Nähe trotz Abstand – "Wir vermissen euch!"
Das Päckchen aus der Kita, der Morgenkreis im Video und ein Regenbogen als Zeichen der Verbundenheit – es gibt viele Möglichkeiten, den Kontakt zu den Kindern auch in Zeiten des Abstands zu halten. Warum das so wichtig ist und welche Ideen es sonst noch gibt, berichtet die Sozialpädagogin Martina Teschner.Text: Marina Teschner, Ludwigsburg
Bild: ©bunnylady/GettyImages
In der letzten Woche habe ich mit vielen Fachkräften gesprochen. Sie vermissen die Kinder. Der Alltag in den Kindertagesstätten ist von sozialen Kontakten maßgeblich geprägt. Jetzt ist plötzlich körperliche Distanz angesagt. Manche machen sich Sorgen, ob die Familien es schaffen, in dieser Ausnahmesituation sich rechtzeitig einzubremsen, wenn ein Konflikt aufflammt. Manche haben schon die Wiedereröffnung im Blick: Wie werden sich die Kinder wieder an dann Kita-Alltag gewöhnen?
In der ersten Woche haben viele Träger und Leitungen zunächst die kindfernen Aufgaben des Alltags im Fokus gehabt: Es wurde in Kitas geputzt und aufgeräumt, die Fotos wurden sortiert, Portfolien gestaltet, Entwicklungsberichte und Lerngeschichten verfasst, Konzeptionen überarbeitet, Angebote geplant. „Endlich haben wir dafür Zeit“, hat so manche Fachkraft erleichtert gesagt.
Aber was ist mit unserm Kerngeschäft? Wie kann die Beziehung zu den Kindern und ihren Familien trotz körperlichem Abstand weitergeführt werden? Und darauf aufbauend: Wie können wir weiterhin Impulse für Bildung und Erziehung geben? Wie können wir uns auch für kritische Familiensituationen anbieten?
Es gibt landauf, landab schon wunderbare Beispiele:
Die Videobotschaft – Begrüßung im Morgenkreis
Eine Erzieherin in der Krippe nimmt jede Woche ein Video auf. Darauf ist für ihre Kinder und die Familien das Begrüßungsritual des Morgenkreises zu sehen und zu hören: Alle Kinder werden mit Namen aufgerufen. Dann folgt ein neues Lied. Das ist ein kurzer Gruß für die Woche, der in vielen Familien täglich, manchmal mehrfach mit den Kindern angeschaut wird.
Das Potenzial dieses Formats ist groß! Zum einen auf der emotionalen, das Ich stärkenden Ebene: Die Kinder nehmen wahr, dass sie nicht vergessen wurden, sie dürfen Gewohntes weiterführen, sie bekommen das Signal: Wir wissen, dass ihr das Lernen –Sprachförderung, Musik, kognitive Anregungen, Bewegung –in unserer Gruppe vermisst. Auch Ziele des sozialen Zusammenlebens sind weitergeführt: Die Kinder werden aneinander erinnert, die Familien teilen miteinander diese Erfahrung.
Eltern erleben vielleicht dadurch erst, wie bedeutsam das Geschehen in der Kita für ihr Kind ist. Nicht zuletzt können nun selbst bei den Kleinsten die Eltern die Lieder mit den Kindern singen und wiederholen. Das schafft ein gemeinsames kulturelles Kapital.
Die Kuscheltiere erzählen – wie der Kita-Alltag läuft
Eine andere Kita hat sich für die Kinder eine Geschichte ausgedacht: Die Kuscheltiere bemerken überrascht, dass sie in der Einrichtung allein sind. Diese organisieren nun selbst ihren Kita-Ablauf, wie ihn sonst die Kinder erleben. Diese Geschichte ist mit inszenierten Fotos in der Einrichtung bebildert und mit eigenen Versen getextet.
Auch hier werden die Kinder an die gewohnten Rituale erinnert. Ihre Fantasie wird angesprochen, und durch die Bilder wird auch eine zusätzliche Möglichkeit gegeben, über das Kita-Geschehen zu sprechen. Gerade auch da, wo Kinder von der Kita-Sprache Deutsch in die Familiensprache wechseln müssen, ist das ein guter Impuls zur Wortschatzerweiterung in der Familiensprache und ein Beitrag zur Verständigung in den Familien.
