Was Rituale alles leisten
Rituale geben Orientierung und Halt, können darüber hinaus
aber noch mehr. Kindertagespflegepersonen berichten:
- Rituale nehmen das Tempo aus dem Alltag und schaffen einen Raum, in dem sich alle Kinder gleichzeitig und gleichermaßen gesehen fühlen:
„Ich habe fünf Tageskinder, aber nur zwei Hände. Wenn wir nach draußen wollen, singe ich „1,2,3, die Kinder kommen herbei“. Alle Kinder wissen dann, was jetzt passiert, und setzen sich auf die kleine Stufe. Wenn meine Älteste, Matilda (2 Jahre), fertig ist, hilft sie den jüngeren Kindern. Niemand ist ungeduldig, weil alle wissen, wie es weitergeht, und ich begleite mein Handeln durch Sprache.“
- Rituale unterstützen die Selbstständigkeit der Kinder:
„Auch das Händewaschen leite ich mit einem Lied ein. Jedes Kind hat einen eigenen, andersfarbigen Waschlappen. An der Textstelle ‚auch der kleine Mund‘ waschen die Kinder dann zum Beispiel selbstständig ihren Mund, und ich unterstütze nach Bedarf. Die Kinder lieben es, möglichst viel selbst zu tun, und das Lied leitet sie. Manchmal ist die Stimmung aber auch nicht nach einem Lied, dann summe ich die Melodie nur leise, dafür entwickelt man ein gutes Gespür.“
- Rituale sind hilfreich in der Eingewöhnung:
„Für das Tageskind in der Eingewöhnung bin ich eine unbekannte Frau – alles ist fremd. Durch die Rituale, die das Tageskind in der Eingewöhnung beobachtet und miterlebt, werde ich verlässlich, es wird absehbar, was passiert, ich werde vorhersehbar für das Kind. Es kann sich orientieren und sicherer werden. Manchmal ändere ich im Alltag ein Ritual oder lasse es weg, zum Beispiel im Sommer, wenn es heiß ist und wir zügig nach draußen wollen, bevor die Sonne zu sehr scheint. Aber nicht in der Eingewöhnung!“
Rituale dürfen nicht zu Regeln werden
Ein wichtiger Aspekt in allen Gesprächen war der besondere Charakter von Ritualen – spielerisch, selbstverständlich und frei. Rituale unterscheiden sich von Regeln. Als Kindertagespflegeperson sind Sie es gewohnt, Ihr eigenes Handeln immer wieder zu reflektieren. Auch Rituale brauchen hin und wieder den Blick aus der Vogelperspektive: Passen meine Rituale noch zu mir und meinen Tageskindern? Ein guter Kompass hierbei ist Ihr Bauchgefühl: Stellt sich ein positives Gefühl ein, wenn Sie an eins Ihrer Rituale denken – oder eher Stress und der Druck, die Kinder disziplinieren zu müssen? Dann könnte es sein, dass ein Ritual zu einer Regel geworden ist. Und das wird mitunter verwechselt beziehungsweise sollte nicht so sein, denn während Regeln rational begründet sind und, so es geht, mit den Kindern entsprechend dem Alter gemeinsam ausgehandelt und festgeschrieben werden, wirken Rituale eher durch ihre Symbolkraft und haben Aufforderungscharakter. Rituale sind wie Anker und Leuchttürme. Sie sollten sich nicht zu Verkehrsschildern verwandeln. Dann wird es unter Umständen Zeit, ein neues Ritual zu finden.
Reflexionshilfe
- Was bedeuten Rituale für mich in der täglichen Arbeit?
- Inwieweit helfen und unterstützen die Rituale mich selbst als Kindertagespflegeperson?
- Gibt es ein Ritual, das besonders hilfreich im Alltag ist?
- Welches Ritual mag ich selbst besonders?
- Gibt es ein Ritual, das eher stresst als hilft? Möchte ich es streichen oder durch ein anderes ersetzen?
Manche Rituale pflegt man nur für einzelne Kinder und Kinder bringen eventuell auch eigene Rituale in die Kindertagespflegestelle mit. Das erleichtert ihnen und auch den Kindertagespflegepersonen den Alltag und auch die Kinder lernen so voneinander. Manche Rituale sind wie Wanderbojen, die immer weitergegeben werden und unter Umständen vielleicht kleine Alltagshilfen für Eltern werden.
„Wenn die Tageskinder älter werden und mit Rollenspielen beginnen, finde ich dort sehr oft meine Lieder und Rituale wieder. Ein Beispiel: Wenn die Puppe schlafen geht, wird das bekannte Lied gesungen. Das bedeutet für mich, dass die Tageskinder meine Rituale verinnerlichen und sie für sich als hilfreich annehmen.“
„Manchmal kommt ein Kind im Laufe des Tages zu mir und drückt mir die Rassel in die Hand, damit ich noch einmal seinen Namen singe. Dann weiß ich, dass die Kinder dieses Ritual gernhaben.“
Es hat Freude gemacht, mit Kindertagespflegepersonen über das Thema Rituale zu sprechen. Die Vielfalt und Kreativität in der Umsetzung haben mich beeindruckt. Es bleibt mir an dieser Stelle noch, mich bei allen Kindertagespflegepersonen zu bedanken, die ich interviewen durfte, und Sie alle herzlich einzuladen, Ihre eigenen Rituale zu pflegen, zu reflektieren und lebendig zu halten.
Praxisidee „Bilderbuch der Rituale“
Fotografieren Sie Gegenstände und Utensilien, die für die unterschiedlichen Rituale in Ihrem Alltag stehen: die Küche mit Topf, den Teller mit dem Glöckchen zum Essenslied, den Schlafraum mit Kissen und Schnuller, das Fenster zum Winken, Krippenwagen oder Buggy zum Spazierengehen, den Markt, auf den man einmal in der Woche geht … Erstellen Sie aus diesen Bildern ein kleines Fotoalbum, indem Sie die Fotos laminieren und lochen oder in ein fertiges kleines Album schieben. Sie können dieses Bilderbuch gemeinsam mit den Kindern betrachten oder auch den Eltern mitgeben, die es sich mit den Kindern zu Hause gemeinsam anschauen und darüber sprechen können.
Ihnen hat dieser Artikel "Viele kleine Fische schwimmen jetzt zu Tische – Rituale im Alltag als Anker für sich selbst und die Kinder nutzen" gefallen? Weitere Tipps, Wissenswertes und Ideen finden Sie in unserer Zeitschrift ZeT. Hier bestellen!