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In der pädagogischen Praxis ist der Begriff der Eingewöhnung etabliert, jede:r weiß, um welche Phase es sich handelt und dass sich traditionell die Gestaltung des Übergangs von der Familie in die Krippe bzw. von der Krippe in die Kita dahinter verbirgt. Aus fachlicher Sicht wäre eine Aktualisierung des Begriff es dringend notwendig, da Eingewöhnung impliziert, Kinder an die Institution und seine Kultur zu gewöhnen. Das ist ein großer Widerspruch, wenn das Bild vom Kind das eines aktiven und kompetenten Kindes ist, das im Prozess partizipiert und an Entscheidungen aktiv beteiligt ist.
Eingewöhnung umfasst vielmehr den aktiven Bewältigungsprozess des Kindes, entsprechend seinen Bedürfnissen und Interessen Beziehungen zu Fachkräften, Kindern und der Einrichtung aufzubauen, um auf einer stabilen, sicherheitsgebenden Basis zu explorieren und sich zu einer „selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (SGB VIII § 22) zu entwickeln. Die Aufgabe der Fachkräfte ist es, diesen Prozess professionell zu begleiten und dessen Bewältigung sicherzustellen.
Kitas orientieren sich bei der Umsetzung der Eingewöhnung an Modellen und theoretischen Grundlagen, die für alle Pädagog:innen wegweisend und handlungsleitend sein sollten. Am weitesten verbreitet und am besten bekannt sind sicherlich das Berliner (Laewen, Andres, & Hédervári, 2007) und das Münchener Modell (Winner & Erndt-Doll, 2009).
Die Verschriftlichung und modellhafte Darstellung in der Konzeption und im Qualitätshandbuch sind wichtig, um das geplante Vorgehen für alle Beteiligten transparent zu machen. Ein Modell als solches bietet der Praxis ein Geländer, an dem man sich festhalten kann, um mit dem Träger, im Team und in der Zusammenarbeit mit Familien Sicherheit und Orientierung hinsichtlich des Verlaufs geben zu können. Berufsunerfahrenen und/oder fachlich weniger souveränen Fachkräften hilft ein solches Geländer, um wichtige Handlungsschritte zu kennen und begründen zu können. Fachkräfte mit mehr Erfahrung und gesicherter fachlicher Expertise entscheiden situativ, wann sie das Geländer loslassen und anstehende Schritte im Eingewöhnungsprozess mit Blick auf die Kinder und deren Bedürfnisse planen.
Die Schritte des Tübinger Modells der Eingewöhnung in der Peer basieren tendenziell auf denen des Berliner Modells – erweitert durch die Bedeutung von Peer-Beziehungen und Peer-Interaktionen. Das Berliner Modell berücksichtigt ausschließlich das trianguläre Verhältnis von familialer Bezugsperson, pädagogischer Fachkraft und Kind – streng genommen sogar in den ersten Tagen isoliert von anderen Kindern. Doch entspricht diese Vorgehensweise nicht den aktuellen Erkenntnissen über Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern.
Die Eingewöhnung in der Peer sieht die Gestaltung des Übergangs im Kontext eines aktiven und partizipierenden, kompetenten Kindes. Es sind nicht die Erwachsenen, die dafür sorgen müssen, dass das vermeintlich hilflose Kind sich sicher fühlt und eine Beziehung aufbaut, sondern das Kind selbst entscheidet, zu wem, in welchem Tempo und mit welcher Intensität es zu den beteiligten Personen – Kindern wie Erwachsenen – eine Beziehung aufbauen möchte.
Das Ziel eines reflektierten Eingewöhnungskonzeptes ist, den Kindern und ihren Familien in der Eingewöhnungsphase den Rahmen zu bieten, dass diese über den gesicherten Beziehungsaufbau mit Peers und Fachkräften mit der Kindertageseinrichtung vertraut werden, Entwicklungsaufgaben bewältigen und Bildungs- und Entwicklungsprozesse bearbeiten können.
Kinder sind kompetent und motiviert, die Bewältigung des Übergangs von der Familie in die Krippe oder auch von der Krippe in die Kita aktiv im Austausch mit anderen Kindern mitzugestalten. Die anderen Kinder, die Peers, sind von größter Bedeutung für einen gelingenden Übergang.
Aufgabe der Pädagog:innen ist es, diesen Übergang zu moderieren, zu begleiten und zu unterstützen. Durch die Anwesenheit mehrerer neuer Kinder und mindestens zwei Eingewöhnungsfachkräften profitieren die Kinder von geteilten, gemeinsam konstruierten Bildungsprozessen mit Gleichaltrigen und können selbst entscheiden, zu wem sie eine Beziehung aufbauen möchten.
