Welche Themen bewegen Sie aktuell als Verband in Rheinland-Pfalz?
Claudia Theobald: Die Gewerkschaft GEW hat gerade das Kita-Gesetz für gescheitert erklärt. Das umstrittene Gesetz hatte zwar 1400 neue Fachkräfte-Stellen geschaffen, aber diese Stellen existierten nur auf dem Papier. Zusätzlich hat man den Betreuungsumfang erweitert. Fehlendes Personal und längere Betreuungszeiten – das kann nicht funktionieren. Bei uns im Verband häufen sich jetzt die Anfragen für Statements und Interviews. Das ist toll und wir merken, wie unsere Arbeit Früchte trägt und Politik und Gesellschaft uns als Erzieher hören will. Gleichzeitig ist es anstrengend, allem gerecht zu werden. Wir arbeiten im Verband ehrenamtlich, das heißt, wir erledigen die anfallende Arbeit nach Feierabend.
Spielt die Pandemie bei Ihrer Verbandsarbeit momentan eine Rolle?
Unser Verband wäre ohne die Pandemie sicher nicht so geworden, wie er jetzt ist. Es hat zwar vorher schon gebrodelt, die Probleme, die wir in unserem Berufsfeld hatten, wurden aber durch die Pandemie vergrößert. Sie war wie ein Brandbeschleuniger. Auch im positiven Sinn: Wir haben der Pandemie die Technik zu verdanken. Das große Angebot an Videokonferenz-Software hat uns näher zusammengebracht, wir konnten uns einfacher intern vernetzen und digital mit Politikern in Kontakt treten. Für uns als Ehrenamtliche wäre es zeitlich und finanziell nicht möglich, jede Woche nach Mainz zu fahren, um uns dort mit den Bundesministern persönlich zu treffen. Die Digitalisierung der Kommunikationswege – die mit der Pandemie kam – ist für uns ein Segen.
Wie sah die interne Vernetzung aus?
Ich bin schon vor zweieinhalb Jahren wegen des neuen Kita-Gesetzes auf Demos und an die Öffentlichkeit gegangen. Als das sehr umstrittene Gesetz dann verabschiedet wurde, habe ich mir nur gedacht: Das kann es doch nicht sein! Das Gesetz treibt uns Fachkräfte in noch größere Verzweiflung: Die Rahmenbedingungen sind schon schlecht, es fehlen Fachkräfte. Jetzt schreibt man 1400 Stellen aus, für die es keine Fachkräfte auf dem Markt gibt und erweitert den Betreuungsumfang. Daraufhin habe ich mich in einer Gruppe auf Facebook mit anderen ausgetauscht, dort haben wir uns im kleinen Kreis zum ersten Mal digital vernetzt.
Sie haben also nicht ans Aufgeben gedacht?
Nein. Auf Facebook haben wir gemeinsam überlegt, was wir tun könnten. Eine Kollegin meinte, dass die Lehrer ihre Lobby und ihre Verbände hätten, so wie viele andere Berufsgruppen auch. Nur wir Erzieher hätten das nicht. Und woher sollen die Leute wissen, wie es uns geht, wenn wir kein Sprachrohr haben? Ich habe dann in die Runde gefragt: „Warum gründen wir nicht einen Verband?“ Immer mehr Erzieherinnen haben sich auf die Frage gemeldet, wollten mitmachen. Aus der anfänglichen Facebook-Gruppe hat sich später der Vorstand des Verbandes gebildet.
Wie ging es weiter?
Wir haben uns erst informiert, wie man überhaupt einen Verband gründet, haben uns im Internet Vereinssatzungen durchgelesen und mussten Ziele und Forderungen definieren. Wir waren alle mehr oder weniger Laien auf dem Gebiet.
Wie haben Sie die Recherche neben Ihrer Arbeit in der Kita geschafft?
Das Ganze ist während des ersten Lockdowns passiert. Wir haben zwar gearbeitet, privat sollten wir aber – wie alle – zuhause bleiben und Kontakte reduzieren. Die Zeit nutzen wir, um uns zu informieren, die Webseite zu planen, Werbung zu machen. Wir mussten auch über die Finanzierung nachdenken und als die Bank uns keinen Kredit geben wollte, haben wir privat Geld vorgestreckt. An Urlaub war 2020 eh nicht zu denken, das private Urlaubsgeld war im Verband gut angelegt. Die Pandemie hat die Verbandsgründung also auf verschiedenen Wegen beschleunigt. Im August 2020 konnten wir den Verband offiziell gründen. Und kaum waren wir gegründet, ging es in den anderen Bundesländern los.
