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Welches Geräusch war das? Was ist das für ein Gegenstand? Wie fühlt er sich an? Ein Kita-Tag ist voller Reize und vieles ist für ein Kind zunächst ungewohnt, undurchschaubar und erklärungsbedürftig. Es muss sich sein Selbst- und Weltverständnis erst erarbeiten. In der Gemeinschaft lernt es, Regeln zu beachten, eigene Bedürfnisse zurückzustellen und Konflikte auszutragen. Das sind große Herausforderungen, die viel Energie benötigen und Anspannung sowie Stress bedeuten.
Kinder sollten deshalb über den Tag verteilt immer wieder Möglichkeiten haben, sich zu entspannen und zur Ruhe zu kommen. Dadurch gelingt es ihnen besser, zu verarbeiten, was sie erlebt und erfahren haben. Und anschließend haben sie wieder Energie und Freude, Neues zu entdecken. Denn der menschliche Organismus benötigt beides: Phasen der Anspannung und solche der Entspannung.
Im vegetativen Nervensystem, das unsere Organe ganz ohne unser bewusstes Zutun steuert, ist der sogenannte Sympathikus, das sympathische Nervensystem, für die Phasen der Anspannung zuständig. Er sorgt dafür, dass sich Atmung und Herzschlag beschleunigen, die Pupillen erweitern und die Darmtätigkeit langsamer wird. In den Entspannungsphasen übernimmt der Parasympathikus, also das parasympathische Nervensystem. Atmung und Herztätigkeit verlangsamen sich, die Pupillen werden mit der Zeit enger und die Darmbewegungen nehmen zu. In unserer Gesellschaft gewinnt bei vielen Menschen der Sympathikus leicht die Oberhand. Stress und Sorgen feuern ihn unentwegt an. Das natürliche Wechselspiel der Systeme gerät aus der Balance. Daher ist es uns in unseren Element-i Kinderhäusern besonders wichtig, Kindern das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben, damit sie bewusst individuelle Entspannungsphasen herbeiführen und nach den eigenen Bedürfnissen gestalten können. Sie lernen sich idealerweise so gut kennen, dass sie genau spüren, wann und wie sie sich aus Situationen mit zu viel Trubel herausziehen und wann sie sich wieder aktiv ins Geschehen einbringen.
Wenn Kinder müde sind und ihnen alles zu viel wird, liegt es nahe, sie schlafen zu legen. Ein bis zwei Schlafphasen sind für die jüngeren Kinder daher fester Bestandteil des Tagesablaufs. Rituale wie gemeinsames Umziehen, der Gang in den Schlafraum, passende Musik oder Lieder gehören zum Ritual, das die Schlafenszeit einleitet.
Mit zunehmendem Alter nimmt das Schlafbedürfnis jedoch ab. Die Kinder schlafen in der Kita nicht mehr gut ein. Sie trotzdem zu einer Schlafpause zu zwingen ist kontraproduktiv. Das wäre für sie eine emotionale Belastungsprobe und erheblicher Stress. Die Pädagoginnen und Pädagogen in den Element-i Kinderhäusern begleiten daher den Übergang in den Schlaf und bieten Kindern, die nicht einschlafen können, an, den Schlafraum wieder zu verlassen. Sie machen ihnen alternative Angebote für eine Ruhepause.
Die Fachkräfte spüren in der Regel, wenn die bisherige Schlafroutine für ein Kind grundsätzlich nicht mehr passt. Dann führen sie ein Gespräch mit den Eltern und besprechen gemeinsam, wie sie den Übergang gut gestalten können. Oft nehmen Kinder zunächst noch am Ritual vor der Schlafenszeit teil. Für sie beginnt dann jedoch eine Ruhe- anstatt einer Schlafphase. Vielleicht spielt auch das gewohnte Schmusetier eine wichtige Rolle, um Geborgenheit beim Übergang zu vermitteln.
Nach dem Mittagessen gibt es eine Phase mit ruhigeren Aktivitäten für alle Kinder, die keinen Mittagsschlaf mehr machen. Wir gestalten die Phase, indem wir Entspannungsgeschichten vorlesen, Massageübungen durchführen, Fantasiereisen und Kindermeditationen machen oder ruhige, sinnliche Aktivitäten anbieten, bei denen die Kinder eher bei sich sind.
