Von der Schulbank zum Padlet: Wie Corona die Ausbildung verändert
Geschlossene Fachschule, Notbetreuung in der Kita und Videokonferenzen – für Kai Wehmeier lief das erste Jahr seiner Erzieherausbildung anders als geplant. Im Interview erzählt der Fachschüler, was er in der Corona-Zeit vermisst hat, wie ihn eine Online-Lernplattform motiviert und warum manche Kinder sogar von der Zeit profitiert haben.Interview: Florian Rotberg, TPS-Redaktion
Bild: ©studiogstock/GettyImages
Herr Wehmeier, zu Beginn der Corona-Krise mussten auch die Fachschulen plötzlich schließen. Wie haben Sie diesen Moment rückblickend erlebt?
Kai Wehmeier: Zunächst war das schon schwierig, weil jeder Mensch ja seine Routinen hat. Morgens stehe ich ganz normal auf und fahre dann zur Arbeit oder zur Schule. Das ist dann alles erst einmal weggefallen, was gerade für gesellige Menschen nicht so leicht ist. Der persönliche Kontakt hat mir da schon gefehlt.
Wie hat Ihre Fachschule darauf reagiert, dass der Präsenzunterricht auf einmal nicht mehr stattfinden konnte?
Die Lehrer haben sehr schnell gehandelt. Innerhalb einer Woche wurden auf Moodle (Anm. d. Red.: Moodle ist eine digitale Lernplattform) verschiedene Seiten erstellt, auf der die Lehrkräfte Aufgaben eingestellt haben, die wir bis zu einer gewissen Deadline bearbeiten sollten. Das war sehr praktisch, weil sich auf dieser Plattform sehen lässt, was bis wann abgegeben werden muss und wie viel Prozent der Aufgabenman bereits geschafft hat. Das war für mich immer der Reiz, wenn ich wusste: Ich hab zwar schon 40 Prozent geschafft, aber ich möchte auf die 100 Prozent kommen.
Das klingt nach einem guten Übergang vom Präsenz- zum Onlinelernen. Gab es trotzdem etwas, was schwierig oder ungewohnt war?
Gerade am Anfang war es bei manchen Aufgaben, die ursprünglich für Gruppenarbeiten vorgesehen waren, nicht so leicht, weil man die Fragestellung nicht mit den anderen besprechen konnte. Der Austausch mit der Gruppe fiel auf einmal weg. Aber da war es toll, dass die Lehrer sehr gut telefonisch erreichbar waren und wir auch unter den Schülern eine WhatsApp-Gruppe gegründet haben, über die wir uns austauschen konnten.
Welche Methoden hat Ihre Fachschule noch genutzt, um den Unterrichtsstoff zu vermitteln?
Wir hatten teilweise auch Zoom-Konferenzen (Anm. d. Red.: Zoom ist ein Programm für Videokonferenzen, ähnlich wie Skype), in denen wir noch mal in kleinere Gruppen unterteilt wurden. Da haben wir dann gemeinsam Aufgaben erarbeitet, die wir dann via Zoom vor der gesamten Klasse vorgestellt haben. Und hier wurde darauf geachtet, dass Leute, die etwas geübter sind mit dem Computer, mit Leuten in Gruppen zusammen gearbeitet haben, die nicht ganz so fit darin sind. Mir persönlich hat die Corona-Zeit in dieser Hinsicht auch sehr viel gebracht, weil ich mich viel mehr mit technischen Dingen auseinandergesetzt habe.
Durch die Kontaktbeschränkungen war es kaum möglich, sich mit den anderen Menschen zu treffen. Wie haben Sie sich mit anderen Fachschülern ausgetauscht?
