Große schwarze Kulleraugen mit einer Umrandung aus glitzerndem Blau gucken aus einem pink-schwarz gestreiftem Kuscheltierkörper hervor – ein plüschiger Kinderfreund im trendigen Anime-Look. Erwachsene fühlen sich von Wesen dieser Art eher selten angesprochen, während sie Kinder magisch anzuziehen scheinen. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass Tiere und Figuren, die dem Kindchenschema entsprechen – großer Kopf mit überdimensionalen Augen – für Kinder besonders interessant sind, während Erwachsene ausgewogenere Maßstäbe bevorzugen. Geradezu unverständlich erscheint dagegen es manchmal, dass Kinder aus Erwachsenenaugen sehr liebevoll gestaltete Waren verschmähen. Innerhalb der letzten Jahrzehnte hat der Retro- Trend auch vor Kinderprodukten keinen Halt gemacht und so manche:r fühlt sich vielleicht an Spielzeug aus dem Eltern- oder Großelternhaus erinnert und schwelgt in Nostalgie. Wer es sich leisten kann, kauft nordisches Design in gedeckten Farben mit einem Touch der 1960er Jahre. Zartblaue Streifendeckchen, beigegraue Kuschelmäuse und cremefarbene Leinenhosen aus Designläden setzen bewusst einen Kontrast zu günstigerer Kindermode mit grellen Aufdrucken. Die Ästhetik der Kinderzimmer folgt anders als die Knallfarben der 80er- und 90er Jahre einer pastellfarbenen Schlichtheit. Cremeweiße Stoffe und helles Holz prägen Kinderzimmer von Inneneinrichtungs-Accounts junger Mütter in den sozialen Medien. Die Einheitsfarben ziehen sich so sehr durch die Medienwelt, dass sich mittlerweile ein ironischer Ausdruck dafür etabliert hat: „Sad beige parenting“ oder „Sad beige children“ – also traurige beigefarbene Erziehung und Kinder. Diese Begriffe sind mit Hashtags auf TikTok und Instagram zu finden. Hayley DeRoche betreibt sogar einen Satire Account, unter dem sie darstellt, wie freudlos modernes Design aus Kinderaugen wirken kann.
Nicht zuletzt wird das skandinavisch anmutende Design auch mit vermeintlicher Gender-Neutralität verbunden. Während das Massenmarketing stärker denn je Produkte in rosa und hellblau gruppiert, sind teure Trendprodukte nicht gegendert oder werden sogar explizit als genderneutral beworben. Ob es ein Fortschritt ist, die Buntheit einfach wegzulassen, statt alle Kinder für alle Farben zu begeistern, bleibt dabei eine offene Frage.
Kein Rezept für Kreativität
Die beschriebenen Produkte und Trends sind letztendlich ein Phänomen, das nur einer kleinen Gruppe zugänglich ist und für den Großteil der Kinder keine Relevanz hat. Aber der Wunsch, Kinder für eine dezente und stillvolle Ästhetik zu begeistern, ist durchaus verbreitet. Vor allem Spielzeuge aus Naturmaterialien wie Holz gelten als stets überlegen oder sogar als einzige vernünftige Wahl. Verbunden wird dies vor allem mit der Begründung, Kinder vor einer vermeintlichen Reizüberflutung durch zu viele Farben, Plastikspielwaren mit vorgefertigten Sounds und Funktionen und allgemeiner Schnelllebigkeit zu bewahren. Obwohl hochwertige Holzspielwaren und natürliche Materialien durch ihre Haptik zweifellos wertvoll für die sinnliche und kognitive Entwicklung sind, kann hier manchmal eine Übertragung erwachsener Standards auf die kindliche Psyche vorliegen. Denn die meisten Kinder kommen – ob von Eltern oder Pädagog:innen gewünscht oder nicht – in den Besitz „hässlicher“ Plastikspielsachen oder pädagogisch sogar schädlich erscheinenden Puppen wie Barbie. Dennoch wird man Kinder dabei erleben, wie sie auch vermeintlich eindimensionale Objekte verändern und umfunktionieren: Barbie werden ihre schönen Haare abgeschnitten und Actionfiguren spielen ganz andere Rollen als die, deren Geschichten sie entnommen wurden. Kindliche Kreativität ist ziemlich robust und kann nicht so einfach durch geschickt beworbene schnelllebige Produkte eingeschränkt werden. Das zeigt sich auch daran, dass Kinder sehr gerne Charaktere aus ihren Lieblingsfernsehserien und später -büchern zeichnen.
Ästhetisches Erleben verändert sich konstant Bei Säuglingen ist eine reizarme Umgebung gerade für die Ruhe- und Schlafenszeiten sinnvoll. Aber zur Sinnesanregung braucht auch die Netzhaut von Säuglingen Kontraste – starke Kontraste, wie sie auch durch spezielle Kontrastkarten dargestellt werden, sind in den ersten Lebensmonaten am ehesten wahrnehmbar. Jedoch ändert sich die Reizverarbeitung mehrmals im Leben. Und bei Kindern im Kita-Alter unterscheidet sie sich deutlich von der eines durchschnittlichen Erwachsenen, etwa was die Anzahl an Bildern pro Sekunde angeht, die im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden können. Somit ist es auch verständlicher, dass Kinderserien für Erwachsene oft zu temporeich und überreizend wirken.
Reflexionsfragen
Um aus den gewohnten Schemata auszubrechen, helfen Fragen, die Fachkräfte zunächst für sich selbst beantworten und danach auch in ein Gespräch mit den Kindern einbeziehen können. Beispiele sind diese Anregungen:
- Was gefällt dir an deinem Lieblingslied besonders gut?
- Was ist dir an einem Bilderbuch aufgefallen?
- In welchen Räumen oder Ecken hältst du dich besonders gerne auf?
- Wie fühlt sich das an, mit einem bestimmten Spielzeug zu spielen?
- Wie würdest du die Kita gestalten, wenn du dir etwas wünschen könntest?
Gesprächsanlässe für diese Fragen bieten sich nach Projekten zu Ästhetischer Bildung, Theater- oder Konzertbesuchen an – aber auch im Kita-Alltag. Etwa wenn sich ein Kind ein Lieblingslied immer wieder wünscht oder gerade ein besonderes Lieblingsspielzeug hat oder bestimmte Kleidungsstücke gerade nicht anziehen möchte. Das kritische Hinterfragen erwachsener ästhetischer Standards soll keineswegs die Entscheidung begründen, Produkte für Kinder nicht nach pädagogischen Kriterien auszuwählen. Eine Vielfalt an ästhetischen Erfahrungen in den Bereichen bildender Kunst, Musik und Sprache zu bieten, ist ein wichtiges pädagogisches Ziel. Vielmehr sollen die Fragen ermöglichen, dem kindlichen Erleben mit Offenheit und Vertrauen zu begegnen und das Erleben von ästhetischen Erfahrungen zu vertiefen, statt in die Kategorien „anspruchsvoll“ und „nicht anspruchsvoll“ einzuteilen.
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