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Sich Freunde machen, vertraglich sein, auf Konsens hinarbeiten: Aus ethischer Sicht ist das immer gut. Auch in Kita und Grundschule. Aber ist eine Immer- Konsens-Gruppe nicht auch höchst langweilig – und dazu ohne Reibungsflache für Entwicklung? Was im Leistungssport völlig normal scheint – Kräftemessen unter fairen Bedingungen –, nimmt man im täglichen Zusammenleben oft negativ wahr: Leistung ist nicht so wichtig wie inklusiver Ausgleich. Ganz abgesehen davon, dass Inklusion im täglichen Miteinander mühselig ist, verpassen junge Kinder ein sehr wichtiges Erfahrungsfeld, wenn der Wetteifer ausbleibt.
Es geht hier um eine bestimmte Art von Konkurrenz: das Sich-gegenseitig- und-aneinander-Messen. Was steht zwischen dem sportlichen Anspruch „Der Beste möge gewinnen“ und dem Erziehungsparadigma, dass man Konkurrenz immer als Rivalität und somit als das Bose sieht?
Studentin: „Sag mir etwas über ein wichtiges Kind deiner Gruppe.“ Sergio: „Also da fällt mir sofort Jonas ein. Der ist nämlich mein Lieblingsgegner. Und mein bester Freund auch.“ Studentin: „Gegner und Freund zugleich – geht das?“ Sergio: „Und wie das geht! Freunde sind wir zu Hause. Wir laden uns gegenseitig ein. Wir spielen zusammen. Und wir lieben beide Fußball. In der Klasse sind wir Gegner. Wir wollen mehr Zettel machen (Anm. d. Verf.: gemeint sind Arbeitsblätter). Wir wollen jeder weniger Fehler haben und wir wollen im Sport immer besser sein.“
Klingt das nach Abwesenheit von Wohlbefinden? Im Gegenteil – offenbar ist in dieser konkreten Gruppe der kindliche Lernerfolg positiv belegt, sogar cool. Eine Folge: gute Leistungen. Und: Im Regelspiel kann ein versiertes Kind nicht gegen eine Novizin spielen – das ist auf Dauer langweilig. Der Spielpsychologe Rolf Oerter weist darauf hin, dass nur bei ebenbürtigen Mit- und Gegenspielern das Sich-Messen und Austesten der eigenen Fähigkeiten zum Hauptgegenstand des Spiels wird.
Betrachten wir die scheinbar unvereinbaren Pole Zusammenhalt und Konkurrenz. Die amerikanischen Autoren David Johnson, Robert Johnson und Mary Stanne argumentierten bereits zur Jahrtausendwende, dass es in den USA mehr als neunhundert wissenschaftliche Studien gibt, die die Effektivität des kooperativen Lernens gegenüber den Konkurrenz- und den individualistischen Ansätzen bestätigen. Die Crux: Produktive Konkurrenz jedoch – also das freudvolle gegenseitige Anfachen innerer Kräfte, um einzeln und gemeinsam im Wettstreit besser und besser zu werden und ohne dass Freundschaft und gegenseitige Achtung auf der Strecke bleiben, stattdessen sogar noch wachsen – hat man in diesem Kontext noch nicht untersucht.
Die Kindheitsforscherin Nina Bruck hat 2018 festgestellt, dass sowohl Konkurrenz als auch Motivationsprozesse mehrheitlich jahrgangsunabhängig stattfinden: Sergey und Mia bauen mit Steinen. Es geht darum, den höchsten Turm zu errichten. Die Kinder schauen beim Bauen immer wieder auf den Turm des anderen. Sie geben sich Tipps, wie man die Etagen verstärkt. Gleichzeitig lassen sie in den Zwischenbemerkungen keinen Zweifel, dass ihr eigener Turm „der höchste der Welt“ sein wurde. Als Mia sich zwischenzeitlich einen Stuhl holt, um Steine aufzuschichten, halt Sergey dem Mädchen den Stuhl fest, damit sie nicht fallt.
