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Bildung zur nachhaltigen Entwicklung (BNE) ist in aller Munde. Im Kita-Bereich haben wir an vielen Stellen verstanden, dass wir die Zukunft nur dann lebenswert gestalten können, wenn uns ein grundlegender Wandel gelingt. Viele setzen dabei BNE mit ökologischer Bildung gleich. Kinder bepflanzen Hochbeete, Elternbeiräte bohren Insektenhotels. Fachzeitschriften sind voll von Projektbeispielen zu Müll-trennung, Gemüseanbau und Upcycling-Ideen. Aber reicht das?
Das Beispiel des Wildbienenprojekts bei den Waldkindern Regens-burg zeigt, was Natur bei BNE bedeutet und was es darüber hinaus noch braucht, um eine nachhaltige Bildungskultur zu schaffen.
„Herzlichen Glückwunsch, Sie sind für den Deutschen Kita-Preis nominiert.“ Unser Bündnis „Bine – BNE für angehende pädagogische Fachkräfte“ hat es mit dem Wildbienenprojekt unter die Finalisten der höchsten deutschen Auszeichnung für Bildungseinrichtungen geschafft. „Die Oscars“, wie Moderatorin Barbara Schöneberger bei der Verleihung sagen wird. Was für eine Ehre!
Eigentlich begann alles eher ungemütlich: mit einer Wespenplage in unserem Waldkindergarten. Die Waldkinder Regensburg erlitten zahlreiche Stiche und hatten zunehmend Angst vor den Mitbewohnerinnen ihres Waldgrundstücks.
Um ihnen die Furcht zu nehmen, griffen die Pädagoginnen das Thema im Gruppengespräch auf und schauten genau hin. Wer und was ist das eigentlich, das da so nervt? Und was tummelt sich hier noch? So fanden die Kinder heraus: Da sind nicht nur Wespen, es gibt auch Hummeln und andere Wildbienen. Im Gegensatz zu ihren neugierigen Verwandten interessieren sich Wildbienen aber weder für die mitgebrachte Brotzeit, noch stechen sie. Vom Leidensdruck und der Hoffnung auf Besserung getrieben, suchten die Waldkinder nach Lösungen. Sie konsultierten Nachschlagewerke, befragten Expertinnen zu den Lebensgewohnheiten der Insekten und holten den Rat von Biologen und Landschaftsgärtnern dazu ein, wie man ihnen geeigneten Wohn- und Lebensraum bieten könnte. Mit vereinten Kräften legten Kinder, Eltern, Fachkräfte und Experten eine Wildbienenwiese im angrenzenden Flurgebiet an. Die Wildbienen nahmen das Angebot gerne an. Neben dem artgerechten Lebensraum für Nützlinge war auch ein neuer Erholungs- und Erfahrungsraum für Klein und Groß entstanden. Die Wespen verschwanden durch dieses Projekt zwar nicht, mit der Gestaltung der Bienenwiese hatten wir uns jedoch auf einen an-deren Platz fokussiert und waren dadurch nicht mehr so betroffen.
Die Natur als Lehrerin
Am Beispiel der Wiese zeigt sich, wie das Zusammenwirken der verschiedensten Akteure zu einer nachhaltigen Entwicklung und zu nachhaltiger Bildung führt. Die Natur wirkt als Katalysator für beides.
Wann immer es um BNE und Naturerleben im Kindergarten geht: Irgendwann fällt der Satz „Was man liebt, das schützt man“. Wenn die Kinder in der Natur sind, fühlen sie sich mit ihr verbunden und entwickeln mehr ökologisches Verantwortungsbewusstsein. Dieser seit den siebziger Jahren bekannte psychologische „Effekt des bloßen Kontakts“ wirkt nicht nur bei raffinierten Werbeplatzierungen in den sozialen Medien, sondern auch im analogen Erleben. Wir mögen, was wir kennen.Kinder sollen ihre Umwelt lieb gewinnen, sie verstehen und so besser schützen können und wollen. Trotzdem greift diese Aussage zu kurz. Die Bedeutung der Natur für die frühkindliche Bildung geht weit über das romantisierte Bewahren, ja, selbst weit über die Nachhaltigkeits-bildung hinaus:
Die Natur regt nachhaltige Bildungsprozesse an, weil sie uns emotional berührt. Angefangen bei der Motivation: Das Wildbienenprojekt hatte einen sehr unromantischen Ausgangspunkt. Die Kinder starteten es, um ihre eingeschränkten Spielräume zurückzugewinnen. Leidens-druck statt Liebestat. Die lernpsychologische Forschung konnte in verschiedenen Studien belegen, dass nicht nur positive Emotionen sich auf die Lernmotivation auswirken, sondern auch unangenehme Empfindungen einen aktivierenden Charakter haben können.
