04.08.2021
Dorothee Gutknecht

Tabuthema Ekel – Professioneller Umgang mit einem schwierigen Gefühl

Ekelgefühle beim Wickeln, Popo-Abputzen, Ausspülen kotverschmierter Kleidung: gar nicht so selten – aber weitgehend ein Tabu in der Frühpädagogik. Dabei ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wenn man selbst in seinem pädagogischen Alltag davon betroffen ist.

Susanna macht ein Praktikum bei der langjährigen Tagesmutter Elke. Alles klappt gut, nur beim Wickeln hakt es. Susanna hat scheinbar mit heftigen Ekelgefühlen zu kämpfen. Auch versucht sie zuweilen, es so einzurichten, dass sie um das Wickeln herum kommt. Es hat schon Spannungen deswegen gegeben. Und Susanna ist das Ganze hochgradig unangenehm. Strebt sie doch den falschen Beruf an?

Tabuthema Ekel – und die damit verbundenen Risiken

Eine intensive Auseinandersetzung mit der Emotion Ekel findet bisher in der Frühpädagogik kaum statt. Ekel ist aktuell immer noch eher ein Thema in den Nachbardisziplinen wie der Psychologie – hier gibt es eine eigenständige Ekelforschung – und in den Pflegewissenschaften. Internationale Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder, die noch keine Ausscheidungsautonomie erreicht haben, in Institutionen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, Opfer von Übergriffen bis hin zu Misshandlungen zu werden (vgl. Yoo 2012; Ringel 2000). Auch wurde in Interviews von Beschimpfungen ohne jedes Maß berichtet (vgl. Gutknecht 2021 in Vorb.). Ekel kann in einem hohen Maße Feindseligkeit auslösen. Der Psychologe Izard sprach in seiner Forschung von einem Feindseligkeitsdreieck aus Wut, Verachtung und Ekel (vgl. Izard 1999).

Ekel hat auch eine Schutzfunktion

Ekel zeigt uns schon von frühester Kindheit an, was toxisch, infektiös und ungenießbar ist (vgl. Gutknecht 2020a). Ekel vor bestimmten Substanzen wird hier in der Interaktion mit einem Gegenüber gelernt. Wenn Erwachsene dem Kind ihr Ekelgesicht zeigen, signalisieren sie damit: Diese Substanz ist gefährlich! Der Geruch, der Geschmack und die Konsistenz von verdorbenen Lebensmitteln erregen spontan Ekel. Es kann Übelkeit entstehen, die mit vermehrter Speichelbildung verbunden ist. Der Widerwille steigert sich nicht selten bis zum Erbrechen. Oft bricht kalter Schweiß aus. Kurzatmigkeit, Blutdruckerhöhung und Herzrasen können auftreten. Das typische Ekelgesicht mit der Hebung der Oberlippe hat eine Signalwirkung auf die Umgebung und löst nicht zuletzt durch die Spiegelneurone Abwehr und das Bedürfnis nach Abwendung von der Ekel auslösenden Substanz aus.

Professionelles Ekelmanagement

Für den Berufsalltag mit Kleinkindern ist wichtig zu sehen, dass sich die in diesem Bereich arbeitenden Fachkräfte deutlich darin unterscheiden können, wie intensiv sie Sinnesreize wie üble Gerüche, unangenehme Haptik, widerwärtigen Geschmack wahrnehmen. Jede Person hat hier eine individuelle Sensitivität. Nicht nur der Umgang mit Ausscheidungen beim Wickeln, auch ein volles Töpfchen oder ein übelriechender Toilettenraum kann Ekel auslösen, ebenso wie klebrige Oberflächen oder verschmutzte Kleidung. Doch obwohl pädagogische Fachkräfte Wichtig in der Arbeit mit dem Kind ist es, sich zunächst einmal der eigenen Ekel-Reaktion bewusst zu sein – und sie nicht gegen das Kind zu wenden. Entsprechende Äußerungen („Iiiih, das stinkt aber, bäh, wie eklig …“) – womöglich verbunden mit entwürdigenden „Hosenkontrollen“ – dürfen nicht fallen (vgl. Gutknecht & Haug-Schnabel 2019). Hier bestehen auch Risiken, dass Kinder versuchen, das Ausscheiden zu vermeiden, was zu Bauchschmerzen und Verstopfungen führen kann.