Post für die Kinder
Jede Woche stellt die Kita ein Material-Paket mit vielfältigen Anregungen zusammen. Dabei ist ein Lied, mit einem Link auf eine Youtube-Quelle zum Selbstlernen. Es gibt Wahrnehmungsanregungen für Frühlingsspaziergänge (z.B. Fotos von Frühblühern und der Aufforderung, diese zu suchen) oder für Wohnungsentdeckungsreisen (z.B. Was ist bei uns alles doppelt vorhanden?). Auch für den Bereich der bildnerischen Kunst, der in den Kitas meist mit vielfältigem Material ausgestattet ist, gibt es Impulse.
Dabei wird überlegt: Welche Ziele verfolgen wir mit diesen Anregungen (Materialerfahrungen ermöglichen, Ausdruck für innere Bilder, Üben von Fertigkeiten wie Schneiden oder Stifthaltung, Erweiterung des gestalterischen Repertoires)? Worin liegt der Mehrwert im Vergleich zu den üblichen online erhältlichen Anleitungen? (Sonst kann man sich Arbeit sparen und einfach nur Links zusammenstellen.) Was geht alles mit Dingen, die sowieso zu Hause ist? Die Kinder freuen sich, wenn sie in der Post ein paar Kulleraugen oder Aufkleber finden und schicken gern ihre Bilder oder Fotos davon in die Kita. Auch ein Tütchen Kressesamen, ein Vordruck, aus dem ein Schächtelchen gefaltet werden kann oder in der Passionszeit ein Pappkreuz können beigelegt werden. Durch diese Post-Aktion bekommen die Kinder direkt die Möglichkeit, diesen Kommunikationsweg kennenzulernen. So können sie wiederum mit anderen Kindern, mit den Kita-Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und mit Großeltern oder weiteren Menschen in Kontakt treten.
Ausgetragen werden die Briefe gebietsweise von Familien, die sie in der Kita abholen. Das lässt sich über Mails oder telefonisch organisieren. Klar, manche Kitas verschicken die Post auch elektronisch als Newsletter. Wichtig ist trotzdem, dass die Kinder direkt angeschrieben werden und auch eine Möglichkeit zum Antworten vorgesehen ist. Die Antworten sind auch für die Mitarbeitenden wichtig. Erstmal entsteht wieder eine emotionale Verbundenheit, es sind ja unsere Kinder! Dann aber bieten sie auch die Chance zur Reflexion! Wer antwortet? Für wen ist diese Art von Kontakt vielleicht nicht geeignet oder nicht ausreichend? Welches Kind bekommt von zu Hause Unterstützung, welches vielleicht zu wenig? Was zeigen die Kinder von ihren Interessen, Fragen, Gedanken?
Das Telefonat – miteinander sprechen
In meiner Kinderzeit war ein Telefonat etwas Außergewöhnliches. Das ist zum Glück nicht mehr so. Gerade in Familien, die Verwandte im Ausland haben, sind auch die Kinder an Telefonate und Videotelefonate gewöhnt. Jedes Bezugskind einmal die Woche anzurufen, ist besonders für Kinder in schwierigen Verhältnissen eine wichtige emotionale Brücke zum Kita-Leben, das ja oft entlastend und stärkend wirkt. Die Kinder hören, dass sie vermisst werden. Gemeinsam werden gute Erfahrungen, schöne Ereignisse wieder ins Gedächtnis gerufen. Sie erleben, dass ihnen jemand zuhört. Die Kita kann entdecken, was die Kinder besonders vermissen, was sie an ihrem Familienalltag schätzen und was sie stört.