Die Natur mit ihrem Sosein richtet sich nicht nach den Menschen und bringt uns gerade deshalb in Aktion. Ob wir morgens im langen Schatten der Bäume frösteln, uns aus Sympathie oder Leidensdruck für Wildtiere engagieren oder einfach nur die Langeweile vertreiben wollen: die Natur fordert zum Selbsttätigwerden auf, weil sie uns das Aktivsein nicht abnimmt. Wir Menschen, unser Wohlbefinden und unsere Bildungsprozesse sind der Natur egal.
Aber: Sie bringt uns ins Erfahren und deshalb auch in Bewegung. Menschen treten in Resonanz mit ihrer natürlichen Umgebung, sie reagieren empathisch und lassen sich aktivieren. Dass die Natur in ihrem Charakter so auffordernd ist, rührt aus den immer wieder angepassten Lernaktivitäten und Entwicklungs-schritten der Kinder. So bietet etwa ein Baumstamm den Jüngsten Halt beim Aufstehen, später ist er ein Hindernis, über das sie klettern können, und dann bildet er einen Balken zum Balancieren.
Die Dimensionen der Nachhaltigkeitsbildung (Ökologie, Ökonomie und Soziales) finden ihren Ursprung im Naturerleben. Im Wildbienenprojekt lernten die Kinder ökologische Zusammenhänge kennen und schätzen. Gleichzeitig erfuhren sie aber auch viel über sich selbst und er-lebten konkrete Mehrwerte, die aus dem gemeinsamen Handeln entstanden sind. Nachhaltige Bildung im Sinne eines langfristigen Gewinns an Kompetenz geschieht dort, wo sich Lerninhalte mit Emotionen verknüpfen. Im Naturraum passiert das wie von selbst.
Lernen in der Natur ist nachhaltig, weil es vernetzt und ganzheitlich geschieht. Unser Gehirn kann Informationen dann am besten speichern, wenn sie anschlussfähig sind: Dinge, die thematisch irgendwo anknüpfen, mit Erfahrungen verbunden sind und in einem sinnhaften Kontext stehen. Warum schmerzen Wespenstiche und wann stechen die Tiere überhaupt? Wie verhalte ich mich, wenn ich mich bedroht fühle und wie gehen wir miteinander – und mit den Wespen – um, sodass sich niemand fürchtet? In der Projektarbeit begegnen uns unzählige Fragen, die in einem Sinnzusammenhang stehen und unmittelbar mit dem persönlichen Erleben der Kinder zu tun haben. Nahezu jede Frage hat sowohl natur- als auch geistes- und sozialwissenschaftliche Bezüge und lässt sich aus unterschiedlichen Blickrichtungen bearbeiten.
Nachhaltigkeitsbildung heißt aber auch, die ganz naheliegenden Zusammenhänge in der Natur aufzuzeigen und interdisziplinär zu behandeln. „Warum nehmen wir nicht einfach Gift?“ ist eine wunderbare Kinderfrage, anhand derer sich diese Zusammenhänge kindgerecht nach-vollziehen lassen. Was bedeutet das für alle anderen, die sich im selben System mit den Wespen befinden und von dem Gifteinsatz gleicher-maßen betroffen wären? In der Natur besteht kein Ding für sich, sondern ist Teil eines bestenfalls gut ausbalancierten Ökosystems. Was passiert, wenn wir dieses Gleichgewicht verschieben?
Nicht nur die Disziplinen und Fragestellungen in der Natur sind unterschiedlich, auch die Zugänge können äußerst vielfältig sein. Während der Biologe über den Lebenszyklus der Wildbiene berichtet und eine möglicherweise sehr kognitive Herangehensweise wählt, sind das Abmagern des Flurstücks und Blumen säen eine handwerkliche Angelegenheit. Für andere Projektaufgaben bieten sich künstlerisch-gestalten-de, sprachliche oder musische Methoden an. Die Natur als adaptive Lernumgebung öffnet Raum für inklusive Teilhabe, weil für jeden methodisch und thematisch was dabei ist. Die Natur erleichtert eine ganzheitliche, alle Bildungsbereiche durchdringende Bildungsarbeit – die Basis für nachhaltige Bildung.
Kinder erleben sich in der Natur als Teil einer größeren Gemeinschaft. In Bezug auf ihre Gruppe, weil das Zusammenhalten draußen noch wich-tiger ist als drinnen. Und in Bezug auf die Natur, zu der sie gehören und die sie einen achtsamen Um-gang lehrt. Die Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ist der zentrale Auftrag der frühkindlichen Bildung (Sozialgesetzbuch, Achtes Buch, Paragraf 22). Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die sowohl über Gemeinschaftsorientierung verfügen als auch das Individuum achten.
