Kolleg:innen, die einen Teil ihrer Identität vor der Kitatür lassen und stets angespannt auf weitere Stiche warten, können nicht ihr volles Potential entfalten. Sie verschwenden Ressourcen, die ihre Konzentration schwächen können und sie anfälliger für Erkrankungen machen. Oft fühlen sie sich weniger zugehörig und gestalten nicht so gern mit. Ihre Perspektive fehlt beim Planen von Bildungsangeboten und in der Zusammenarbeit mit Eltern. Dabei könnten sie wichtige Schlüsselinformationen beisteuern. Damit sich das ändert, braucht es Teamangebote, die die einen empowern, sprich ermächtigen, und die anderen sensibilisieren.
Was ist damit gemeint? Die einen müssen für Vielfaltsdimensionen und Diskriminierung sensibilisiert werden und müssen die eigenen Privilegien begleitet reflektieren. Nur so kann man Wertigkeiten und Ausgrenzung erkennen und angehen. Gleichzeitig müssen von Diskriminierung Betroffene gestärkt werden, damit sie raus aus der Individualisierung und hinein in die Stärkung ihres Selbstwertes finden können. Beides in ein Angebot zu gießen, benötigt Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Immer wieder finden wir auch in ein und derselben Person beide Bedarfe. Das ist kniffelig. Generell empfiehlt es sich hier, von erfahrenen Fachkräften begleitet zu werden.
Familien wirklich sehen
Was sind relevante Informationen über Familien? Eine gute Frage. Hier sind sich Kolleg:innen viele Male nicht einig. „Ich brauche nicht so viel zu wissen. Das Kind ist da und ich nehme es ganz individuell wahr. Es zählt doch mein Kontakt im Hier und Jetzt mit dem Kind.“ Ist das so? Reicht das? Kinder sind für Eltern und sehr nahe Bezugspersonen oft das Wichtigste im Leben, auch wenn es nicht immer so scheint. Aber wer entscheidet eigentlich, wie so was aussieht? Kinder machen verletzlich. Kinder können die emotionalsten Seiten von Erwachsenen zum Vorschein bringen. Das macht die Zusammenarbeit mit Familien manchmal so gefühlsstark. „Ist mein Kind hier sicher?“, „Werden wir als Familie wertgeschätzt?“, „Bekommt mein Kind, was es braucht? Oder auch was ich denke, was es braucht?“, „Kann ich mein Kind mit gutem Gefühl in der Kita abgeben?“, „Kann ich vertrauen?“, „Ist mein Kind hier sicher (und zum Beispiel vor Rassismus geschützt)?“.
Damit Kinder positiv in der Kita ankommen können, müssen sie das Gefühl haben, gut gehen zu können. Sie brauchen die Rückversicherung ihrer Liebsten von zu Hause, nur dann können sie sich auf Bildungsangebote einlassen, kann sich ihr Gehirn gut entwickeln.
Was bedeutet es, feinfühlig mit den Eltern zusammenzuarbeiten? Unter anderem muss man regelmäßig den Gedanken zulassen, dass alles vielleicht ganz anders ist, als wir meinen. Türkisch ist nicht immer muslimisch, weiblich nicht immer backbegeistert, jung nicht immer unsicher, genauso wie Patchwork nicht immer Chaos bedeutet. Wenn wir uns erlauben, offen und neugierig hinzuschauen, können wir entdecken, wie häufig erste Annahmen, Stereotype und Vorurteile daneben liegen. Damit das passieren kann, brauchen wir nicht nur echten, interessierten Kontakt zum Kind, sondern auch zu dessen wichtigen Erwachsenen. Wir müssen erkennen und erfahren, wer Diskriminierung zu spüren bekommt und brauchen Basiswissen zu Diskriminierungsmerkmalen wie Hautfarbe, Behinderung, Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung, sozialem Status, Religion, Lebensalter und Sprache. Nur dann können wir Familien gleichberechtigt wertschätzen und Kinder in all ihren Identitätsaspekten stärken.
Wer backt einen Kuchen fürs Büfett?
Eltern vorurteilsfrei um ihre Mithilfe bitten
Reflexionsfragen:
- Wir brauchen einen selbst gebackenen Kuchen, wen fragen wir?