Schauen wir zunächst auf die Begrifflichkeiten: Was ist produktive Konkurrenz, wo ist die Abgrenzung zur Rivalität? Damit nahezu untrennbar verbunden: Wo hört eigentlich der Wettbewerbscharakter auf und wann beginnt Wettstreit? Die Erziehungswissenschaftlerin Nadine Seepe setzt in ihrer Studie zum Classroom-Management die Begriffe Wettbewerb und Konkurrenz partiell synonym. Gleichzeitig macht sie darauf aufmerksam: Aspekte wie Konkurrenzdenken, leistungsbezogener Neid und das Bestreben, besser zu sein als die anderen in Gruppen, sind völlig legitime Instrumente kindlichen Denkens. Warum legitim? Sie argumentiert aus einer biopsychosozialen Perspektive. Das biologische Wesen nimmt auch der Schriftsteller Bertolt Brecht in den Blick: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Wesentlich ist, in welchem Biotop sich Konkurrenz entwickelt und welche Faktoren sie positiv oder negativ einfärben. Finden Wettstreit und Elemente des Miteinander-Messens in einer geschützten, ritualgeprägten Institution wie der Kita statt, können solche Prozesse überwacht, geregelt und reflektiert werden. Eine weitere Voraussetzung für eine positive Färbung des Begriffs der Konkurrenz: das Gruppenklima. Es gilt als Überbegriff für eine ganze Anzahl an Dimensionen. Neben Konkurrenz stehen Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit, Qualität von Kommunikation oder auch das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Kindern einer Gruppe. Mit verschiedenen Instrumenten, wie dem Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen (FEESS) oder dem Klassen Kompass (KK-1), ist das Gruppenklima seitdem verlässlich messbar geworden. Hohe mittlere Werte bei Toleranz, Hilfsbereitschaft, Anstrengungsbereitschaft, Gefühl des Angenommenseins und Kohäsion beziehungsweise Zusammenhalt zeigen ein positives Gruppenklima. Störneigung und Aggression hingegen hindern das harmonische Gruppenklima. Interessant ist, dass die Instrumente Fragen zu Wettbewerb und Konkurrenz in ihrer Konstruktion ebenfalls negativ gewichten.
Bei unseren Kinderinterviews bemerken wir auch Überlegungen, die in eine andere Richtung zeigen und somit differenzierte Blicke fordern. In dieser Situation ging es um die Frage, wie das Kind seine eigene Art zu lernen entdeckt hat: Studentin:
„Und wie muss ich mir diese Zeit vorstellen?“ Arne: „Na ja, ich hatte von Schule ganz andere Ahnungen, ich dachte, ich kann da forschen und viel selbst machen. War nicht. Und meine Mama hatte schon Sorgen. Aber dann kam dieser fremde Junge in die Klasse und wurde gleich an meinen Gruppentisch gesetzt. Und der konnte scheinbar alles.“ Studentin: „Und wie war das für dich?“ Arne: „Und Henrietta und Samira fanden den gut und er vertrug sich gleich mit allen. Und da habe ich gedacht: Warte mal, da geht noch was. Und dann musste ich immer besser sein als der, das war wie so ein … ein, das kam so von innen. Und das hat bis jetzt gehalten.“
Die Soziologin Joyce L. Epstein betont, dass eine zu große Ähnlichkeit in kindlichen Freundschaften Kinder jedoch auch belasten kann. In solchen Beziehungen ist es gut möglich, dass sich Langeweile einschleicht, da alles zu vorhersehbar scheint.
Eine weitere, parallele Gefahr ist ein zunehmendes Konkurrenzdenken, da die eigene Individualität der der Individualität des Freundes zu sehr gleicht. Auf der anderen Seite sieht Epstein, dass Freundschaften, die durch zu große Unähnlichkeit gezeichnet sind, ebenfalls vor großen Herausforderungen stehen.
Wir können es drehen und wenden – Konkurrenz und das Bedürfnis, sich mit analogen Gegnern zu messen, scheint ein ursprünglicher biologischer Impuls zu sein. Wir sollten ein derartiges Verhalten nicht überbewerten, sondern distanziert begleiten. Eine ganze Reihe von werthaltigen Lernfeldern wird tangiert: die Antizipation („Lege ich mich mit dir an?“), die Wahl von Modalitäten zwischen Konfrontation und Hinterlist („Bin ich starker, geschickter, schneller, besser als du?“) bis hin zu Möglichkeiten, ohne Gesichtsverlust aus einer Sache herauszukommen („Wollen wir das mal aushandeln?“). Nicht zuletzt wird Frustrationstoleranz geübt, wie diese Beobachtung vom Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel:
Nachdem Arda eine Vier würfelte und so Gideons Hütchen rauswarf, empörte sich dieser deutlich: „Nein, nein, geht nicht, ey.“ Er ließ den Zug aber gelten und akzeptierte widerwillig den Rauswurf. Bünyamin hatte keinen guten Würfelstart, denn er warf lange keine Sechs, was ihn zunehmend ärgerte. Er schimpfte auf den Würfel und die Tischplatte. Die Mitspielenden beachteten das gar nicht. Sie waren mit ihrem Spiel, dem Zahlen und später auch dem Rauswurf beschäftigt. Die Erleichterung Bünyamins war groß, als er endlich eine Sechs würfelte: „Eine Sechs! Ich darf auch mal.“
Wenn Kinder dieses Alters mit ihren Peers Kompromisse aushandeln, etwa um ein Spielzeug zu bekommen, zeigen sie altersbedingt eher Konkurrenz- als Kooperationsverhalten. Und unsere Instrumente dagegen sind ziemlich stumpf. Erstens können wir von jungen Kindern noch keine Einsicht in Notwendigkeiten, wie prosoziales Agieren, erwarten, besonders dann nicht, wenn wir sie ausschließlich kognitiv vortragen. Hier schlagt der Biologismus, also Durchsetzen oder Fluchten, fast jegliche Argumentationsgewalt. Kinder entwickeln intensive und intime, meist gleichgeschlechtliche Freundschaften und soziale Zuneigungen, je mehr sie sich der Adoleszenz nähern. Dann wollen sie die Wünsche ihrer Freundinnen und Freunde erfüllen und versuchen, Aktivitäten zu wählen, die alle zufriedenstellen.
