das kindheitspädagogische Studium hat ihrer Ansicht nach zum Ziel, die Entwicklung eines forschenden Habitus zu ermöglichen. Gemeint ist hiermit eine reflexive, beobachtende und fragende Haltung, die es erlaubt, die pädagogische Praxis auf eine zusätzliche Weise in den Blick zu nehmen.
Während das kindheitspädagogische Studium die Absolventinnen und Absolventen also primär für das Feld der Frühpädagogik qualifizieren soll, bereitet die Ausbildung zur Erzieherin auch für andere Bereiche vor – zum Beispiel für die Arbeit in der Heim- und Jugenderziehung. Zudem ist die Ausbildung durch die vielen Praktika und das Anerkennungsjahr praxisnaher konzipiert; Absolventinnen dieses Ausbildungsganges haben folglich eine andere Ausgangslage, da sie mit mehr praktischer Erfahrung in ihre Tätigkeit einsteigen, wohingegen Kindheitspädagoginnen zu Beginn ihrer Tätigkeit keine einjährige Berufserfahrung mitbringen. Die ausgebildeten Erzieherinnen sind somit zu Beginn ihrer Berufslaufbahn in der Lage, schnell „praxistauglich“ zu sein. Zudem werden deutlich mehr konkrete Praxismethoden und pädagogische Angebote in die Ausbildung integriert, was für das Bestehen im pädagogischen Alltag ebenfalls hilfreich sein kann. Es gibt also mit Blick auf die Praxisnahe und die Inhalte der Qualifikationen deutliche Unterschiede. Dennoch wird in der Praxis nicht nachweislich zwischen diesen Berufsgruppen unterschieden.
Multiprofessionelle Zusammenarbeit wird in der Regel positiv bewertet, ohne dass dabei klar ist, wie diese in der Praxis aussehen kann und worin tatsachlich Vorteile bestehen konnten. Um gewinnbringend zusammenzuarbeiten, ist es aus meiner Sicht ein wichtiger erster Schritt, dass man den Unterschieden Raum gibt und sie nicht ignoriert. Die Unterschiede in der Ausbildung und der Ausrichtung der Qualifikationen, die es zweifelsohne gibt, sollte man sich als Team zunutze machen.
Kindheitspädagoginnen bringen – wie auch die Erzieherinnen durch ihre Ausbildung – spezifische Ressourcen mit: Dazu zahlt der schon erwähnte forschende Habitus, also eine reflexive, beobachtende und fragende Haltung. Roswitha Staege, Leiterin des kindheitspädagogischen Studiengangs an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, nennt mehrere Möglichkeiten, wie ein forschender Habitus in die Praxis eingebracht werden kann. Methoden der Praxisforschung können so zu einem „Instrument zur Reflexion pädagogischen Handelns werden“, indem problematische Situationen – wie das Anziehen der Kinder für den Außenbereich – fragend erforscht werden. Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es, bestehende Handlungsmuster zu hinterfragen und aufzubrechen sowie gemeinsam im Team alternative Handlungsweisen zu diskutieren und zu erproben. Aber auch den Interessen der Kinder kann nachgespurt werden, wenn Forschungsmethoden genutzt werden, die an die Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder angepasst sind. So ist es kaum zielführend, Krippenkinder zu fragen, welche Unterstützung sie für die Orientierung in den Einrichtungsraumen benötigen. Wenn die Kinder mit passenden Methoden beobachtet werden, wird es aber möglich, Antworten auf die Frage zu finden, wie sich Kinder im Raum orientieren und welche Unterstützung angemessen wäre. Somit bringt eine forschende Haltung einen Mehrwert, der sich in der pädagogischen Praxis als Ressource in schwierigen Situationen nutzen lässt.
Auf der anderen Seite bringen Erzieherinnen gleichermaßen Ressourcen mit, die ebenfalls genutzt werden sollten: Die praxisnahe Ausbildung, die es in den kindheitspädagogischen Studiengängen in dieser Form nicht gibt, erleichtert Erzieherinnen in den Kitas den Einstieg ins Berufsleben. Innerhalb des kindheitspädagogischen Studiums wird meist weniger auf konkrete Spiel-, Bastel- oder Musikangebote für Kinder eingegangen, als dies in der Ausbildung der Fall ist. Die Praxisphasen beschränken sich im Vergleich zu den Ausbildungsstrukturen oftmals auf wenige Wochen oder Monate. Aber auch die Berufserfahrung langjähriger Erzieherinnen kann eine Ressource sein, die Kindheitspädagoginnen aufgrund der doch noch jungen Geschichte ihrer Profession so nicht haben können. Diese Berufserfahrung – sofern sie auch kritisch reflektiert wird – bildet eine gute Grundlage für eine gelingende pädagogische Arbeit und kann bei Kolleginnen, aber auch bei Eltern und Kindern für Sicherheit sorgen.
Beide Berufsgruppen ergänzen sich mit ihren Kenntnissen und Ressourcen gegenseitig. Die Bewertung in ein Besser oder Schlechter fuhrt nicht zum Ziel. Schließlich geht es meiner Ansicht nach nicht darum, dass sich eine Berufsgruppe in irgendeiner Art und Weise profiliert. Vielmehr sollten die Kinder im Vordergrund stehen, wie auch das Ziel, bestmöglich pädagogisch zu arbeiten. Daher wäre es fahrlässig, Fähigkeiten und Ressourcen beider Berufsgruppen ungenutzt zu lassen. Um alle Möglichkeiten optimal auszuschöpfen, sollte das Augenmerk nicht auf die Schwachen der einzelnen Berufsgruppen gelegt werden. Stattdessen sollten die Starken – wie bei den Kindern – auch bei den Erwachsenen im Vordergrund stehen. Das bedeutet nicht, dass Schwachen ignoriert werden sollen. Um sich gegenseitig zu ergänzen, ist es wichtig, den anderen und sich selbst in den jeweiligen Schwachen und Starken zu kennen. Nur so kann gewinnbringend zusammengearbeitet werden.
Keine Frage – die Qualifikation von Kindheitspädagoginnen und Erzieherinnen ist wichtig, aber beide Berufsgruppen sollten nicht darauf reduziert werden. Jeder Mensch ist viel mehr als seine berufliche Qualifikation. Persönlichkeitsmerkmale, die eine Person auszeichnen und für die pädagogische Arbeit wichtig sein können, kommen immer hinzu. Was in ein Team eingebracht werden kann und darf, muss jede Einrichtung für sich entscheiden. Eine ergänzende und ressourcenorientierte Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Kindheitspädagoginnen ist auf jeden Fall eine gute Basis.
CLOOS, PETER; GÖBEL, ANIKA; LEMKE, ILKA (2015): Frühpädagogische Reflexivität und Fallarbeit. Reflexive Praktiken der Inferenzbearbeitung in Teamgesprächen. Weinheim: Beltz Juventa Verlag.
NENTWIG-GESEMANN, IRIS (2013): Professionelle Reflexivität. Herausforderungen an die Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
PASTERNACK, PEER (2015): Die Teilakademisierung der Frühpädagogik. Eine Zehnjahresbeobachtung. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt.
STAEGE, ROSWITHA (2018): Praxisforschung in der Kindheitspädagogik-Ausbildung. Kita aktuell.
Ihnen hat dieser Beitrag zum Thema "Es lebe der Unterschied" gefallen? Weitere Tipps, Wissenswertes und Ideen finden Sie in unserer Fachzeitschrift TPS. Hier bestellen!