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Krippenfachkräfte kommen bei ihrer Arbeit mit den unterschiedlichsten Familien in Kontakt (Borke & Schwentesius, 2019). Unterschiede bestehen sowohl bezüglich der Familienform – wie auch der jeweiligen Persönlichkeiten von Eltern und Kindern – als auch bezüglich verschiedener kultureller Modelle, die ihren Handlungen und Vorstellungen zugrunde liegen können. Eine (zunehmende) Vielfalt kann unter anderem dadurch erklärt werden, dass aufgrund einer stetigen Individualisierung in der Gesellschaft immer mehr Familienformen gewünscht werden und eine zunehmende Freiheit bei der Gestaltung eigener Lebenswege besteht. Weiterhin kommt es aufgrund von Migrationsprozessen (innerhalb eines Landes sowie über Ländergrenzen hinweg) zunehmend zum Aufeinandertreffen von unterschiedlichen kulturellen Konzepten. Und durch die fortschreitende Globalisierung und technische Entwick lung (z. B. Videos auf YouTube oder der weltweite und sekundenschnelle Austausch über soziale Portale wie Twitter und Instagram) wird es immer ausgedehnter und schneller möglich, über die unterschiedlichsten Gegenden der Welt etwas zu erfahren – und sich somit auch über Verhaltens strategien und Überzeugungen bezogen auf den Umgang und die Begleitung von Kindern zu informieren oder auszutauschen (z. B. über Techniken der indischen Babymassage).
Folglich kann davon ausgegangen werden, dass sich diese große (kulturelle) Vielfalt auch bei den Eltern, die ihre Kinder in der Krippe betreuen lassen, widerspiegelt. Hieraus erwachsen nun besondere Anforderungen an die Krippenfachkräfte, um dieser Vielfalt unter anderem bei der Kontaktgestaltung mit Eltern angemessen begegnen zu können. Diese Anforde rungen können auf unterschiedlichen Ebenen fest gemacht werden.
Zum einen bedarf es einer offenen und vorurteilsbewussten Gestaltung der Zusammenarbeit mit Eltern. Das heißt, es ist wichtig, Eltern in ihren Handlungen und Sichtweisen verstehen zu wollen und entsprechend mit ihnen so in den Kontakt zu treten, dass sie sich nicht bewertet oder gar abgewertet fühlen. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, sich mit möglichen eigenen Vorurteilen und Stereotypen auseinanderzusetzen, durch die Menschen nicht als Individuen gesehen werden, sondern als Zugehörige einer Gruppe. Denn dies kann dazu führen, Menschen vorab etwas zuzuschreiben und nicht mehr offen für ein unbefangenes Kennenlernen zu sein. Weiterhin können Kenntnisse und Materialen helfen, um für unterschiedliche Eltern eine gute Willkommensatmosphäre anbieten zu können. So kann das Wissen bezogen auf Hintergründe von Religionen, Traditionen oder auch mögliche Fluchtursachen dabei unterstützen, mehr Verständnis für Zusammenhänge, aber auch Situationen und Erfahrungen von Eltern zu vermitteln. Wobei es neben dem Wissen um Hintergründe und Zusammenhänge immer auch zentral ist, offen und unvoreingenommen auf jede neue Familie zuzugehen.
Weiterhin kann es für Eltern, die die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschen, sehr hilfreich sein, wenn wichtige Informationen in unterschiedlichen Sprachen vorliegen und/oder bebildert sind, sodass sie sich damit in einer ihnen vertrauten Sprache auseinandersetzen können (zudem ist dies ein Zeichen der Wertschätzung für die unterschiedlichen Sprachen). Auch das Angebot von Spielmaterialien, welche die kulturelle Vielfalt wiedergeben (z. B. mehrsprachige Kinderbücher sowie solche, in denen sich verschiedene Kulturen und Familienmodelle wiederfinden), können Eltern (und Kindern) helfen, Vertrauen zu entwickeln und einen guten Anschluss zu finden.
Eltern können ganz unterschiedliche kulturelle Konzepte hinsichtlich der Kontaktgestaltung haben. Der Ansatz der kultursensitiven Frühpädagogik (Borke & Keller, 2014; Borke & Schwentesius, 2018) stellt hier eine Grundlage zur Verfügung, die einen flexiblen Umgang in pädagogischen Einrichtungen je nach kulturellem Hintergrund der Familien ermöglichen soll. Auf diese Weise kann eine Anschlussfähigkeit an variierende elterliche Konzepte gestaltet werden. Hintergrund des Ansatzes sind Erkenntnisse aus der kulturvergleichenden Familienforschung (z. B. Keller, 2011), die nachweisen, dass Eltern je nach Umgebungsbedingungen unterschiedliche Vorstellungen und Verhaltensweisen zeigen – und dass entsprechend auch pädagogische Systeme variieren, und zwar jeweils so, dass Kinder in ihrer Umgebung möglichst optimal auf das Leben vorbereitet werden.
