03.07.2019
Redaktion
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Fachberatung:

In Niedersachsen haben sich Fachberaterinnen und Fachberater auf den Weg gemacht, ein eigenes Verständnis ihrer Profession zu entwickeln. Sie haben viel erreicht und bundesweit für Aufsehen gesorgt. Jetzt muss die Politik nachziehen.

„Wir nehmen die Sache selbst in die Hand“

Text: Karsten Herrmann, Bild: Karsten Herrmann

In der aktuellen Fachdiskussion wird immer wieder zu Recht die zentrale Rolle der Fachberatung bei der weiteren Professionalisierung und Qualitätsentwicklung der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung herausgestellt. Zugleich erscheint die Fachberatung aber noch immer als eine Art Blackbox, bei der man weder genau weiß, was drin ist, noch was dort geschieht.

Die jeweiligen Aufgabenfelder, Rollenfunktionen sowie die Rahmenbedingungen zwischen den einzelnen Fachberatungen zeigen sich als extrem unterschiedlich und flexibel an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasst. In Niedersachsen hat sich die Fachberatung daher vor vier Jahren auf den Weg gemacht, um ein eigenes Professionsverständnis zu entwickeln und sich landesweit zu vernetzen.

Forschungsergebnisse

Das Initial zu diesem Prozess ging von einem Fachtag Fachberatung aus, den das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) 2015 auf der Didacta in Hannover durchführte. Professor Michael May von der Hochschule Rhein-Main stellte hier aktuelle Forschungsergebnisse zu den unterschiedlichen Profilen und Aufgaben von Fachberatung vor. Er konstatierte, dass sich "keine typischen Profile der Fachberatung ermitteln lassen" und keine signifikanten Zusammenhänge zu Trägern, Organisationen oder Qualifikationen festzustellen seien.

Allerdings finde eine "hochprofessionelle individuelle Profilbildung der Fachberatung"statt, mit der diese auf die jeweiligen Rahmenbedingungen und Bedarfe flexibel reagiere. Maria-Theresia Münch vom Deutschen Verein machte sich daraufhin für eine Neujustierung und eine klarere Bestimmung des Qualifikations- und Aufgabenprofils der Fachberatung sowie bundesweit vergleichbare Qualitätsstandards stark.

Es herrscht Aufbruchstimmung

Diese Forderung wurde auf einer Podiumsdiskussion mit niedersächsischen Fachberaterinnen von ganz unterschiedlichen Trägern deutlich unterstrichen. In großer "Aufbruchstimmung", so die nifbe-Koordinatorin Maria Korte, "beschlossen die Tagungs-Teilnehmenden dann, in den Prozess der Entwicklung eines gemeinsamen Professionsverständnisses einzusteigen und ihre Zukunft so selbst in die Hand zu nehmen. Das nifbe wurde gebeten, dabei eine begleitende und koordinierende Rolle einzunehmen."

Folgende Punkte sollten auf diesem Weg der Professionsbestimmung in den Blick genommen werden:

1. Strukturen und Rahmenbedingungen:

Bundes- und Landesgesetzgebung, Aus- und Weiterbildung für Fachberaterinnen und Fachberater, außerdem Finanzierung und Eingruppierung.

2. Fachliches Aufgabenprofil:

Was sind die Essentials der Fachberatung? Fachberatung als Schnittstelle und Übersetzer zwischen den verschiedenen Ebenen der frühkindlichen Bildung.

3. Selbstverständnis und Selbstverortung:

Klare Positionierung auch im bildungspolitischen Diskurs: Was brauchen wir als Fachberatung? Wo können wir mitgehen? Wo nicht?

Die folgenden, jeweils von sechzig bis neunzig Teilnehmenden besuchten Fachtagungen wurden von einer Vorbereitungsgruppe aus niedersächsischen Fachberatungen und Mitarbeiterinnen des nifbe konzipiert. Auf der zweiten landesweiten Fachberatungs-Tagung standen unter dem Motto "Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin?" zunächst der Status quo und das Kennenlernen der ganz unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen und formalen Rollen von Fachberatung im Fokus.