Das Bine-Bündnis hebt den Gemeinschaftsaspekt auf ein noch höheres Level. Es geht um Integration im Sozialraum, aber auch darum, wirksam über Landkreisgrenzen hinaus zu sein. Die Beteiligung der Bündnisgemeinschaft am Projekt ermöglicht und sichert nachhaltige Bildung in neuen Dimensionen:
Nachhaltige Bildung entspringt der unmittelbaren Lebenswelt und integriert das größere Netzwerk, in das sie thematisch eingebettet ist. Da sind die Kinder und die Fachkräfte mit ihren Erfahrungen. Da sind Eltern, die mitwirken, und Fachleute unterschiedlicher Disziplinen, die Antworten geben und in der Umsetzung beraten. Da sind Auszubilden-de, die sich als lernende Lehrende und lehrende Lernende einbringen, und in zweiter Reihe: Kita- und Schulträger, die dem Wildbienenprojekt Zeit und Raum geben, weil sie den Wert dieses Miteinanderlernens würdigen. Die Gemeinde Pielenhofen, die Flächen zur Ver-fügung stellt und als Standort an Attraktivität gewinnt. Der Landkreis Regensburg, der sich einen Namen in der Fachkraftgewinnung macht und nachhaltig in die Qualität der frühkindlichen Bildung investiert.
Nachhaltige Bildung verändert et-was im System: Sie beeinflusst verschiedene Elemente und wirkt dank ihrer Vernetzung mehrdimensional. Vernetzte Bildung ist nachhaltig, weil Veränderungen so mit höherer Wahrscheinlichkeit langfristig und auf breiter Basis wirken und deshalb mächtiger sind. Die Natur und die Vision der nachhaltigen Entwicklung begründen das gemeinsame Interesse.
Im Naturraum sind die Fachkräfte stark als feinfühlige Bezugspersonen und Bildungsbegleitende gefragt. Die Furcht der Kinder und ihr Ärger mit den Wespen war für die Fachkräfte ein pädagogischer Handlungsauftrag. Sie sind für das Wohlbefinden der Kinder verantwortlich. Die Rahmenbedingungen im Wald setzen dabei eigene Impulse. Die Natur fordert die Fachkräfte besonders bei der Aufsicht und verlangt, dass sie die ihnen anvertrauten Kinder aufmerksam und umsichtig begleiten.
Sie thematisieren das Wespen-problem und respektieren, dass die Kinder mit der Situation unzufrieden sind. Gleichzeitig umrahmen die pädagogischen Fachkräfte das Geschehen werteorientiert und begleiten die Kinder fragend dabei, eine ethisch-soziale, ökologisch und ökonomisch verantwortungsvolle Sichtweise zu entwickeln.
Daran entzünden sich wertvolle ko-konstruktive Bildungsprozesse, also Lerneinheiten, in denen Kinder aktiv am Herausarbeiten der Ant-worten beteiligt sind. Diese Bildungsprozesse begleiten die Fachkräfte feinfühlig, zurückhaltend und mit Offenheit für den Prozessverlauf. Es geht nicht darum, bestimmte Ergebnisse zu erzielen, sondern auf einem Weg des gemeinsamen Fragens miteinander die Welt zu verstehen und Neues zu lernen.
Nachhaltige Bildung ist mehr als Nachhaltigkeitsbildung. Nachhaltige Bildung meint Lernprozesse, die langfristig wirksam sind und ein ganzheitliches Kompetenzprofil aufbauen, das uns zum zukunftsfähigen Handeln befähigt. Gerard de Haan, der deutsche Bildungswissenschaftler und Vordenker der BNE, prägte dafür den Begriff der Gestaltungs-kompetenzen. Die dafür erforderliche Entwicklung ist der Aufbau einer nachhaltigen Bildungskultur. Sie braucht gute Rahmenbedingungen und will vor allen Dingen von allen Akteuren gemeinsam gepflegt werden. Hier gibt es einen weiteren Verantwortlichen: den Bildungsträger. Die Einrichtung der Waldkinder Regensburg ist Teil der Littlebigfuture, die die Netzwerkarbeit ihrer Kitas – wie im Bine-Bündnis – in jeder Hin-sicht fördert. Da sich die gesamte Organisation auf die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 reflektiert, ist BNE über den naturraumpädagogischen Ansatz konzeptionell auf allen Ebenen verankert.
Eine nachhaltige Bildungskultur entsteht, wenn ein geeigneter Bildungsraum vorhanden ist. Zudem muss man Themen im Kontext betrachten und unterschiedliche Perspektiven einnehmen können. Und zu guter Letzt funktioniert nachhaltige Bildung nur, wenn Beteiligung gelebt wird..
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