Die Peer startet in einem separaten Raum, um zu gewährleisten, dass die Kinder sich alle in der gleichen Ausgangssituation befinden und wenig Macht- bzw. Kompetenzunterschiede bestehen. Peers können in dieser geschützten kleinen Gruppe auf einem symmetrischen Niveau (Schneider/ Wüstenberg 2014) interagieren und ihre emotionalen wie auch kognitiven Bildungsinteressen und -aufgaben, wie z. B. die Bewältigung des Übergangs.
Hier distanziert sich die Eingewöhnung in der Peer z. B. vom Münchener Eingewöhnungsmodell, das von Beginn an auf Kita-erfahrene Kinder im Sinne von Expert:innen zur Unterstützung setzt und diese als Eingewöhnungshelfer: innen sieht. In der ebenbürtigen Peer befinden sich alle Kinder in der gleichen Situation, somit liegt der Fokus auf der gemeinsamen Bearbeitung und Bewältigung des Übergangs. Der nach wie vor entscheidende individuelle Blick der Fachkräfte auf jedes einzelne Kind gewährleistet die Partizipation und aktive Mitentscheidung bei wichtigen, den weiteren Verlauf der Eingewöhnung betreffenden Schritten (Fink 2022).
… unter Beachtung der frühen Bindungen des Kindes an seine Familie.
… mit der Kenntnis verschiedener Strategien und Konzepte der Stress- und Überforderungsvermeidung.
… durch die gemeinsame Bewältigung von Entwicklungsaufgaben innerhalb der Peer.
… durch die Unterstützung und Begleitung von Peer-Interaktionen und -beziehungen.
… durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten – Kinder, Bezugspersonen, Fachkräfte.
Das Verhalten der pädagogischen Fachkräfte und deren professionelle Handlungskompetenz sind entscheidend, ob es den Kindern gelingt, zu den Eingewöhnungsfachkräften und den Peers eine sichere Beziehung aufzubauen. Sie sind es, die die Signale und Bedürfnisse der Kinder beobachten, analysieren und interpretieren, um das weitere Vorgehen zu moderieren und jedes einzelne Kind, aber auch die Peergroup und die Interaktionen zwischen den Peers zu begleiten und zu unterstützen.
Bei der Eingewöhnung in der Peer können die individuelle Persönlichkeit und der Charakter ausschlaggebend dafür sein, wie Kinder auf die neue Situation und die neue Umgebung reagieren, welche Reaktionen sie bei Peers hervorrufen und welche (Peer-)Beziehungen sie eingehen. Unter Umständen suchen sie sich gezielt ein Umfeld oder Personen, die ihrem eigenen Temperament entsprechen, und gehen hier Beziehungen ein (Zentner, 2000). Auch die Feinfühligkeit der Eltern bzw. der Familie hat großen Einfluss auf die Bindungsqualität (Becker-Stoll, 2014). Kinder brauchen von Geburt an verlässliche Bezugspersonen, die feinfühlig und responsiv auf ihre Bedürfnisse reagieren. Der Aufbau tragfähiger Beziehungen geschieht über die Wahrnehmung und richtige Interpretation der kindlichen Signale und eine zeitnahe und angemessene Reaktion.
Die Gefühle der Bezugspersonen in der Eingewöhnungssituation beeinflussen das Kind und die Peer. Wenn sie auf diese Phase gut vorbereitet sind und Vertrauen in das Konzept und die Fachkräfte entwickeln konnten, wird sich dies positiv auf die Bewältigung der Eingewöhnung beim Kind auswirken – haben die Erwachsenen Sorgen und Ängste, sind sie angespannt, gestresst und/oder kritisch, kann sich das auf das Verhalten der Kinder übertragen.
Eine qualitativ hochwertige Kindertageseinrichtung unterstützt die Eingewöhnung der Kinder durch ein fachlich fundiertes Eingewöhnungskonzept und hochqualifi zierte, verlässliche und feinfühlige Fachkräfte, die sie professionell und konstant begleiten. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Familien und die kind- und ressourcenorientierte Unterstützung von Bildungs- und Entwicklungsprozessen werden durch eine geeignete Raum- und Materialausstattung ergänzt.
Kinder brauchen nicht nur befriedigende Beziehungen zu Erwachsenen, um in einer Kita anzukommen – nahezu alle Kinder interessieren sich mehr für ihresgleichen als für die neuen Erwachsenen. Die Kinder unterstützen sich gegenseitig, sind empathisch und bearbeiten die Entwicklungsaufgabe Übergangsbewältigung ko-konstruktiv: jedes Kind bringt sich selbst ein, um sich zugehörig zu fühlen.
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