Es haben sich in unserer Klasse Online-Lerngruppen gebildet. Der Austausch tat gut, denn so hat man gemerkt: Die anderen sind, was den Lernstoff betrifft, genauso weit momentan oder beschäftigen sich mit ähnlichen Themen wie man selbst. Teilweise hatten wir in der Corona-Zeit mehr Kontakt als zu den normalen Zeiten, wo man sich jeden Tag in der Klasse sieht. Das lag daran, weil wir uns viele WhatsApp-Nachrichten geschrieben oder auch mal telefoniert haben. Wir haben untereinander nachgefragt, wie es gerade läuft oder uns über unsere Ideen ausgetauscht. Das war sehr angenehm.
Corona war gerade zur Anfangszeit der Pandemie für viele das bestimmende Gesprächsthema. Haben Sie sich auch im Unterricht mit der Thematik auseinandergesetzt?
Ja, wir haben über sechs Wochen ein Zertifikat zur Bildungsarbeit trotz Corona-Distanzierung gemacht. Da ging es darum, wie man Kindern in dieser Zeit den Alltag erleichtern, den Kontakt zu ihnen halten und auch das ganze Thema kindgerecht näherbringen kann. Dazu wurde ein Padlet bereitgestellt, also ein virtuelles Regal mit einer Linksammlung, über das wir Texte aus Fachzeitschriften zu verschiedenen Teilaspekten der Corona-Krise abrufen konnten. Das war von den Lehrkräften sehr partizipativ gestaltet, weil wir uns selbstunsere Schwerpunkte aussuchen konnten. Denn es passt ja nicht zujeder Kita das gleiche Modell.
Sie machen eine Praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher. Wie haben Sie diese besondere Zeit mit Notbetreuung und weiteren Einschränkungen in Ihrer Kita erlebt?
Eigentlich war für uns alle im ersten Jahr unserer Ausbildung während der Corona-Phase ein sechswöchiges Praktikum vorgesehen, in dem wir mit älteren Kindern, beispielsweise in Heimen, arbeiten sollten. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, haben aber viele Heime keine externen Personen in ihre Einrichtungen gelassen. Daher haben sich unsere Lehrkräfte sehr dafür eingesetzt, dass wir dieses Praktikum in den Kitas machen können, in die wir eigentlich erst zum 1. August gegangen wären. Also waren wir sechs Wochen komplett in der Kita – sofern das von der Einrichtung und dem Träger her möglich war.
Als ich ab Anfang Mai wieder arbeiten durfte, war ich gleich wieder in meiner Gruppe in der Kita. Das war aber auch gut, weil zwei Kolleginnen nicht verfügbar waren, weil sie zur Risikogruppe zählen. Eigentlich haben wir 48 Kinder in unserer Kita in Bochum. In der Notbetreuung haben wir aber auch 21 – also fast die Hälfte der Kinder – betreut. Wir haben versucht, das Thema Corona spielerisch immer mal wieder aufzugreifen, aber auch nicht in zu großem Umfang, um den Kindern trotzdem eine gewisse Normalität zu vermitteln.
Der Alltag in den Kitas war durch die Notbetreuung verändert. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Für mich war es am Anfang sehr schön zu beobachten, wie positiv die Kleingruppen für die Kinder waren. Als ich wieder zurückgekommen bin, habe ich zum Beispiel Kinder, die ansonsten eher ruhig und schüchtern sind, viel freier erlebt. Dagegen hatten Kinder, die man sonst eher als „Problemkind“ bezeichnet hätte, in den kleineren Gruppen nicht mehr das Gefühl, auffallen zu müssen, und waren dadurch viel ruhiger. Das fand ich sehr positiv. Zudem konnte mandie Kinder ganz anders beobachten, weil die Gruppen nicht so groß waren, und so natürlich auch viel mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Kai Wehmeier ist 36 Jahre alt und lebt in Bochum. Er absolviert an der Fachschule für Sozialpädagogik des Alice-Salomon-Berufskollegs eine Praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher (PiA). Zuvor hat der gelernte Friseur drei Jahre als Inklusionshelfer in verschiedenen Kindertagesstätten gearbeitet.
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