Hat das auch mit der Pandemie zu tun?
Durch die Corona-Politik haben wir in allen Bundesländern gesehen, dass die Kitas nicht auf dem Schirm der Politiker waren. Wir fühlten uns vergessen, zum Beispiel bei den Schutzmaßnahmen – die Debatte um die Testpflicht in Kitas geht ja immer noch weiter. In dem Moment, in dem Erzieher immer mehr gefrustet sind, wollen sie sich engagieren. Und der Frust war und ist in der Pandemie sehr hoch. Sicherlich hätten wir uns auch ohne die Pandemie zu Wort gemeldet – wir können nicht noch jahrelang unter den aktuellen Rahmenbedingungen arbeiten. Aber ohne Corona hätte alles sicher länger gedauert.
Der Fachkräftemangel ist auch in RLP ein großes Thema und Grund, weshalb Sie als Verband die Rahmenbedingungen ändern möchten. Wie soll das genau aussehen?
Das zentrale Problem ist die Fachkraft-Kind-Relation. In der Frühpädagogik hängt die Qualität vom Personalschlüssel ab. Wenn ich ein Kind gut betreuen, mich ihm zuwenden, gemeinsam Projekte entwickeln möchte – also vernünftige, gute Pädagogik– brauche ich genügend Personal. Wissenschaftlich haben wir das schon lange erkannt. Nur in der Realität können wir es nicht umsetzen. Deshalb sagen heute auch viele ältere Kollegen: „Ich liebe meine Kita und meinen Beruf, aber ich möchte so früh wie möglich in Rente gehen.“ Oder sie wechseln den Beruf.
Hat sich die Berufsflucht in der Pandemie zugespitzt?
Es hat in den letzten fünf bis zehn Jahren angefangen und steigt immer mehr. Ich denke, auch hier kommt der Corona-Beschleuniger und Regelungen wie das neue Kita Gesetz dazu. Leitungen, die das Handtuch werfen, tun das wegen dem neuen Gesetz.
Ältere Fachkräfte gehen, der Markt ist leer. Haben junge Menschen unter den aktuellen Rahmenbedingungen überhaupt noch Lust, Erzieherin zu werden?
Das Ministerium meint, dass immer noch überdurchschnittlich viele junge Menschen nach dem Schulabschluss den Berufsweg Erzieher einschlagen. In der Praxis bemerke ich etwas anderes: Vor vielen Jahren hatten wir noch Schulpraktikanten in der Kita, die haben nach 14 Tagen Praktikum mit leuchtenden Augen gesagt: „Ja, das will ich später mal machen!“. In den letzten Jahren habe ich öfter gehört: „Das war eine interessante Erfahrung, jetzt weiß ich, was ich nicht machen möchte.“ Das ist ein schlechtes Zeichen.
Wofür plädieren Sie als Verband?
Als erstes und schnellstes brauchen wir eine Reform der Erzieher-Ausbildung. Sie muss von Anfang an vergütet sein. Es gibt Interessenten, die aber davor abschrecken, vier Jahre in der Schule zu sitzen und kein Geld zu verdienen. Außerdem wollen wir, dass die Auszubildenden früh in die Praxis integriert werden. Wenn sie von Anfang an in den pädagogischen Alltag eingebunden sind, gibt es keinen späten Praxisschock, sondern sie wissen, was sie erwartet. Bei Quereinsteigern, wie sie unser Ministerium vorschlägt, sind wir aber vorsichtig. Außerhalb des Personalschlüssels, etwa ein Schreiner für Holzprojekte – ist prinzipiell ein guter Ansatz. Unser Grundsatz im Verband bei allem ist aber: Denkt an die Kinder und hört auf, sie unter prekären Bedingungen zu betreuen.
Claudia Theobald ist 1. Vorsitzende des Kita Fachkräfte Verbands in Rheinland-Pfalz. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie als Erzieherin und ist heute Qualitätsbeauftragte in einer Kita in Haßloch.
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