Sprachentwicklungsstörungen – An Hindernissen wachsen
Lispeln, Stottern oder auch Ausspracheschwierigkeiten – Störungen in Spracherwerbsprozessen können alle Bereiche des Sprachsystems betreffen: das Lautsystem, den Wortschatz, die Grammatik und ebenfalls die allgemeinen kommunikativen Fähigkeiten. Die Diagnose und Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen liegt bei Ärzten und Logopäden. Wir stellen hier einige häufige Störungen vor und zeigen Ihnen außerdem, wie Sie die Kinder im Kita-Alltag unterstützen können.Text: Udo Elfert, Melanie Gräßer, Eike Hovermann
Bild: ©shapecharge/GettyImages
Was ist eine Sprachentwicklungsstörung?
Eine Sprachentwicklungsstörung ist ein schwerwiegendes Störungsbild. Das Kind hat Defizite in vielen Sprachbereichen: bei der Aussprache, der Grammatik, beim Wortschatz, beim Kommunikationsverhalten und/oder ebenfalls beim Sprachverständnis.
Viele Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung waren vorher Late-Talker. Ein Drittel aller Spätsprecher entwickelt eine Sprachentwicklungsstörung. Eine Sprachentwicklungsstörung kann um den dritten Geburtstag diagnostiziert werden, manchmal allerdings auch schon früher. Die Ursachen einer Sprachentwicklungsstörung sind vielfältig, zum Beispiel andere zugrunde liegende Erkrankungen wie Hörstörungen, genetische Syndrome, Autismus u. a. Vielfach sind die Ursachen einer Sprachentwicklungsstörung allerdings nicht bekannt.
Bedenken Sie: Das Sprachverhalten der Eltern ist nicht Ursache einer Sprachentwicklungsstörung. Eine spracharme Umgebung kann eine bestehende Sprachentwicklungsstörung allerdings verstärken, eine sprachreiche Umgebung kann sie abmildern.
Praxistipps zum Umgang mit Kindern mit einer Sprachentwicklungsstörung
Wenn Sie den Eindruck haben, dass das ganze Sprachsystem eines Kindes durcheinander ist oder das Kind in vielen Sprachbereichen erheblich verzögert ist, empfehlen Sie den Eltern – egal wie alt das Kind ist – möglichst zeitnah einen Arzt zur Diagnostik aufzusuchen.
Zusammenarbeit mit den Eltern
Führen Sie Elterngespräche, in denen Sie den Eltern sprachförderliches Verhalten nahelegen und mit ihnen anschließend konkrete Schritte und Umsetzungsmöglichkeiten vereinbaren. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Sie mit den Eltern einige Sprachbildungsstrategien aus Kapitel 1 besprechen und überlegen, welche sprachförderlichen Methoden die Eltern mit ihrem Kind einsetzen können (Bilderbuchbetrachtung, Rollenspiele).
Wichtig ist, dass konkret benannt wird: Wer macht wann was mit dem Kind? Die Erfahrung zeigt, dass – wenn nichts konkret vereinbart wird – oft
nichts umgesetzt wird. Eine Sprachentwicklungsstörung löst sich auch
in einer sprachförderlichen Umgebung nicht von allein auf. Die logopädische Therapie ist daher notwendig.
Eine sprachförderliche Umgebung
Verhalten Sie sich dem Kind gegenüber sprachförderlich und setzen Sie viele Sprachbildungsstrategien ein. Achten Sie vor allem darauf, die Sprechfreude des Kindes aufrechtzuerhalten und zu fördern. Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung sind auf kognitiver Ebene oft altersgemäß entwickelt. Orientieren Sie sich daher sprachlich formal am Sprachentwicklungsalter des Kindes (kurze Sätze, keine verschachtelten Satzstrukturen, einfache Wortwahl), inhaltlich aber am tatsächlichen Alter.
Praxisbeispiel: Sprachentwicklungsstörung
Ein Erzieher schaut sich mit einem Kind (3; 10 Jahre alt) auf einer Bank im Außenbereich ein Bilderbuch (Thema Baustelle) an. Das Kind hat eine diagnostizierte schwere Sprachentwicklungsstörung. Es zeigt Sprechfreude, wendet sich allerdings oft an die pädagogischen Fachkräfte und nur selten an die anderen Kinder.
Das Kind zeigt auf die aufgeschlagene Seite des Bilderbuches und sagt: „Dagger da teten.“
Der Erzieher hat es nicht verstanden, schaut das Kind an und fragt freundlich: „Was hast du entdeckt?“
Das Kind zeigt auf den Bagger und wiederholt: „Dagger da teten.“
E.: „Ja stimmt, da steht ein Bagger. Das ist ein ziemlich großer Bagger. Was macht der Bagger denn da?“
Das Kind macht mit den Händen eine Schaufelbewegungund sagt: „Dagger da … da …hmm.“
E.: „Der Bagger macht ein Loch. Der Bagger schaufelt ein Loch.“ Der Erzieher zeigt weiterhin auf die Schaufel und sagt: „… mit seiner großen Schaufel.“ Das Kind lächelt.
E.: „Hast du auch einen Bagger?“
Das Kind nickt und sagt: „Ga.“
Der Erzieher schaut das Kind freundlich an und wartet dann ab.
Nach einigen Sekunden sagt das Kind: „Haute Dagger piele.“
E.: „Hast du zu Hause einen Bagger?“
Das Kind nickt und sagt: „Haute Dagger.“
E.: „Du hast zu Hause einen Bagger. – Welche Farbe hat dein Bagger?“
K.: „Dote Dagger.“
E.: „Oh, du hast auch einen roten Bagger. Genau wie dieser. Dieser Bagger ist ebenfalls rot.“ Der Erzieher zeigt auf den Bagger im Bilderbuch.
K.: „Haute Dagger, Dant piele.“
E.: „Spielst du zu Hause denn auch mit deinem Bagger im Sand? Im Sandkasten?“
K.: „Ga.“
Nach einigen weiteren Minuten im Gespräch mit dem Kind fragt der Erzieher außerdem: „Möchtest du jetzt auch mit einem Bagger spielen?“
Das Kind zögert, lächelt dann und sagt: „Ga.“
E.: „Schau mal, Anni und Nils spielen im Sandkasten mit Baggern und Lastwagen.“ Der Erzieher zeigt auf die beiden Kinder im Sandkasten.
„Möchtest du da mitspielen?“
Das Kind zögert, es ist hin- und hergerissen.
E.: „Soll ich mitkommen und wir fragen zusammen?“
Das Kind nickt und sagt dann: „Ga.“ Der Erzieher und das Kind gehen zum Sandkasten. Kurze Zeit später spielt das Kind mit den beiden anderen im Sandkasten mit Baggern und Lastwagen.
Die Kinder sprechen beim Spielen angeregt miteinander.
Ein Gespräch entsteht
Der Erzieher hat in diesem Praxisbeispiel viele Sprachbildungsstrategien eingesetzt: das Auf-Augenhöhe-Sprechen, den Blickkontakt, die freundliche Stimme und das freundliches Gesicht, die Wiederholungen, die verbesserte Wiederholung und ebenfalls die Erweiterungen. Er wartet ab und lässt dem Kind Zeit zum Sprechen. Er stellt einige (einfache) W-Fragen (Was? Welche Farbe …?), aber auch geschlossene Fragen (Ja/Nein-Fragen).
Der Erzieher weiß, wie wichtig es gerade für Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung ist, mit anderen Kindern gleichen Alters zu kommunizieren. Er bindet das Kind daher geschickt in die Spielsituation der anderen Kinder im Sandkasten ein.
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