Der amerikanische Psychologe Thomas J. Berndt hat bereits in den 1980er-Jahren nachgewiesen, dass junge Erwachsene dann auch aufhören, mit ihren Freundinnen und Freunden zu konkurrieren und die sozialen Bedürfnisse des anderen berücksichtigen. Aber: Verschiedene jüngere Studien geben Hinweise, dass konkurrierendes Denken auch in einer Freundschaft nicht ganz verloren geht. Wenn Situationen starke Konkurrenz auslosen, konkurrieren sogar Erwachsene mehr mit einer Freundin oder einem Freund als mit Fremden.
Die Modalitäten, wie Freunde Konkurrenz handhaben oder sie vermeiden, sind abhängig von Qualität und Dauer der Beziehung. Der Sozialpsychologe Melvin J. Lerner hat die gleichzeitige Identifikation mit einem engen Freund als „einem anderen Selbst“ und die parallele Erkenntnis, dass ein Freund ein Gegenspieler, eine Freundin eine Rivalin sein kann, sehr deutlich herausgearbeitet. In ihrer Konsequenz fordert Ähnlichkeit Identifikation, und sozialer Vergleich kann zu Konkurrenz fuhren. Das zeigt sich ebenfalls in unseren Kinder- Interviews: Studentin:
„Geht es bei euch auch um ‚besser als die andere‘?“ Melinda: „Manchmal. Also wenn wir miteinander spielen nicht, wir wollen beide in die Puppenecke, aber da ist ja Platz. Besser bin ich, weil Mama mir viel mehr kauft als Ceren. Aber Ceren hat eine viel größere Familie, die hat drei Brüder. Ich hab‘ nur mich.“
Letztlich wird das Feld der Konkurrenz durch Prozesse der natürlichen Differenzierung moderiert. Kinder im Vorschulalter wissen recht genau, was sie sich zutrauen und mit wem sie sich messen wollen und können. Eine Studentin erzählt, dass sie, seit sie vier Jahre alt war, Theater spielt. Ihre erste Rolle war die einer Schneeflocke. Sie blickte voller Bewunderung auf die Älteren, die die Hauptrollen spielten. Abgelehnt hatte sie eine solche Rolle wohl nicht, resümiert sie. Aber es wäre ihr auch niemals in den Sinn gekommen, eine solche Rolle in diesem Alter – und vor allem mit den aktuellen sprachlichen Mitteln und Ausdrucksmöglichkeiten – für sich zu reklamieren. Kinder messen sich meist nur mit vergleichbaren Rivalinnen oder Rivalen. Und lernen zu siegen und zu verlieren, Kompromisse zu schließen und zu verhandeln. Im Spiel passiert das in Form von Als-ob-Situationen, und wir schauen nicht ängstlich darauf, ob das Kind Schaden nimmt. Warum also müssen Kinder immer auch realen Wettstreit suchen – mal mehr, mal weniger? Schon der Philosoph Claude Adriene Helvetius hatte eine Ahnung: „Der Wetteifer bringt die Genies hervor, und der Wunsch, sich auszuzeichnen, erzeugt die Talente.“ ◀
LITERATUR
BERNDT, THOMAS J. (1982): Fairness and friendship. In: Kenneth H. Rubin; Ross, Hildy S. (Hrsg.): Peer relationships and social skills in childhood. New York: Springer. Seite 253–278.
HELVETIUS, CLAUDE-ADRIEN (1976): Vom Menschen, von seinen geistigen Fähigkeiten und von seiner Erziehung. Berlin (Ost) und Weimar: Aufbau Verlag. Seite 27.
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