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Wir haben November, 5 Grad Celsius und Nieselregen. Der wöchentliche Waldtag in der Kita findet erneut ohne Alina, Calvin und Jasmin statt. Ihre Eltern haben sie zu spät gebracht, schlecht gekleidet oder nicht motivieren können, die morgendliche Unlust zu überwinden. Wenn die drei indessen am Waldtag teilnehmen, ist ihre Entdeckungs- und Bewegungslust immer im Nu geweckt.
Dieses Beispiel aus einem Projekt, das die Bildungspotenziale natürlicher Räume für sozial benachteiligte Kinder untersucht hat, zeigt zunächst, dass das Rausgehen in die Natur nicht immer leichtfällt und gelingt. Es gibt Unlustschwellen, Natur kann widerständig und auch langweilig sein. Dies betrifft gerade solche Kinder, deren Erfahrungen sich verstärkt an attraktivem Spielzeug und aufregenden Bildschirmen bilden, deren Sinne von der Schnelligkeit und dem Eventcharakter der zahllosen Kindermedien getaktet sind. Sie benötigen Türöffner, damit mögliche Anregungen nicht verborgen bleiben. Die Eltern spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Nachhaltigkeit von Naturerfahrungen hängt stark von der familiären Anerkennung und Anteilnahme ab.
In Waldkindergärten tritt die obige Situation wohl eher selten auf. Sie sind oftmals auf elterliche Initiative hin gegründet worden und können deshalb mit einer hohen Identifikation der Eltern mit dem Draußensein und mit allem, was dafür zu tun ist, rechnen. Überzeugten Waldkinder-Eltern fällt es eher leicht, ihre Kinder zu motivieren, wenn sie mal weniger Lust haben, den Rucksack zu schultern und die Matschhose überzuziehen.
In herkömmlichen Regelkindergärten ist die Lage etwas anders. Hier gibt es auf Elternseite – und auch aufseiten der pädagogischen Fachkräfte – alle möglichen Facetten der Naturbezogenheit. Die einen werden von Naturräumen angezogen, andere stehen ihnen gleichgültig gegenüber und wiederum andere sind von Ängsten oder Ekel erfüllt, wenn sie an den Wald und seine krabbelnden Bewohner denken. Eine alleinerziehende Mutter beispielsweise begründete die Anmeldung ihres Kindes zum Naturprojekt folgendermaßen: „All diese Käfer und der Dreck sind so eklig, ich geh da überhaupt nicht gerne hin. Ich will aber nicht, dass meine Tochter so wird wie ich!“ Man kann sich gut vorstellen, dass ihre Tochter im Zweifelsfall nicht unbedingt die nötige elterliche Unterstützung und Anerkennung bezüglich des Draußenseins in der Natur bekommt, etwa wenn die kindliche Neugier schleimige Schnecken nach Hause bringt …
Die ermutigende Nachricht aber, die auch durch viele Projekterfahrungen gestützt wird, ist folgende: Die meisten Eltern – sofern sie nicht sogar das Naturthema einfordern – stehen einem Naturbildungsangebot grundsätzlich positiv gegenüber, selbst wenn Wald, Feld und Bach nicht zum familiären Erfahrungsraum gehören.
Es werden bei einigen Eltern auch Ängste mobilisiert, Bedenken geäußert und mitunter Widerstände laut, wenn die Erzieherinnen mit den Kindern offene Naturräume durchstreifen und erobern möchten. Haben Eltern eine eher abwehrende oder gleichgültige Haltung zur Natur, ist das Bemühen um Beteiligung und Anteilnahme zwar herausfordernd, aber wichtig. Ein entsprechendes Vertrauen zwischen der Kita und den Eltern zu knüpfen, kann damit beginnen, die erlebnisreichen und bildungsfördernden Vorgänge, denen ja meistens etwas Außeralltägliches innewohnt, sichtbar zu machen.
Im Folgenden sind einige Ideen versammelt, wie es pädagogischen Fachkräften gelingen kann, Eltern auf Dauer „mit ins Boot zu holen“, sie im durchaus doppelten Wortsinne „mitzunehmen“.
Es ist hilfreich, eine kleine Auswahl an festen Schuhen, Matschhosen, Handschuhen und Regenjacken vorrätig zu haben, sodass Kinder, die „unvorbereitet“ in die Kita kommen, dennoch mit in die Natur gehen können. Der entscheidende Ansatzpunkt muss jedoch das Gespräch mit den Eltern sein, um zu informieren, Verständnis und Problembewusstsein zu schaffen, eventuelle Hintergründe zu erfahren und vielleicht auch Hilfe bei der Beschaffung günstiger, aber angemessener Kleidung anzubieten.