Es ist auch für uns als Fachkräfte wunderbar, mal jedem Kind die volle Aufmerksamkeit zu schenken und ein bisschen Zeit zu haben. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern kann dadurch wachsen. Vielleicht äußern Kindern oder Eltern auch Hilfebedarf für sich oder andere in ihrer Familie, dann kann nicht immer sofort die Lösung parat sein. Nehmen Sie sich Zeit und nutzen Sie Ihr Netzwerk. Ihre Fachberatungen und weitere Fachleute in den Schulen, Jugendämtern und Kinderpsychiatrien arbeiten weiterhin und sind zu erreichen. Auch bei strengen Datenschutzregelungen dürfen übrigens die Mitarbeitenden der Kitas die Telefonnummern der von ihnen betreuten Kinder bekommen. Sie sollten nicht im Handy gespeichert werden, damit sie nicht von anderen Apps abgegriffen werden können und möglichst sicher vor dem Zugriff Unbefugter aufbewahrt werden. Ist ihnen selbst fremd, eines der Kinder anzurufen? Dann probieren Sie es doch mal bei denen, die jetzt Geburtstag haben!
Das Kita-Schaufenster – hier sind wir sichtbar!
Für die Kinder in der Nachbarschaft der Kita gestalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Schaufenster. Viele Kinder müssen sich bei einem Gang zur Kita vergewissern, dass dort wirklich keiner hindarf. Im Kita-Schaufenster sind Fotos der sozialpädagogischen Fachkräfte, von Erlebnissen –auch des Alltags –und Ausstellungsstücke, um den Kindern Gesprächsanlässe zu geben sowie Anregungen für die Schließzeit. Hier können auch Telefonnummern für die Telefonseelsorge, Frauenhäuser und das Kindernotruftelefon hängen. Wenn Kinder Bilder oder Gegenstände in den Kita-Briefkasten werfen, können sie sich am Kita-Schaufenster beteiligen.
Wo seid ihr? – Zeichen der Verbundenheit
In einer Kita haben alle Kinder die Aufforderung erhalten, auf ein Fenster zur Straße hin einen Regenbogen zu malen. So können bei einem Spaziergang diese Fenster gesucht und gefunden werden. Die Kinder spüren, dass es noch viele andere Kinder gibt, die in einer ähnlichen Situation wie sie selbst zu Hause sind. Der Regenbogen schafft ein Zeichen der Verbundenheit untereinander. Er ist auch ein religiöses Symbol: In der biblischen Geschichte der Sintflut und Rettung durch die Arche Noah wird zum Schluss erzählt, dass Gott seinen Regenbogen als Zeichen eines Bundes mit den Menschen in die Wolken setzte. Damit besiegelt er seine Botschaft, dass er nie wieder alles Leben vernichten wird. Regenbögen erinnern also an dieses Versprechen!
Wenn die Kinder andere Häuser entdeckt haben, könnten sie dann auch Post dort einwerfen, um neue Verbindungen zu knüpfen. Vielleicht entstehen für Mehrfamilienhäuser mit unzugänglichen Briefkästen noch Kinderpost-Briefkästen oder dort wird ein Kreidezeichen hinterlassen?All diese Möglichkeiten können erweitert, kombiniert und angepasst werden. Die Arbeit ist gut in den Teams aufzuteilen, dabei ist auchdie Befähigung und technische Ausstattung im Homeoffice zu berücksichtigen. Die große Stärke der Fachkräfte in den Kitas ist, sich emphatisch in die Situation der Kinder einfühlen zu können und mit Professionalität und Kreativität zu reagieren! Das muss und darf jetzt nicht untergehen!
Ich bedanke mich herzlich bei all denen, die mir von ihren Ideen erzählt haben: Den Bambinis in Bad Schwalbach, die Kitas St. Franziskus und Steinlanden in Benningen am Neckar, die Oberstenfelder Kitas und einer Fachberaterin der Caritas in Stuttgart. Ich bekomme auch gern Post und freue mich sehr über Fotos oder Briefe von Ihnen an: teschner@ph-ludwigsburg.de. Ich wünsche Ihnen viele neue spannende Erfahrungen mit Nähe zu denen Kindern bei körperlicher Distanz! Kommen Sie gut durch diese Zeit!
Martina Teschner ist Sozialpädagogin. Sie lehrt an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg und hat jahrelang eine Kita geleitet. Martina Teschner schreibt seit vielen Jahren regelmäßig in der TPS.
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