Ein hohes Spannungsverhältnis

Hier wurde insbesondere auch ein hohes Spannungsverhältnis zwischen den Polen der ursprünglichen sozialpädagogischen Beraterrolle und einer Vorgesetzten- und Managementrolle von Fachberatung deutlich. Aber was macht Fachberatung im Kern aus? Und was sind die Kernkompetenzenvon Fachberaterinnen und Fachberatern? Dieser für ein gemeinsames Professionsverständnis entscheidenden Frage stellte sich dann der dritte niedersächsische Fachtag unter dem Titel "Fachberatung 2026? Die Zukunft denken!"

In der Zusammenfassung der Diskussionen in den Workshops beschrieben die Fachberaterinnen Stephanie Emmel und Monika Kleine-Kuhlmann so beispielsweise die Fachberatungals "Dreh- und Angelpunkt" zwischen den verschiedenen Ebenen des Feldes wie Kita-Praxis, Träger, Politik oder Wissenschaft. Sie sei die Schaltstelle zwischen "Top-down und Bottom-up-Prozessen" und initiiere und sichere die Qualitätsentwicklung in den Kitas. Im Kern stehe dabei die Beratung und Prozessbegleitung, die Beziehungsarbeit und Partizipation und weniger Aufgaben wie Fach- und Dienstaufsicht.

Recht auf gute Bildung

Fachberatung sorge für den Transfer von neuem Wissen und habe zugleich auch eine Filter- und Schutzfunktion im Hinblick auf neue Themen und Projekte für Kitas. Grundsätzlich solle Fachberatung vom Kind und seinem Recht auf gute Bildung und Entwicklung her denken. Aus diesen Diskussionsergebnissen wurde vom nifbe der erste Entwurf eines gemeinsamen Positionspapiers zum beruflichen Selbstverständnis von Fachberatung verfasst. Er wurde zunächst über E-Mail mit den Tagungsteilnehmenden abgestimmt und dann auch allen niedersächsischen Fachberaterinnen und Fachberatern mit der Bitte um Feedback zugänglich gemacht.

Fachberatung ist der Motor der Entwicklung

In der im August 2016 verabschiedeten Endfassung des Positionspapiers wird herausgestrichen, dass Fachberatung "zu einem Motor der professionellen Entwicklung des gesamten Feldes" werde und entsprechende fachliche Impulse an die Akteure auf den verschiedenen Ebenen gebe. Fachberatung befinde sich dabei "in einem Spannungsfeld von rechtlichen Vorgaben, Aufträgen und Sichtweisen der Träger, dem eigenen fachlichen Anspruch sowie den konkreten, formulierten Bedarfen und Interessen der Einrichtungen".

Das Recht aller Kinder

Ausgangspunkt und Bezugspunkt in diesem Spannungsfeld sei dabei "das Recht aller Kinder auf eine hochwertige Bildung, Betreuung und Erziehung". Dem Positionspapier zufolge richtet sich begleitende und beratende Tätigkeit der Fachberatung in erster Linie an Einrichtungsleitungen. Einrichtungen würden zum Beispiel durch die Organisation oder eigenständige Durchführung von Fortbildungen, Coaching, Supervision oder Fallberatungen unterstützt. Eine wichtige Rolle spiele bei der Unterstützung aber auch die Vernetzung.

In einer Vielfalt von Anforderungen, politischen und rechtlichen Vorgaben, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Veranstaltungs- und Qualifizierungsangeboten sorge die Fachberatung "für Orientierung und Entlastung, indem sie diese Vielfalt sortiert, filtert und einordnet".

wesentliche Merkmale der Arbeit mit den Einrichtungen:

Als wesentliche Merkmale der Arbeit mit den Einrichtungen wird die Partizipation und Transparenz herausgestellt. Die Fachberatung arbeite dabei aus einer Haltung heraus, die die "selbstbewusste Professionalisierung von Einrichtungsleitungen und Fachkräften umfasst", was auch als Empowerment bezeichnet wird.

Zusammengefasst gibt das Positionspapier einer selbstbewussten Haltung und einem hohen Anspruch der niedersächsischen Fachberatung Ausdruck: Fachberatung wird hier als Motor der Qualitätsentwicklung und als wichtige Schnittstelle zwischen den verschiedenen Ebenen des Feldes der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung betrachtet. Das Positionspapier stellte einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur weiteren Professionalisierung dar.