Wichtig: darüber sprechen

Ein offener Austausch bei Netzwerktreffen, in Supervisionen oder ähnlichen Zusammenkünften von Kindertagespflegepersonen kann hilfreich sein – zum einen, weil deutlich wird: Es geht nicht nur mir allein so; zum anderen, weil so mögliche Umgangsweisen mit Ekelgefühlen angesprochen werden können. Auch ein gut ausgestatteter Wickelplatz mit ausreichend hohem Wickeltisch und einige Strategien, mit Ekelgefühlen angemessen und offen umzugehen (s. Kasten), können zu einem professionellen Ekelmanagement beitragen (vgl. Gutknecht 2020a). unvermeidlich Erfahrungen mit Ekel im pädagogischen Alltag machen, spricht kaum jemand darüber.

Literatur
Gutknecht, D. (2021, in Vorb.): Ekelmanagement in der Kita. In: Aspekte U3 – Frühpädagogik Netzwerk QuiKK.
Gutknecht, D. (2020a): Herausforderung Ekel in der Kita. In: Kindergarten Heute. Ausgabe 11/12 2020, S. 10 – 13.
Gutknecht, D. (2020b): 5 Strategien, um besser mit Ekelgefühlen umzugehen. Eine Arbeitshilfe fürs Team. In: Kindergarten Heute. Ausgabe 11/12 2020, S. 14 – 15.
Gutknecht, D. & Haug-Schnabel, G. (2019): Windel adé. Kinder in Krippe und Kita achtsam begleiten. Freiburg: Herder.
Gutknecht, D.; Stehmeier, S. & Daldrop, K. (2018b): Responsives Handling – Teil 1: Mehr als nur Windelwechseln. In: Kleinstkinder in Kita und Tagespflege. 6/2018, S. 8 – 11.
Izard, C.E. (1999): Die Emotionen des Menschen: Eine Einführung in die Grundlagen der Emotionspsychologie. Weinheim: Beltz.
Kállo, È. (2015): Auf dem Weg zur Sozialisation: In Frieden mit mir – in Frieden mit anderen. In: Tardos, A. & Wemer, A.: Ich, Du und Wir. Frühes soziales Lernen in Familie und Krippe. 2. überarb. Aufl. Berlin: Pikler-Gesellschaft, S. 85 – 101.
Pernlochner-Kügler, Ch. (2004): Körperscham und Ekel – wesentliche menschliche Gefühle. Münster: LIT Verlag.
Ringel, D. (2017): Ekel in der Pflege – eine ‚gewaltige‘ Emotion. Frankfurt: Mabuse.
Yoo, H. (2012): Training Materials: Targeting the big three. https://opwdd.ny.gov/opwdd_community_ connections/autism_platform/behavior_management/targeting_the_big_3.

Strategien des Ekelmanagements im pädagogischen Alltag –

  •  Sammeln Sie sämtliche Ekel-Situationen im Tagespflege- Alltag. Analysieren Sie dafür jeden Raum/Bereich. Beziehen Sie auch die Außenräume ein.
  • Mildern Sie potenzielle Ekelsituationen über die Ausstattung ab: Achten Sie auf frische Farben, gute Belüftung, Zugänglichkeit zu Hilfsmitteln, leicht zu reinigende Oberflächen, ergonomische Optimierung.
  • Konzentrieren Sie sich auf klare Abläufe und „Techniken“ (Handling), um Ekelgefühle zu minimieren, nutzen Sie die Choreografie der Pflege (das heißt: Wickeln als ein festgelegter, dabei aber in sich flexibler Ablauf, der einerseits für das Kind erwartbar ist, andererseits aber auch Spielraum für Improvisation, Eingehen auf die aktuellen Bedürfnisse des Kindes und dialogische Prozesse lässt) im Sinne der Pikler-Pädagogik (vgl. Gutknecht & Bader 2018, Kállo 2015).
  • Nutzen Sie Schutzkleidung, um Ekelgefühle zu reduzieren. – Um den Geruch zu entfernen, der in der eigenen Kleidung hängen zu bleiben scheint, kann es sinnvoll sein, sich umzuziehen.
  • Experimentieren Sie mit Gegengerüchen wie Raumspray und ätherischen Ölen. Aber Vorsicht bei schwierigen Geruchsmischungen!
  • Typische Ekel-Antworten des Körpers, wie Abwenden etc., wenn es irgend möglich ist (auch sicherheitstechnisch), positiv bewerten und nutzen.
  • Gezielte Auszeiten nach Ekel auslösenden Tätigkeiten einlegen: an die frische Luft gehen, neutralisierende Getränke wie Kaffee oder Tee trinken.
  • Extrem belastende Tätigkeiten möglichst nicht allein ausführen (z. B. Reinigung einer kotbeschmierten Wand im Bad).

nach Gutknecht 2020a, b; Pernlochner-Kügler 2004

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