Die Kinder erleben dabei auch, wie unterschiedlich die Fachkräfte mit dem Thema Entspannung umgehen und welche Methoden sie selbst nutzen, um runterzukommen. Während die eine Person Musik als entspannend empfindet, übt die andere eventuell progressive Muskelentspannung, meditiert oder geht raus in die Natur. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Fachkräfte den Kindern nur das wirklich gut vermitteln können, was sie kennen, was ihnen nahesteht und wovon sie überzeugt sind. Dadurch können die Kinder sich an unterschiedlichen Vorbildern orientieren und sehen, dass sie selbst ebenfalls die Wahl haben, wie sie ihre Ruhephasen gestalten.
Im Tagesablauf ist es wichtig, dass die Fachkräfte Zeichen von übermäßiger Anspannung erkennen und Rückzugsmöglichkeiten anbieten. Es gibt viele Signale, die darauf hindeuten können, dass Kinder eine Auszeit benötigen: Sie sind unruhig, quengelig und unausgeglichen. Sie haben keine Lust mehr zu spielen, ihre Frustrationstoleranz nimmt ab, Aggressivität und Konflikte nehmen zu, die Kinder stürzen leichter. Bei manchen Kindern zeigen sich Stress und Überforderung auch eher subtil. In einem unserer Häuser gab es ein Kind, dass sich dann immer in die Haare griff. Manche fassen sich auch an die Nase oder ans Ohr. Solche Zeichen sind im Alltag etwas schwieriger zu entdecken und zu deuten.
Jungen Kindern gelingt es oft noch nicht, ihre Empfindungen einzuordnen, wenn sie sich überreizt und müde fühlen. Daher ist es wichtig, dass die Fachkräfte sie spiegeln und verbalisieren, was sie wahrnehmen. „Kann es sein, dass du dich müde fühlst?“, könnte eine Frage lauten. Außerdem bieten unsere Fachkräfte mögliche Lösungen an: „Möchtest du auf meinen Schoß? Sollen wir uns hier eine kleine Kuschelecke machen? Oder magst du in den Schlafraum gehen?“ So lernen die Kinder nach und nach, wie sich Müdigkeit anfühlt und welche Möglichkeiten sie haben, sich dann eine Pause zu verschaffen. Die Kinder erwerben Selbstfürsorgekompetenz.
Mit zunehmendem Alter beginnen die Kinder für sich selbst zu sorgen und sich zurückzuziehen, wenn sie eine Entspannungsphase benötigen. In unseren Kinderhäusern stehen ihnen dafür Schlafhöhlen oder Matratzen zur Verfügung. Wir machen jedoch die Erfahrung, dass sich Kinder oft ganz eigene Rückzugsorte aussuchen, auf die Erwachsene nicht so ohne Weiteres gekommen wären. Wir ermutigen sie dazu, indem wir etwa Körbe mit vielen Decken zur Verfügung stellen. Dort kann sich jedes Kind eine Decke holen und damit den eigenen Lieblingsplatz aufsuchen. Wer so eine Routine etablieren möchte, sollte bedenken, dass sie eventuell einen längeren Vorlauf benötigt: Die Kinder müssen erkennen, wann sie müde sind, wissen, welche Möglichkeiten sie dann haben und wo die Materialien wie Decken, Kissen oder Kuscheltiere verfügbar sind.
Als Rückzugsort ist bei unseren Kindern die Garderobe sehr beliebt. Vielleicht liegt es daran, dass die dort hängende Kleidung nach zu Hause riecht. In vielen der Element-i Kinderhäuser grenzt dieser Bereich zudem an den zentralen Marktplatz und bietet daher einen guten Beobachtungsposten. Denn manchen Kindern ist es wichtig, auch in Entspannungsphasen nah am Geschehen zu bleiben und nichts zu verpassen. Bezugspersonen zu sehen, Blickkontakte zu haben und vertraute Stimmen zu hören, gibt Sicherheit und wirkt daher für viele beruhigend. Kinder suchen also vielfach einen Ort oder ein Versteck, von dem aus sie die anderen sehen und hören können, ohne selbst im Fokus zu stehen oder aktiv am Geschehen teilzunehmen. Die Pädagogin Dörte Weltzien schlägt vor, dafür an strategischen Stellen gut gesicherte Hochebenen als Rückzugs- und Aussichtspunkte zu schaffen. Solche Plätze kämen Kindern zugute, die hin- und hergerissen seien zwischen dem Drang mitzumachen und dem Bedürfnis nach einer kleinen Erholungspause.
