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Ein Interview mit Dr. Malte Mienert
Reagieren und nicht agieren, empfehle ich bei dieser Altersgruppe. Ich gehe dabei von den 4–6-Jährigen aus, da es mich sehr überraschen würde, wenn es bei jüngeren Kita-Kindern angesprochen werden würde.
Also bitte warten Sie ab, bis die Kinder das Thema ansprechen. Begrenzen Sie hier das Gespräch auf die Kinder, die das Thema angesprochen haben. Gehen Sie dann ins direkte Gespräch mit dem einzelnen Kind oder mit der Kindergruppe, die darüber sprechen. Ich würde es z. B. nicht im großen Morgenkreis mit allen Kindern ansprechen.
Reagieren heißt, offen zu sein und neutral zu fragen, was die Kinder gehört haben und was sie bei diesem Thema beschäftigt. Ein ruhiges und sachliches Nachfragen, was sie darüber erzählen möchten ist hilfreich: „Ach, das ist ja interessant! Erzähl doch mal, was du gehört hast.“, „Ich bin neugierig, was du darüber erfahren hast.“ Lassen Sie sich die Informationen vom Kind geben und geben Sie zunächst keine eigenen Informationen dazu. Und auch Ihr Tonfall sollte nicht angespannt, sondern neugierig, nachfragend sein.
Und sicherlich ist man dann überrascht, was die Kinder zu erzählen haben. Eines jedoch weiß ich: Mit dem großen Konzept Krieg werden 4–6-Jährige nichts anfangen können. Das Denken der 4–6-Jährigen ist fantasievoll und sie verbinden mit Krieg und den aufgeschnappten Begrifflichkeiten sicherlich etwas anderes, wie die Erwachsenen. Und das ist interessant herauszufinden. Daher ist es so wichtig, das Kind reden zu lassen und zu verstehen, was es beschäftigt.
Das Ziel ist hier, die Frage hinter der Frage zu entdecken. Denn meistens geht es gar nicht um die eben gestellte Frage, wie z. B.: Kommt der Krieg auch zu uns? Hier könnte es tatsächlich um die Frage gehen: Wird es meiner Mama, meinem Papa weiterhin gut gehen? Habe ich ein sicheres Zuhause? Und um die Frage hinter der Frage zu entdecken, also die eigentlichen Ängste der Kinder zu erkennen, hilft es, auf die Kinder zu reagieren und nicht etwa ein Projekt zu einem Thema zu initiieren, im Sinne von Agieren. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Kinder in diesem Alter – im besten Sinne – Egozentriker sind. Sie verbinden alles, was in der Welt passiert mit sich selbst. Dies geht oft einher mit Schuldgefühlen, also „Ich bin schuld, wenn Mama traurig ist!“ Sie geben sich die Verantwortung für den Zustand ihrer Bezugspersonen. Und da nützt es auch nichts, wenn man ihnen die Schuld abspricht.
Sie nehmen auch die erschrockenen Reaktionen über dieses Thema an ihren Mitmenschen wahr und werden versuchen, dies mit ihrem Leben zu verknüpfen: Was habe ich damit zu tun?, Was kann ich tun, damit es meiner Mama, meiner Erzieherin, meinem Erzieher wieder besser geht? Deshalb plädiere ich auch immer für ein professionelles und fachliches Handeln von pädagogischen Fachkräften. Sie müssen, meiner Meinung nach, Neutralität ausstrahlen und im Kita- Alltag ein Lächeln auf dem Gesicht tragen. Ich weiß, dass das oft einer schauspielerischen Leistung gleicht, und genau das erwarte ich von einer pädagogischen Fachkraft. Damit helfen sie Kindern, Schuldgefühle gegenüber der Welt gar nicht erst aufzubauen. Und das ist sehr viel mehr wert, als den Kindern einreden zu wollen, dass sie nichts für die Lage des Anderen können. Denn das nützt in der Regel gar nichts.
Kinder bewältigen etwas, indem sie es spielen. Und natürlich auch die Situation spielerisch zu bewältigen, ist sehr wichtig. Stress wird erst erlebt, wenn man keine Handlungsmöglichkeiten mehr hat. Wenn man keine Strategie hat, um eine Situation zu bewältigen. Das bedeutet in der konkreten Situation, die Kinder, die das Thema Krieg aufbringen zum Beispiel zu fragen: Was können wir tun? Wie können wir unsere Kita verteidigen? Und auch hier geben die Kinder die Spielszenarien vor. Als pädagogische Fachkraft bleibe ich offen und neutral und frage: Was kommt als nächstes? Wie können wir handeln? Was stellst du dir vor, wird passieren? Die Kinder das Gesehene und das Erlebte spielen zu lassen, ist ihre Form von Stressregulierung und somit einer Regulierung ihrer Emotionen.
Hier ist ganz klar die Kita-Leitung gefragt. Sie muss mit allen Beteiligten sprechen und jede einzelne Fachkraft fragen: Was brauchst du gerade? Was wünscht du dir von mir als Unterstützung? Auch hier braucht es eine offene und neutrale Grundhaltung der Kita- Leitung, die ihre Mitarbeiter:innen fragend und reagierend unterstützt.
Auch hier gilt es freundlich und bestimmt zu reagieren. Bitten Sie die Eltern, sich nicht in Gegenwart der Kinder darüber auszutauschen. Denn wie wir alle wissen, haben Kinder „ganz große Ohren“ und feine Antennen, mit denen sie alles hören und wahrnehmen. Auch das, womit sie noch nicht umgehen können. Sie können auch hier fragend reagieren, aber erst, wenn die Kinder nicht mehr dabei sind. Und ebenso wie bei den Kindern hilft hier Neutralität und Offenheit, um die Gedanken und Ängste mitzubekommen. Etwas das in der aktuellen Situation sowieso sehr wichtig ist!
Dr. Malte Mienert, Professor für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie am „Universitätsinstitut für internationale und europäische Studien“ in Kerkrade. Seine Forschungsthemen liegen u. a. in der Untersuchung des Selbstverständnisses von Pädagogen. Als Fortbildner und Autor arbeitet er u. a. zu den Themen U3, kindliches Lernen, Erziehungspartnerschaft sowie Übergänge. Kontakt: www.mamie.de
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