Bezogen auf die Kontaktgestaltung zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften zeigt sich zum Beispiel, dass Eltern aus städtischen postindustrialisierten Mittelschicht-Kontexten häufig einen großen Fokus auf die Unterstützung der psychischen Autonomie von Kindern legen, also auf ihre Vorlieben und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist ihnen ein partnerschaftlicher Kontakt auf Augenhöhe mit den Fachkräften vertraut und wird auch gewünscht. In ländlichen nicht industrialisierten Kontexten findet sich eher eine Herangehensweise, bei der die Gemeinschaft und der Erwerb von für die Unterstützung der Familie wichtigen Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen. Hier sind also eher großfamiliäre Strukturen üblich und es wird mehr Wert auf eine Eingliederung in die Gemeinschaft als auf eine individuelle Entfaltung gelegt. Entsprechend sind die Interaktionen auch eher erwachsenenzentriert in dem Sinne, dass die Älteren den Jüngeren das für das jeweilige Alter wichtiges Wissen und Können vermitteln. Die Kontaktgestaltung zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften ist hier oftmals eher dadurch geprägt, dass die Fachkräfte als die Experten für den Umgang mit den Kindern in der Einrichtung gesehen werden und ein offener Austausch möglicherweise nicht üblich oder teilweise sogar auch nicht erwünscht ist. Diese unterschiedlichen kulturellen Modelle können an dieser Stelle nur sehr verkürzt und vereinfacht dargestellt werden (zur Vertiefung siehe z. B. Keller, 2011). Auch lassen sich noch weitere Modelle und Herangehensweisen beschreiben.
Bei einer kultursensitiven Kontaktgestaltung mit Eltern geht es darum, die kulturellen Hintergründe (und hier sind die Kontextbedingungen des Aufwachsens eben entscheidender als die Zugehörigkeit zu Ländern oder Religionen) zu erkennen und zu verstehen sowie entsprechend variable Herangehensweisen anbieten zu können. Dies kann dann zum Beispiel so aussehen, dass bei der Aufnahme neuer Familien auch die Kontextbedingungen, in denen Eltern aufgewachsen sind, mitberücksichtigt (z. B. städtisch oder ländlich, groß- oder kleinfamiliär …) sowie ihre Vorstellungen über frühkindliche Bildung erfragt werden. Die Fachkräfte sollten in der Folge auf flexible Kontaktgestaltungsmöglichkeiten zurückgreifen können, also sowohl partnerschaftlich auf Augenhöhe als auch in der Rolle der pädagogischen Expertin, die Abläufe erklärt und Vorschläge macht. Wichtig ist dabei, an den Vorerfahrungen und Erwartungen der Eltern anzuschließen. Zudem bleibt es aber natürlich zusätzlich zentral, auf jede Familie individuell zuzugehen. Aber die Erkenntnisse der kulturvergleichenden Familienforschung können helfen, indem sie einen Rahmen zur Verfügung stellen, der zu einem tieferen Verständnis von Hintergründen, Wünschen und Verhaltensweisen beitragen kann.
Jörn Borke ist Professor für Entwicklungspsychologie der Kindheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Borke, J. & Keller, H. (2014): Kultursensitive Frühpädagogik.Stuttgart: Kohlhammer.
Borke, J. & Schwentesius, A. (2018): Kultursensitives Arbeiten in der Kita: Ein Leitfaden für pädagogische Fachkräfte. Kronach: Carl Link.
Borke, J. & Schwentesius, A. (2019): Kultursensitive Frühpädagogik und Beratung von Familien mit Säuglingen und Kleinkindern. In: T. Geisen, C. Iller, S. Kleint & F. Schirrmacher (Hrsg.), Familienbildung in der Migrationsgesellschaft. Interdisziplinäre Praxisforschung (S. 111-127). Münster: Waxmann.
Institut für den Situationsansatz & Fachstelle Kinderwelten (Hrsg.) (2016): Inklusion in der Kitapraxis. Band 1 – Die Zusammenarbeit mit Eltern vorurteilsbewusst gestalten. Berlin: WAMIKI.
Keller, H. (2011): Kinderalltag: Kulturen der Kindheit und ihre Bedeutung für Bindung, Bildung und Erziehung. Heidelberg: Springer.
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