Kinder finden Orte, an denen sie zwar im Geschehen, aber doch für sich sind, an sehr unterschiedlichen Stellen. In einem unserer Häuser legte sich ein Kind bevorzugt auf einen kleinen Teppich im Bad. Dort gab es eine Fußbodenheizung, und es war von unten angenehm warm. Ein anderes Kind suchte sich seinen Platz in einem Regalfach. Das Gefühl der Begrenzung, welches das Regal bietet, unterstützt die persönliche Körperwahrnehmung und vermittelt so ein Gefühl von Sicherheit, von Nicht-verloren-Sein. Es erinnert an die Enge im Mutterleib und das Gehalten-Sein dort. In einer Kita haben wir daher bewusst einen engen Platz unter der Treppe mit Kissen ausgestattet, mit einem Vorhang abgetrennt und so einen kleinen Rückzugsraum geschaffen.
Manche Kinder suchen sich jedoch auch Pausenorte, die weniger geeignet sind. Manchmal legen sich Kinder einfach unter einen Tisch. Dort besteht die Gefahr, dass sie unabsichtlich von Personen getreten werden, die dort spielen oder sitzen. In diesem Fall würden unsere Fachkräfte das Kind trotzdem dort liegen lassen und mit den spielenden Kindern besprechen, dass es wichtig ist, darauf Rücksicht zu nehmen. Anders verhält es sich, wenn sich ein Kind am Fuße eines Klettergerüstes ausruht und die Gefahr besteht, dass ein turnendes Kind von oben herabspringt. Dann sollte die zuständige Fachkraft eingreifen und zusammen mit dem Kind einen anderen Rückzugsort suchen. Im Außengelände könnte das ein Gebüsch sein. Solche Stellen sind nicht nur begehrte Spielorte, sondern auch beliebte Entspannungsplätze.
Rückzug und Entspannung haben viele Formen: Nicht immer bedeutet es, nichts zu tun oder gar ein Nickerchen zu halten. Viele Kinder – und Erwachsene – haben die Gabe, sich auf etwas ganz einzulassen und dabei alles um sich herum zu vergessen und auszublenden. Oft sind es die sinnlichen Beschäftigungen, welche diesen mühelosen, entspannenden Flow-Zustand hervorrufen: Ein Kind beobachtet ganz versunken einen Marienkäfer im Gras, ein anderes beschmiert gedankenverloren seine Arme und Beine mit Rasierschaum, ein drittes lässt sich genussvoll glatte Bohnen durch die Finger gleiten und geht völlig in diesem Erlebnis auf.
Pädagogische Fachkräfte können sich das zunutze machen, wenn sie merken, dass Kindern eine Entspannungspause guttun würde. Viele Aktivitäten lassen sich entweder ruhig und besinnlich durchführen oder energiegeladen und aktionsreich. Wer Entspannung fördern möchte, leitet etwa eine Aktion mit Rasierschaum langsam und mit leiser Stimme an und lässt die Kinder dann möglichst ungestört experimentieren. Auch Entspannungsmusik oder das leise Singen entsprechender Lieder können eine kontemplative Atmosphäre fördern und es mehr Kindern erlauben, in einen selbstvergessenen Zustand einzutauchen.
Denn nicht für alle Kinder ist das leicht. Manche haben ihre Antennen immer auf Empfang gestellt. Für sie ist es sehr schwierig, störende Umgebungsbedingungen auszublenden. Sie sind auf die Unterstützung eines ruhigen Umfeldes angewiesen, um selbst zur Ruhe zu finden. Ist ein Kind dauerangespannt, könnte das daran liegen, dass ihm aktuell das nötige Sicherheitsgefühl in der Kita fehlt. Denn Geborgenheit, Sicherheit und Vertrauen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Kinder zur Ruhe finden und nicht das Gefühl haben, immer auf der Hut sein zu müssen. Sind Kinder im Dauerstress, könnte es hilfreich sein, auf Spurensuche zu gehen: Gab es in der Kita einen Vorfall, der das durch eine gute Eingewöhnung aufgebaute Gefühl der Geborgenheit erschüttert hat? Ist ein Freund weggezogen? Hat eine für das Kind besonders wichtige Fachkraft die Einrichtung v erlassen? Oder erlebt das Kind zu Hause gerade eine stressige Phase, etwa, weil ein Geschwisterkind geboren wurde oder die Eltern sich getrennt haben? Eine engere Begleitung durch eine Fachkraft und mehr körperliche Nähe können dazu beitragen, dass das Kind sein Sicherheitsgefühl wiedergewinnen kann.
In der Kita haben wir die Chance, Kindern ein gutes Rüstzeug mitzugeben, damit sie in der Lage sind, körperliche Signale wie Müdigkeit oder Anspannung richtig zu interpretieren, zu wissen, was ihnen in solchen Situationen guttut und dies auch zu sagen. Kinder lernen das nach und nach, indem wir ihre Empfindungen in Worte fassen und ihnen unterschiedliche Möglichkeiten zeigen, wie sie reagieren können.
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