Ein jährlicher Eltern-Basar, auf dem entsprechende Kleidung erworben werden kann, ist empfehlenswert. Einen Materialpool für jene Kinder dauerhaft bereitzustellen, entschärft zwar mögliche Konflikte. Es wäre aber zu befürchten, einer passiven, konsumähnlichen Haltung Vorschub zu leisten und zudem sozial stigmatisierend zu wirken. Jedenfalls würden Eltern dadurch eher nicht in die Aktivitäten ihrer Kinder involviert werden, was jedoch wünschenswert wäre.
Es ist bei regelmäßigen wöchentlichen Draußen-Tagen hilfreich, einen Wochentag (am besten nicht montags) festzulegen, damit sich Vorbereitungsroutinen in den Familien besser entwickeln können.
Eine gut sichtbare Wald und Sammelecke, in der Bilder, Fotos, Informationen, Fundstücke oder ein selbst erstelltes Naturbuch ausgestellt sind, bietet vielfältige Gesprächsanlässe zwischen Kindern und Erwachsenen. Mit Eltern ins Gespräch zu kommen, bietet die Chance gegenseitiger Anerkennung, was auch das Eltern-Kind-Verhältnis einschließt. Von sich aus erzählen Kinder zu Hause meistens nicht viel von ihren Erlebnissen. Mit dem „Fundstück des Tages“ in der Hand passiert dies jedoch eher.
Enorm bereichernd für Eltern und ihr Verhältnis zum Kitageschehen sind Videoaufnahmen von den Aktivitäten ihrer Kinder, die dadurch zugänglich gemacht werden. Sie können etwa auf Elternabenden gezeigt und kommentiert werden.
Elternabende können so gestaltet werden, dass sie Eltern und Erzieherinnen gedanklich aktivieren, indem zum Beispiel biografische Reisen in die eigene Kindheit das Naturthema aufspüren lassen. Verschiedene Naturgegenstände oder Fotos können dabei als Impulse dienen. Wichtig ist, dass die pädagogischen Fachkräfte wirkliches Interesse zeigen und sich selbst einbringen.
Nicht nur gedanklich, sondern ganzheitlich aktivierend, sind Eltern-Kind-Aktionen wie Dämmerungs- oder Fackelwanderungen, wobei gerade auf die Geselligkeit und Vergemeinschaftung am Lagerfeuer, beim Abendbrot auf der Lichtung Wert gelegt werden sollte. Für jene Eltern, die freiwillig den Weg in die Natur nie fi nden oder suchen würden, können gerade diese Akzente ausschlaggebend sein. Übrigens werden erfahrungsgemäß mehr Väter angesprochen, wenn Feuer im Spiel ist.
Eltern mitnehmen meint auch, ihnen zu ermöglichen, an Naturaktivitäten teilzunehmen, das pädagogische Handeln kennenzulernen und dadurch neue Seiten an ihren Kindern zu erkennen.
Um Eltern (auch Kolleginnen) von Naturprojekten zu überzeugen, muss man diese begründen können und davon selbst überzeugt sein. Sachkundige Informationen darüber, was, warum und wie etwas in der Natur den Kindern zugänglich gemacht werden soll, sind unerlässlich und sollten immer im Vordergrund stehen.
Offene Naturräume bergen Gefahren und Risiken. In Elterngesprächen oder auf Elternabenden sollten Ängste, beispielsweise bezüglich des Kletterns, ernst genommen werden, ohne eine Angsthaltung zu unterstützen. Überbesorgten Eltern kann zudem mit Notfallplan, Erste-Hilfe-Schein und klaren Verhaltensregeln begegnet werden, etwa bezüglich der unvermeidlichen Zeckenfrage: Vorsorge durch entsprechende Kleidung, Nachsorge durch die Einverständniserklärung der Eltern, die Zecke ziehen zu lassen, und abendliche Kontrolle durch die Eltern. Als sicherheitspädagogische und auch rechtliche Maxime kann gelten: Sicherheit entsteht durch den kompetenten Umgang mit Risiken und nicht durch die Vermeidung von Risiken.
Generell ist es bei der langfristigen Etablierung von Naturaktivitäten geboten, den Eltern immer wieder Rückmeldungen zu geben, in denen über Naturerfahrungen ihres Kindes gesprochen wird. Es sollten auch eventuelle Fortschritte thematisiert werden, beispielsweise in der Sprachentwicklung, in der Motorik oder im Sozialverhalten. Naturräume bieten schließlich hervorragende Anregungen für viele kindliche Entwicklungsbereiche. Wenn Eltern realisieren, dass ihr Kind viel erfahren und lernen kann, indem es zusammen mit anderen Kindern auf Bäume klettert, durch den Matsch watet oder Spinnen untersucht, dann lösen sich viele Bedenken von allein auf.
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