Meilenstein:

Ein zweiter wichtiger Meilenstein war dann die Gründung einer "Niedersächsischen Arbeitsgemeinschaft der pädagogischen Fachberatungen für Qualität in Kitas". Wie Hannelore Kleemiss als eine der fünf Sprecherinnen der Arbeitsgruppe unterstreicht, "setzt sich die Arbeitsgruppe dafür ein, dass die Fachberatung als Anspruch der Kitas gesichert wird und dass mit der Fachberatung Personen beauftragt werden, die dazu qualifiziert sind. Dafür braucht es Standards."

Mit dieser Arbeitsgruppe gelang es dann tatsächlich recht schnell, der Fachberatung auf Landesebene eine Stimme zu verleihen und darüber hinaus zunehmend in politischen Reformprozessen angehört zu werden. Parallel zu den niedersächsischen Aktivitäten formierte sich im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e. V. (BAG-BEK) 2015 auch eine bundesweite Arbeitsgruppe Fachberatung. Beide Strömungen befruchteten sich in der Folge gegenseitig.

Selbstverständnis Fachberatung

Von 2017 bis Anfang 2019 wurde in der BAG-BEK-AG mit diversen Feedback-Schleifen und unter reger niedersächsischer Beteiligung ein erweitertes Positionspapier unter dem Titel "Selbstverständnis Fachberatung. Beitrag zur ethischen und sozialpädagogischen Fundierung der Fachberatung im System der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern" entwickelt. Auf einer gemeinsamen Fachtagung von BAKBEK, Deutschem Verein und nifbe wird dieses Positionspapier im Mai 2019 in Kassel einer größeren Fachöffentlichkeit vorgestellt und die Konsequenzen daraus diskutiert.

Mit dem Positionspapier, so AG-Leiterin und BAG-BEK-Vorstandsmitglied Elke Al-sago, "möchten wir die professionelle Arbeit der Fachberatung mit ihren typischen Handlungsformen und (Qualitäts-)Ansprüchen sichtbar machen. Darüber hinaus werden hier aber auch die Adressatinnen und Adressaten und die Grundsätze beruflichen Handelns ausgeführt sowie Perspektiven aufgezeigt.

Viel Engagement

"Mit viel Engagement haben sich Fachberaterinnen und Fachberater aus Niedersachsen auf den Weg gemacht, um ihre Zukunft selbst zugestalten und ein tragfähiges Fundament für ihre herausfordernde Arbeit zu schaffen. Der Stein, den sie ins Wasser geworfen haben, schlug schließlich zusammen mit weiteren Aktivitäten in den Ländern auch bundesweite Wellen und könnte nun erstmals zu einem breit akzeptierten und akzentuierten Professionsverständnis von Fachberatung führen.

Zu hoffen ist, dass damit auch die bildungspolitische Diskussion um Aus- und Weiterbildung, gesetzliche Verankerung und einheitliche Rahmenbedingungen für Fachberatung einen entscheidenden Schritt nach vorne gebracht wird.

Das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe):

Das 2007 gegründete Institut nifbe unterstützt in Niedersachsen die weitere Professionalisierung der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung. Zentrale Aufgabe ist einerseits der Transfer von neuen Forschungsergebnissen und erprobten Praxiskonzepten in die Kitas und andererseits die Rückspiegelung von Problemlagen, Bedarfen und Praxiserkenntnissen aus den Kitas zurück in die Wissenschaft.

Die Arbeit des Instituts wird gefördert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur.Eine zentrale Rolle spielt für das nifbe dabei von Anfang an die Fachberatung als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Ebenen der frühkindlichen Bildung und als Katalysator für die Qualitätsentwicklung in den Kindertageseinrichtungen.

Vielfalt leben und erleben!

Das nifbe hat neben einem Transfer- und Koordinationszentrum in Osnabrück noch fünf Regionale Transferzentren in Niedersachsen, die vor Ort Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen aufbauen und etablieren. Die Regionalen Transferstellen spielen auch eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von landesweiten Qualifizierungsinitiativen wie aktuell zum Thema "Vielfalt leben und erleben!". Das Positionspapier in voller Länge und weitere Fachartikel finden Sie unter www.nifbe.de.

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