- Wem unterstellen wir, dass er oder sie gern backt?
- Bei wem erhoffen wir uns sofort ein unterstützendes Ja?
- Wen fragen wir nicht und warum eigentlich?
- Wie fühlen sich die Kinder, der jeweiligen (un-)gefragten Erwachsenen?
- Warum fragen wir nicht einfach rigoros alle, machen dies auch transparent und schauen, was passiert?
Mögliche Anrede der Eltern: „Könnten Sie für morgen einen Kuchen für uns backen? Nicht wundern. Ich frage heute alle und freue mich, wenn jemand zusagt. Man sieht es Menschen ja nicht an, ob sie gern backen und heute Zeit haben.“
Feinfühlig mit Kindern
Feinfühlig im Alltag mit Kindern zu sein, bedeutet, jedem einzelnen Kind aufmerksam und offen zu begegnen. Das sehen viele Kolleg:innen so und leben dies – liebevoll, individuell und mit Hingabe, trotz Zeitnot, Engpässen und wenig gesellschaftlicher Anerkennung. Um die Kinder geht es den meisten. Sie waren der Grund, den Beruf auszuwählen, nicht die Elternarbeit. Mit Kindern zu arbeiten, heißt, die Gesellschaft von morgen ins Leben zu begleiten. Es ist wichtig, einen individuellen Blick auf jedes Kind zu haben. Gleichzeitig muss man die Strukturen, die die Kinder mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen ins Leben starten lassen, sehen und verstehen. Den einen ermöglicht unsere Gesellschaft einen bequemen Schnellstart, die anderen schickt man mit viel Gepäck auf einen komplizierten Hürdenlauf. Was hier schnell passiert, ist, dass wir die Startpositionen von Menschen individualisieren. Beispielsweise stärken die Medien im Hinblick auf den sozialen Status häufig den Gedanken, dass alle die gleichen Möglichkeiten hätten und manche nur zu faul oder nicht in der Lage seien. Sich eben nicht genügend Mühe geben oder individuelles Pech haben. Wir wissen allerdings schon lange, dass ein vermeintliches Versagen im Bildungssystem nichts Individuelles ist, sondern viele Strukturen starke Trennlinien ziehen. Auch unsere Hautfarbe lässt uns (in einigen Fällen selbst vor unserer Geburt) anders ins Leben starten. Kinder, die man ab ihrem ersten Lebenstag allein wegen ihrer Hautfarbe abwertet und zu etwas Besonderem macht, werden dadurch geprägt. Fachkräfte müssen das wissen, verstehen und in ihre Arbeit einbeziehen, wenn sie Kindern gleichberechtigte Bildungschancen ermöglichen wollen. An dieser Stelle brauchen Fachkräfte Unterstützung, Fortbildung und Ansprechpersonen.
Feinfühlig und diversitätsbewusst mit Kindern und Familien umzugehen, gelingt Fachkräften besser, wenn sie wissen, wie es sich anfühlt, ganzheitlich gesehen zu werden. Und sofern sie erleben, dass man sie im Team, durch die Leitung und die Struktur mit all ihren Identitätsaspekten (seien sie selbst gewählt oder hineingeboren) sieht, bedenkt und wertschätzt. Sobald Erzieher:innen das Gefühl haben, einen Teil ihrer Identität am Tor stehen lassen zu müssen, werden sie schneller denken, dass es nicht wichtig ist, Informationen über Familienleben und Vielfaltsaspekte von Kindern in Erfahrung zu bringen. Und sie werden sich weniger bemühen, wertschätzende Sichtbarkeit zu gestalten sowie sich gegen Ausgrenzung und Einseitigkeiten stark zu machen.
Daniela Thörner ist Sozialpädagogin, Diversity-Trainerin und Sexualpädagogin. Sie gibt Fortbildungen und Workshops, hält Vorträge, berät Fachkräfte und gibt Onlinekurse für Leitungskräfte auf www.kibequa.de. Sie ist Autorin des Buches „Mädchen, Junge, Kind“. Und bietet für Eltern zudem Onlinekurse auf www.sonnenscheinzeit.de an. Kontakt: www.daniela-thoerner.de
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